Eine unerwartet hohe Inflation hat in dieser Woche an den US-Börsen für deutliche Kursverluste und Verunsicherung gesorgt. Obwohl einige Faktoren wie steigende Kraftstoffpreise, Lieferkettenengpässe und steigende Gebrauchtwagenpreise, die die Inflation in die Höhe getrieben hatten, nachlassen, verschlechtern sich die zugrunde liegenden Inflationsindikatoren. Somit gibt es nun deutliche Anzeichen dafür, dass die Inflation in eine noch kritischere Phase eintritt, die drastische Maßnahmen der US-Zentralbank (Fed) erfordern wird.
Unter den Technologiewerten, die als besonders zinsabhängig gelten, war am Dienstag nach zuletzt vier Gewinntagen die Enttäuschung darüber groß, dass sich die Inflation nur leicht abschwächte. Anleger sehen darin ein Indiz, dass der Druck auf die US-Notenbank bei ihren geldpolitischen Straffungen nicht nachlässt und weiter eine Rezession droht.
Am Dienstag teilte die US-Regierung mit, dass die Inflation von Juli auf August um 0,1 Prozent gestiegen ist und im Vergleich zum Vorjahr 8,3 Prozent beträgt, was einem Rückgang gegenüber dem Vier-Jahres-Hoch von 9,1 Prozent im Juni entspricht.
Laut Matthew Luzzetti, Chefvolkswirt der Deutschen Bank in den USA, ist allerdings besonders bemerkenswert, "wie breit gefächert der Preisanstieg ist".
Es sind nicht mehr einige wenige Produktkategorien, deren Preise steigen, sondern die Teuerung betrifft die gesamte Wirtschaft. Abgesehen von Lebensmitteln und Energie stiegen die sogenannten Kernpreise von Juli bis August unerwartet stark um 0,6 Prozent, nachdem sie im Vormonat mit 0,3 Prozent weniger stark gestiegen waren.
Ein von der Federal Reserve Bank of Cleveland zur Beobachtung der mittleren Inflation verwendetes Maß, das die Kategorien mit den größten Preisschwankungen im Wesentlichen außer Acht lässt, stieg im August sogar um 0,7 Prozent. Das war der stärkste monatliche Anstieg seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1983.
Die aktuellen Zahlen schüren die Angst vor noch aggressiveren Maßnahmen der Fed und ließen die Aktienkurse abstürzen, wobei der Dow Jones um mehr als 1.200 Punkte einbrach.
Aus den aktuellen Daten leitet Volkswirt Bernd Weidensteiner von der Commerzbank einen klaren Auftrag für die US-Währungshüter ab: "Die Fed muss weiter kräftig auf die Bremse treten, auch um den Preis einer etwaigen Rezession."
Die ING Bank rechnet in der kommenden Woche mit einer weiteren Zinserhöhung um 0,75 Prozentpunkte.
"Der zugrunde liegende Inflationstrend hat bisher keine Anzeichen in Richtung einer Abschwächung gezeigt. Und das sollte die Fed beunruhigen, denn die Preissteigerungen sind zunehmend nachfrageorientiert und daher wahrscheinlich auch hartnäckiger", meint der Chefvolkswirt der Deutschen Bank.
Eine hauptsächlich durch Nachfrage getriebene Inflation kann drastischere Maßnahmen der Fed erfordern als eine hauptsächlich durch Angebotsschocks verursachte Inflation wie zum Beispiel eine Unterbrechung der Ölversorgung. Schwankungen dieser Art regulieren sich oft von selbst. Laut Associated Press sehen einige Wirtschaftswissenschaftler nur eine Möglichkeit für die Fed, die robuste Verbrauchernachfrage zu bremsen: Zinssätze so stark anheben, dass die Arbeitslosigkeit drastisch ansteigt und möglicherweise eine Rezession ausgelöst wird. Wenn die Angst vor Entlassungen zunimmt, reduzieren nicht nur Arbeitslose ihre Ausgaben, so die Logik. Dies gilt auch für die vielen Menschen, die befürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.
Allgemein wird erwartet, dass die Fed ihren kurzfristigen Leitzins in der kommenden Woche zum dritten Mal in Folge um einen beachtlichen Dreiviertelpunkt anheben wird. Der Inflationsbericht vom Dienstag veranlasste einige Analysten sogar zu Spekulationen, dass die Zentralbank eine Anhebung um einen ganzen Prozentpunkt ankündigen könnte. Sollte dies der Fall sein, wäre dies die größte Anhebung, seit die Fed Anfang der 1990er-Jahre begann, die kurzfristigen Zinssätze zur Steuerung der Kreditaufnahme von Verbrauchern und Unternehmen einzusetzen.
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