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Am 2. Mai erschien nun ein überraschender Artikel auf dieser Seite. Der Autor ist der indische Politikanalytiker Brahma Chellaney, der in Project Syndicate veröffentlicht, unter anderem in Harvard lehrt und Fellow der Robert Bosch Academy ist. Sein Beitrag trägt die Überschrift "Warum Sanktionen gegen Russland vielleicht nicht wirken".
Die westlichen Sanktionen, die mit wirtschaftlichen Massenvernichtungswaffen verglichen worden seien, seien ein zweischneidiges Schwert.
"Sie fügen Russland Schmerzen zu, aber legen auch demjenigen Kosten auf, der sie verhängt hat."
Der Westen befinde sich in einer Falle. Denn die steigenden Rohstoffpreise hätten die russischen Einnahmen erhöht, obwohl die Menge der Exporte gesunken sei. In den ersten zwei Monaten des Krieges in der Ukraine hätten sich die Einnahmen aus Brennstoffverkäufen fast verdoppelt, auf 62 Milliarden Euro. Und auch der Rubel sei gestiegen, dafür der Yen dramatisch gefallen. Die steigende Inflation und die Unterbrechung der Lieferketten hätten mittlerweile selbst für die Wall Street den schlechtesten Monat seit dem Corona-Absturz im März 2020 ausgelöst. Und durch Gegensanktionen könne Russland diesen Effekt noch verstärken.
"Es ist Tatsache, dass Russland das rohstoffreichste Land der Welt ist. Es ist unter den weltgrößten Exporteuren von Erdgas, Uran, Nickel, Öl, Kohle, Aluminium, Kupfer, Weizen, Dünger und wertvollen Metallen wie Palladium, das wertvoller als Gold ist und vor allem in Katalysatoren genutzt wird."
Der Westen habe mit seinen Sanktionen nach einer wirtschaftlichen "Shock and Awe"-Strategie gesucht. "Aber wie bewaffnete Konflikte sind die Ergebnisse von Sanktionen unvorhersehbar und führen oft zu unbeabsichtigten oder unerwünschten Konsequenzen."
Chellaney betont das Risiko, das darin bestehe, dass Russland immerhin eine Nuklearmacht sei, und hält es für unklug, die Ukraine mit westlichen Waffen zu versehen oder mit militärischen Informationen, wie die USA dies tun. Er hält die Absicht, Russland in einen Abnutzungskrieg zu verwickeln, für illusorisch und sieht Bidens Aussagen, einen Regimewechsel in Russland anzustreben, im Gegensatz zu der ebenfalls getätigten Aussage, eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland müsse vermieden werden.
Ein verlängerter Konflikt könnte genau das Gegenteil des Gewünschten ergeben.
"Was, wenn ein dadurch geförderter Nationalismus an Stelle eines geschwächten Russlands ein militärisch gefestigtes, neoimperiales Russland entstehen lässt?"
Ein militärischer Erfolg Russlands sei durchaus möglich, und die verhängten Sanktionen könnten Jahre benötigen, um die russische Wirtschaft ernsthaft zu schädigen. Gleichzeitig würden sie aber das westlich kontrollierte globale Finanzsystem, das sie schützen sollen, untergraben und schädigen, und der Gewinner hieße letztlich China.
"Dem Westen", so schließt Chellaney, "wird wenig anderes übrig bleiben, als mit Putin zu verhandeln, um den Konflikt zu beenden, wie es Javier Solana, ehemaliger NATO-Generalsekretär, der auch spanischer Außenminister war, vorhersagte. Solche Verhandlungen werden entscheidend sein, um die Zerstörung der Ukraine zu beenden und zu verhindern, dass Europa den höchsten Preis zahlt".
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