"Sie zerstören die Weltherrschaft des US-Dollar": Russischer Finanzausschuss-Chef über US-Sanktionen

Anatoli Aksakow, Vorsitzender des Staatsduma-Ausschusses für Finanzmärkte, erklärt in einem exklusiven Interview mit RT die Maßnahmen der russischen Regierung und der Zentralbank zur Krisenbewältigung im Zuge der US-Sanktionen.

von Xenia Tschemodanowa

Dem Jahresergebnis 2022 folgend kann die Zentralbank der Russischen Föderation den Leitzins auf unter 10 Prozent pro Jahr herabsetzen, und die Zinsen für vergünstigte Hypotheken werden auf 7 Prozent zurückgehen. Dies erklärte Anatoli Aksakow, Vorsitzender des Staatsduma-Ausschusses für Finanzmärkte, in einem exklusiven Interview mit RT.

Nach den Worten Aksakows wird sich die Volkswirtschaft bis Jahresende an die neuen Bedingungen anpassen. So ergreifen die Regierung und die Zentralbank weiterhin Maßnahmen zur Krisenbewältigung, die Länder des Ostens sind nach wie vor an einer Kooperation mit Moskau interessiert, und die Geschäftswelt stellt sich auf die Zusammenarbeit mit neuen Partnern um.

Des Weiteren bemerkte der Abgeordnete, dass aufgrund des präzedenzlosen Einfrierens russischer Reserven viele Regierungen dazu übergehen werden, die Aufbewahrung von Geld in US-Währung allmählich aufzugeben. Dadurch wiederum könnte die globale Vormachtstellung des Dollars letztendlich zusammenbrechen, so Aksakow.

RT: Ende April hat die russische Zentralbank den Leitzins von 17 Prozent auf 14 Prozent pro Jahr gesenkt. Gleichzeitig schloss die Zentralbank die Möglichkeit weiterer Zinssenkungen nicht aus. Wie könnte sich Ihrer Meinung nach der Satz bis Ende 2022 verändern?

Aksakow: "Eine weitere Senkung des Zinssatzes wird möglich sein, falls die allgemeine Wirtschaftslage im Land dies begünstigt. Es wird alles davon abhängen, ob wir die Inflation in den Griff bekommen und sie auf ein vernünftiges Niveau bringen können. Im Großen und Ganzen handelten die Regierung und die Zentralbank sehr effektiv angesichts der noch nie dagewesenen und brutalen Sanktionen des Westens gegen unser Land. Unter Berücksichtigung der derzeitigen Maßnahmen der Zentralbank ist es durchaus möglich, dass der Leitzins bis Ende dieses Jahres unter 10 Prozent pro Jahr fällt."

RT: Welche Auswirkungen könnte ein sinkender Leitzins auf den Hypothekenmarkt haben? Ist zu erwarten, dass die Behörden die Bedingungen des Programms für vergünstigte Wohnungsbaudarlehen weiter anpassen werden?

Aksakow: "Die Regierung ist schon dabei, die vergünstigten Hypotheken auf die neuen Gegebenheiten abzustimmen. Seit dem 1. Mai ist der Zinssatz für vergünstigte Kredite von 12 Prozent auf 9 Prozent pro Jahr gesunken. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass er dem Jahresergebnis 2022 zufolge möglicherweise wieder bei 7 Prozent liegen wird. Auch das durchschnittliche Marktzinsniveau für Konsumkredite im Lande wird sinken. Die derzeitige Situation begünstigt dies."

RT: Die Zinsen für Einlagen in Russland sinken derzeit ebenfalls. Trotzdem sind die Renditen für Bankeinlagen immer noch relativ hoch und das Interesse vieler Russen daran ist groß. Gibt es Pläne, die Obergrenze der Einlagengarantie von derzeit 1,4 Millionen Rubel unter diesen Umständen anzuheben?

Aksakow: "Tatsache ist, dass das derzeitige Limit mehr als 90 Prozent der Einlagen der Russen abdeckt. Daher ist eine Anhebung des maximalen Entschädigungsbetrags für Privatpersonen unwahrscheinlich. Unterdessen wird es in absehbarer Zeit Vorschläge zur Ausweitung der Liste von juristischen Personen geben, die dem Versicherungssystem unterliegen. Das sind zum Beispiel Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften, religiöse und andere Organisationen."

RT: Verschiedenen Schätzungen zufolge könnte das russische BIP in diesem Jahr aufgrund der vom Westen verhängten Sanktionen um 8 bis 10 Prozent sinken. Wie schätzen Sie die aktuelle Wirtschaftslage ein? Wann werden wir fähig sein, uns der neuen Realität anzupassen?

Aksakow: "Es sei darauf hingewiesen, dass die Regierung und die Zentralbank die Situation unter Kontrolle haben. Zugleich sind unsere östlichen Partner wie China, Indien und viele andere Länder zur Zusammenarbeit mit uns bereit und werden es auch weiterhin sein. Die Wirtschaft dürfte sich bis Ende dieses Jahres weitgehend angepasst haben.

Mir ist bekannt, dass sich die russischen Unternehmen jetzt sehr intensiv auf die Zusammenarbeit mit anderen ausländischen Partnern vorbereiten. Es ist nicht auszuschließen, dass wir nach der Schaffung neuer Geschäftsverbindungen, der Neuausrichtung von Logistikketten und der Einrichtung eines Finanz- und Verrechnungssystems ein viel effizienteres und optimaleres Modell für die Wirtschaft haben werden als vor den Sanktionen."

RT: Mehr als 400 ausländische Unternehmen haben den russischen Markt in den letzten zwei Monaten verlassen, und die Abwanderung westlicher Unternehmen hält an. Wie lässt sich die zurückgelassene Infrastruktur solcher Unternehmen nutzen? Wird es ausländischen Unternehmen möglich sein, in Zukunft zurückzukehren?

Aksakow: "Wir wissen, dass Dutzende von Unternehmen bereits begonnen haben, schrittweise nach Russland zurückzukehren. Ursprünglich kündigten diese Unternehmen ihren Ausstieg aus unserem Markt an und suspendierten ihre Tätigkeit, doch nun nehmen sie diese wieder auf oder verkünden einfach ihre Pläne zur Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit. Die Sache ist die, dass die Geschäftswelt verschiedene Pläne und Wege gefunden hat, um in Russland zu bleiben und Sanktionen zu umgehen.

Außerdem prüft die Staatsduma derzeit einen Gesetzentwurf, der die Einführung externer Verwaltung für Unternehmen vorsieht, die Russland verlassen. Anders ausgedrückt: Es wird geplant, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, damit all diese Unternehmen weiterarbeiten können. Im Falle von Problemen bei der Lieferung von Zubehörteilen haben wir bereits Gesetze erlassen, die den Parallelimport und die Produktion bestimmter Komponenten in Russland ermöglichen.

Selbstverständlich stehen uns Schwierigkeiten und mögliche Versorgungsunterbrechungen bevor. Generell aber kann die Wirtschaft neue Impulse zur Importsubstitution und zur Entwicklung auf Basis einer neuen technologischen Grundlage erhalten. Hier bietet sich die Möglichkeit einer technischen und intellektuellen Umstrukturierung der Volkswirtschaft, die sich künftig stärker auf ihr internes Potenzial stützen wird."

RT: Eine der größten Herausforderungen für Russland ist die Sperrung von beinahe der Hälfte der Gold- und Währungsreserven der Zentralbank. Dennoch kommt Moskau nach wie vor allen seinen Verpflichtungen nach. Inwieweit bedrohen solche Sanktionen die westlichen Länder selbst?

Aksakow: "Wie man sieht, verhalten sich die Vereinigten Staaten in Wirtschaftsangelegenheiten ziemlich rüpelhaft, treffen Sanktionsentscheidungen und blockieren Reserven. Deshalb werden viele Länder versuchen, sich künftig von der Dollarabhängigkeit zu verabschieden, um keine Risiken einzugehen.

Eigentlich schießen sich die USA nicht nur ins eigene Knie, sondern in den Kopf und zerstören selbst jene globale Herrschaft des Dollars, die ihnen viele Möglichkeiten zur Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme in ihrem Land bot. Offenbar ist Washington gerade nicht zur objektiven Einschätzung der langfristigen Folgen seines Handelns in der Lage."

RT: "Wie kommt die Prüfung des digitalen Rubels angesichts der Sanktionen voran? Für welchen Zeitpunkt ist die Inverkehrsetzung der elektronischen Landeswährung geplant?"

Aksakow: "Der Prototyp des digitalen Rubels ist erstellt worden und wird nun getestet. An dem Programm sollen sich inzwischen mehr als zehn Banken beteiligen. Es wird erwartet, dass die Tests bis Ende des Jahres abgeschlossen sein werden. Im Anschluss werden wir entscheiden, auf welche Weise der digitale Rubel in unserem und im internationalen Wirtschaftssystem in den Umlauf gebracht werden soll.

Die elektronische Landeswährung wird auf der Grundlage der Distributed-Ledger-Technologie (Blockchain) zirkulieren, und mit der Zeit werden zunehmend mehr Finanzmarktteilnehmer den digitalen Rubel verwenden. Dabei stimulieren die Sanktionen die Nutzung der Distributed-Ledger-Technologie für die gegenseitige Abwicklung von Zahlungen zwischen Ländern. Das heißt, die Entwicklung des digitalen Rubels, des digitalen Yuan und anderer elektronischer Währungen wird zur weiteren Entdollarisierung der Weltwirtschaft beitragen."

Mehr zum ThemaDie Inflation: gekommen, um zu bleiben