Christine Lagarde rechnet angesichts der angeschlagenen Wirtschaft infolge der Corona-Krise sowie des Ukraine-Kriegs, mit einer dauerhaft hohen Inflationsrate im Euro-Raum. "Ich glaube nicht, dass wir in ein Umfeld niedriger Inflation zurückkehren werden", prognostizierte die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) am Mittwoch auf dem Jahresforum der EZB im portugiesischen Sintra. Im Mittelpunkt der Konferenz stehen die Sorgen um Inflation und Rezession.
Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg verändern Inflationsdynamik im Euro-Raum
Während einer Podiumsdiskussion mit US-Notenbankchef Jerome Powell, ihrem britischen Amtskollegen Andrew Bailey und dem Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Agustin Carstens verwies Largarde mit Blick auf die derzeit hohe Teuerungsrate darauf, dass die EZB es in den vergangenen zehn Jahren mit einer zu niedrigen Inflation und anderen Rahmenbedingungen zu tun gehabt habe. "Aber das ist absolut nicht das, was jetzt passiert", erklärte die EZB-Chefin. Denn auch der Krieg in der Ukraine verändere für die EZB das Umfeld, in dem sie operiere.
Deshalb blickten die Notenbanken derzeit auch mit Demut auf ihre früheren Inflationsprognosen, die einen deutlichen Rückgang der Inflation vorhergesagt hätten, räumte Largarde ein. Nun müsse man analysieren, was die Ursachen für die Fehler gewesen seien. Grund für die drastischen Fehleinschätzungen der Währungshüter sei nach Ansicht der EZB-Chefin mitunter auch die unvorhergesehene Entwicklung der Energiepreise infolge der derzeitigen Krisen gewesen. Diese seien deutlich stärker angestiegen als zunächst erwartet. Im Mai hatte die Inflationsrate im Euro-Raum mit 8,1 Prozent ein neues Rekordhoch erreicht.
Ziel ist Preisstabilität – auch in den Vereinigten Staaten
Die Wirtschaft sei heute "ganz anders" als vor der Pandemie, pflichtete der Chef der US-Notenbank Jerome Powell der EZB-Chefin bei. Diese hätte infolge der Corona-Krise unter anderem mit Angebotsschocks, einer höheren Teuerung und einer starken globalen Inflationsdynamik zu kämpfen. Für die Federal Reserve (Fed) habe die Preisstabilität daher derzeit absolute Priorität. Auch auf die Gefahr hin, eine Rezession auszulösen.
"Das größte Risiko für die Wirtschaft wäre es, wenn es uns nicht gelingt, die Preisstabilität wiederherzustellen", sagte Powell. Diese sei nach Ansicht der US-Notenbank erst bei einer langfristigen Inflationsrate von zwei Prozent erreicht. Ziel der Fed sei es deshalb, die Zinsen anzuheben, ohne eine Rezession auszulösen, so der US-Notenbankchef weiter. "Wir glauben, dass dies möglich ist."
Notenbanken wollen Zinsen erhöhen
Die Federal Reserve hatte im Kampf gegen die hohe Inflation den Leitzins vor wenigen Wochen so kräftig angehoben wie seit 1994 nicht mehr. Die US-Notenbank beschloss eine Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte auf die neue Spanne von 1,5 bis 1,75 Prozent. Dem folgt nun auch die EZB, indem sie plant, den Leitzins im Juli erstmals seit 11 Jahren anzuheben. Zunächst allerdings nur um überschaubare 0,25 Prozentpunkte. Eine weitere sowie stärkere Erhöhung soll dann im September folgen. Derzeit liegt der EZB-Leitzins bei null Prozent.
"Angesichts der allgemeinen Aussichten wird der Prozess der Normalisierung unserer Geldpolitik entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden", erklärte Largarde auf der Konferenz. Die möglichen Leitzins-Anhebungen könnten nach den Worten der EZB-Chefin unter Umständen auch höher ausfallen oder schneller aufeinander folgen als bislang geplant. Es könne Umstände geben, unter denen eine "allmähliche" Zinsanpassung nicht mehr ausreichend seien, so Lagarde.
Der Krieg in der Ukraine habe zu stark steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen geführt. Angesichts der starken Abhängigkeit bei der Energie erlebe der Euroraum diese "Schocks" akut, sagte die EZB-Chefin. "Das Ausmaß und die Komplexität dieser Schocks schaffen auch Unsicherheit darüber, wie anhaltend diese Inflation wahrscheinlich sein wird."
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