Die Folgen der Entscheidung der Europäischen Union, Öleinfuhren aus Russland zu verbieten, könnten laut Branchenexperten einerseits für Russland durch steigende Energiepreise und alternative Abnehmer russischen Erdöls abgefedert werden und für Europa dennoch einen sehr hohen Preis haben.
Zeitgleich mit der Einigung der Europäischen Union auf ein Embargo für den Großteil der russischen Ölimporte hat die Banco de España, die Zentralbank Spaniens, eine Berechnung vorgelegt, welcher zufolge die wirtschaftlichen Folgen einer Einstellung des Handels zwischen Russland und der Europäischen Union für Spanien hoch und für andere europäische Volkswirtschaften noch weitaus höher ausfallen.
Die Studie untersucht, welche Folgen eine hypothetische Unterbrechung der Importe von Energierohstoffen aus Russland haben könnte. Demnach könnte das spanische Bruttosozialprodukt (BIP) um 0,8 bis 1,4 Prozentschrumpfen, während die bereits sehr hohe Inflation um weitere 0,8 bis 1,2 Prozentpunkte ansteigen würde – allein im ersten Jahr und nur sofern sich die Beschränkungen auf die Energieimporte beschränken, so der am Dienstag veröffentlichte Artikel der Bank von Spanien.
Am stärksten betroffen wären dabei energieintensive Sektoren wie das Verkehrswesen, die Schwerindustrie und die chemische Industrie, darunter die pharmazeutische Produktion.
"Eine hypothetische Unterbrechung der Importe von Energierohstoffen aus Russland könnte erhebliche Auswirkungen auf die spanische Wirtschaft haben. Die Schwierigkeit, diese Produkte kurzfristig zu ersetzen, würde eine Verringerung des Energieangebots und eine Verschärfung der gegenwärtigen Inflationsepisode bedeuten, was in beiderlei Hinsicht eine Beeinträchtigung der Wirtschaftstätigkeit zur Folge hätte", warnt der Autor des Artikels, Javier Quintana von der stellvertretenden Generaldirektion Wirtschaft und Forschung der spanischen Zentralbank.
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich am Montagabend darauf geeinigt, die russischen Ölimporte in den nächsten sechs Monaten um rund 90 Prozent zu kürzen – ein dramatischer Schritt, der noch vor wenigen Monaten als undenkbar galt. Im Durchschnitt beziehen die 27 Länder der Union 25 Prozent ihres Erdöls und 40 Prozent ihres Erdgases aus Russland, doch einige Länder wie Deutschland liegen darüber und wurden für ihr Zögern verurteilt.
Während einige Stimmen die Entscheidung als einen Wendepunkt nach langen Verhandlungen begrüßen, äußerten sich Analysten laut Associated Press zurückhaltender.
Auch Quintana ergänzte, dass die Intensität der Auswirkungen einer Kürzung russischer Energielieferungen in den Ländern der Europäischen Union je nach ihrer Energieabhängigkeit sehr unterschiedlich ausfallen würde und es einige andere Mitgliedsstaaten noch härter träfe als Spanien. Die Auswirkungen auf die EU als Ganzes würden zwischen 2,5 Prozent und 4,2 Prozent des BIP betragen, heißt es in der spanischen Zeitung El Mundo unter Berufung auf Servimedia.
Für die drei wichtigsten Volkswirtschaften des Euroraums, Deutschland, Italien, Frankreich sowie die mittelosteuropäischen Länder wäre der Preis besonders hoch. Deutschlands BIP würden die Auswirkungen demnach zwischen 1,9 und 3,4 Prozent kosten, für Italien läge der Einbruch sogar zwischen 2,3 und 3,9 Prozent. Etwa 18 Prozent der in der EU verbrauchten Bergbauprodukte (Gas und Kohle) und neun Prozent der Erdölderivate werden aus Russland importiert, im Falle Spaniens sind es lediglich drei beziehungsweise 2,5 Prozent.
Bereits für Spaniens würden die Gesamtauswirkungen in dem Fall, dass sowohl die Energieimporte als auch die Exporte nach Russland ausgesetzt würden, auf kurze Sicht einen Rückgang des BIP um bis zu 2,4 Prozent und einen Anstieg der Inflation um 1,7 Prozentpunkte bedeuten, so die Studie der Zentralbank.
Die ohnehin starke Teuerung hat sich in Spanien zuletzt wieder beschleunigt. Wie das Statistikamt INE am Montag in Madrid mitteilte, erhöhten sich die Verbraucherpreise (HVPI) im Mai gegenüber dem Vorjahresmonat um 8,5 Prozent. Analysten hatten für Mai im Schnitt wie im April mit einem Anstieg um 8,3 Prozent gerechnet. Im März lag die Inflation bei 9,8 Prozent. Gegen den starken Anstieg der Spritpreise in Spanien gab es über 20 Tage Streiks und Proteste im Transportsektor. Von der spanischen Regierung mit Vertretern des Dachverbandes der spanischen Lastwagenspediteure (CNCT) vereinbarte Beihilfen in Höhe von über einer Milliarde Euro, einer Entlastung von 20 Cent pro Liter Sprit sowie Direkthilfen in Höhe von 450 Millionen Euro hatten die Proteste nicht beendet. Die Streikführer legten eher eine Pause ein, um "Kräfte zu sparen" und dann "zu einem zweiten Schlag auszuholen".
Schon die am 14. März gestarteten Aktionen mit Blockaden von Autobahnen, Großmärkten, Innenstädten und Häfen hatten in dem Land in vielen Bereichen zu Versorgungsengpässen geführt. Unter anderem waren Milch, Joghurt und Obst knapp geworden. Einige Fabriken, darunter auch das VW-Werk in Pamplona, mussten die Produktion zeitweise aussetzen.
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