Auf die in Deutschland noch zu fällende Entscheidung über den Betriebsbeginn der Erdgasmagistralleitung Nordstream 2 aus Russland nach Europa wird Polens Position keinerlei Einfluss haben. Diese Einschätzung gab Russlands Botschafter in Polen Sergei Andrejew in einem Interview an die russische Zeitung Iswestija ab. Damit reagierte er auf eine Äußerung des polnischen Ministerpräsidenten. Mateusz Morawiecki hatte nach einem jüngsten Treffen mit Bundeskanzler Kanzler Olaf Scholz erklärt, Warschau verliere nicht die Hoffnung, den Start der Gaspipeline nicht zuzulassen, und versuche, "mit seinen deutschen Partnern" eine Lösung zu finden.
Der Diplomat bezeichnete die Argumente gegen das russische Projekt als unhaltbar und die realen Möglichkeiten Polens in dieser Angelegenheit seien begrenzt. Andrejew betonte:
"Was den Start von Nord Stream 2 betrifft, so wird die Entscheidung natürlich nicht in Polen getroffen."
Der Diplomat kommentierte auch generell die von Polens Regierung eingenommene Haltung gegenüber dem russischen Konzern Gazprom: Die Absichtserklärung des polnischen Regierungsvertreters für Energieinfrastruktur Piotr Naimski, den langfristigen Vertrag über die Belieferung über die Leitung Jamal-Europa Ende 2022 auslaufen zu lassen, hält er für wenig vorausschauend – selbst in Anbetracht alternativer Quellen:
"Polen hat theoretisch gesehen ausreichende Möglichkeiten, das Erdgas aus Russland mit Importen aus anderen Quellen zu ersetzen – darunter über die Baltic Pipeline mittels Ausbau von Flüssigerdgaslieferungen."
"Die Frage ist, ob die polnische Seite es schafft, Erdgas zu genauso günstigen oder gar noch günstigeren Konditionen zu beziehen wie von Gazprom. Zu diesem Teil der Sache bestehen, gelinde ausgedrückt, starke Zweifel."
Für ähnlich aussichtslos hält der Diplomat auch die Forderungen der polnischen Ministerin für Umwelt- und Klimaschutz Anna Moskwa, gegen Gazprom eine antimonopolrechtliche Ermittlung einzuleiten. Zur Erinnerung: Warschaus Schuldzuweisungen für die aktuelle Energiekrise in Europa richten sich ausschließlich gegen den russischen Gaslieferanten, nicht jedoch gegen den Erdgasexporteur Norwegen und auch nicht gegen die Hersteller von Flüssigerdgas, USA und Katar.
Gleichwohl können auch solche Forderungen zu ähnlich sinnbefreiten Handlungen führen:
"Das ganze Thema der Beziehungen zwischen Russland und der EU in der Sache Erdgas ist auch infolge der Bemühungen offizieller Vertreter Polens bis zum Äußersten politisiert."
"Die Forderungen der polnischen Ministerin nach einer kartellrechtlichen Untersuchung gegen Gazprom wirken bei genauer Lagebetrachtung sehr seltsam und scheinen keine gewichtigen Grundlagen zu haben und folglich keine Aussichten auf Erfolg."
"Doch wie die Erfahrung zeigt, bedeutet dies nicht, dass aus diesen seltsamen Appellen nicht irgendeine weitere seltsame Causa gegen Russland erwachsen wird."
Die Ostseepipeline Nord Stream 2 war vor Wochen fertiggestellt worden. Der Präsident der für die Betriebserlaubnis zuständigen Bundesnetzagentur Jochen Homann betonte am Donnerstag, dass über eine Erlaubnis für den Gastransport noch nicht vor Mitte 2022 entschieden werde. Die Pipeline wird seit langem von den USA, aber auch von einigen EU-Ländern scharf kritisiert. Sie befürchten eine zu große Abhängigkeit von Russland bei der Energieversorgung.
Russland sieht alle Versuche, seine Öl- und Gasexporte nach Europa zu behindern, als unlauteren Wettbewerb, der die Grundsätze des freien Marktes untergräbt. Das Projekt Nord Stream 2 stellt zwei parallel verlaufende Gasleitungen von jeweils 1.230 Kilometer Länge für den Gastransport aus Russland durch finnische, schwedische, dänische und deutsche Gewässer der Ostsee nach Deutschland. Die Leitung kann jährlich ungefähr 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas transportieren.
In jüngster Zeit spekulieren westliche und ukrainische Medien über eine mögliche militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. Moskau weist diese Vorwürfe entschieden zurück und behauptet, dass der Westen diese Anschuldigungen zum Anlass nehme, um an den russischen Grenzen noch mehr NATO-Kräfte zu stationieren.
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