Im neuen Global Risks Report, den das Weltwirtschaftsforum (WEF) am Dienstag veröffentlicht hat, heißt es:
"COVID-19 und seine wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen stellen weiterhin eine kritische Bedrohung für die Welt dar. Die Ungleichheit und ein daraus resultierender ungleicher wirtschaftlicher Aufschwung drohen soziale Brüche und geopolitische Spannungen zu verstärken."
Der Bericht basiert auf den Meinungen von fast 1.000 Risikoexperten und Führungskräften aus aller Welt, die in den Bereichen Wirtschaft, öffentlicher Dienst, Regierung und Wissenschaft tätig sind.
Die Autoren der Studie rufen die Nationen dazu auf, sich gegen die "Divergenz" zu vereinen, die sich aus den ungleichen Impfraten in reicheren und ärmeren Ländern ergibt, wobei Letztere mit stärkeren wirtschaftlichen Hürden und einer längeren Erholungsphase konfrontiert sind.
In Äthiopien und Nigeria beispielsweise sind weniger als drei Prozent der Bevölkerung vollständig gegen COVID-19 geimpft, wie Zahlen von Our World in Data zeigen. In den USA sind es hingegen 62 Prozent der Bürger und in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Portugal fast 90 Prozent, die mindestens zwei Impfungen erhalten haben. Angesichts dieser Situation warnen die Autoren:
"Die sich daraus ergebenden globalen Divergenzen werden zu Spannungen führen – innerhalb und über Grenzen hinweg –, die die kaskadenartigen Auswirkungen der Pandemie verschlimmern und die Koordinierung erschweren könnten, die zur Bewältigung der gemeinsamen Herausforderungen erforderlich ist."
Viele Ökonomen weisen darauf hin, dass eine der schlimmsten Auswirkungen der Pandemie – abgesehen von der Zahl der Todesopfer – der Anstieg der wirtschaftlichen Ungleichheit sei, da Menschen auf der ganzen Welt mit unsicheren Arbeitsplätzen oder Bildungsproblemen zu kämpfen haben. Der Bericht lässt die bestehenden Sorgen über das Tempo der weltweiten Konjunkturerholung nicht aus:
"Obwohl sich die Beschäftigung in vielen fortgeschrittenen Volkswirtschaften dem Niveau vor der Pandemie annähert, hinkt die Erholung der Beschäftigung nach der COVID-19-Krise weltweit der wirtschaftlichen Erholung hinterher."
"Jugendliche, Frauen und gering qualifizierte Arbeitnehmer sind besonders betroffen. Die Weltwirtschaft wird mindestens bis 2023 brauchen, um die durch COVID-19 verlorenen Arbeitsplätze neu zu schaffen."
Die Mehrheit der Befragten ist sich einig, dass die pandemiebedingte wirtschaftliche Stagnation das schwerwiegendste Problem bleibt. Außerdem würden die wirtschaftlichen Folgen weiterhin die Fähigkeit der Länder beeinträchtigen, die Ausbreitung des Virus zu kontrollieren und eine nachhaltige Erholung zu ermöglichen. Die Autoren stellen fest:
"Die makroökonomischen Aussichten bleiben schwach, und es wird erwartet, dass die Weltwirtschaft bis 2024 um 2,3 Prozent kleiner ausfallen wird, als sie es ohne die Pandemie gewesen wäre."
Insgesamt sind nur 16 Prozent der Befragten optimistisch, was die Aussichten für die Welt angeht, während nur elf Prozent glauben, dass sich die globale Erholung beschleunigen wird. In dem Bericht heißt es weiter:
"Die meisten Befragten erwarten stattdessen, dass die nächsten drei Jahre entweder durch anhaltende Volatilität und zahlreiche Überraschungen gekennzeichnet sein werden oder aber ein Riss in der Entwicklung, die relative Gewinner und Verlierer voneinander trennen wird."
Überraschenderweise hat die Mehrheit der in der Studie befragten Experten jedoch die wirtschaftlichen Probleme nicht als die das größte globale Risiko für die kommenden Jahre charakterisiert. In der Liste der größten Risikos für die kommenden Jahre wurden "Lebensunterhaltskrisen" an fünfter, "Schuldenkrisen" und "geo-ökonomische Konfrontation" an neunter beziehungsweise zehnter Stelle genannt. Politiker und Geschäftsleute schienen sich mehr Sorgen um das Klima zu machen, denn "Versäumnisse bei den Klimamaßnahmen" rangieren auf der Liste der globalen Risiken an erster Stelle.
Die Ansichten sind jedoch von Land zu Land unterschiedlich. Während sich die meisten europäischen Experten über das Klima Sorgen machen, sorgen sich die Befragten aus Australien, Großbritannien und Neuseeland um die Cybersicherheit. Die japanischen Experten nennen eine "anhaltende wirtschaftliche Stagnation" als ihre größte Sorge, die Experten aus den USA und Südkorea sprechen von "Vermögensblasen". Experten in Indien sorgen sich vor allem über den "Bruch der zwischenstaatlichen Beziehungen", und die Teilnehmer aus China nennen "extreme Wetterereignisse" als ihre größte Sorge.
Das Weltwirtschaftsforum veröffentlicht seinen jährlichen Risikobericht in der Regel vor dem Davoser Gipfeltreffen der Weltwirtschaftselite. Das diesjährige Treffen wurde jedoch kürzlich pandemiebedingt verschoben – das zweite Jahr in Folge.
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