Leere Regale in den Geschäften und Supermärkten sowie leere Zapfsäulen an den Tankstellen sorgen derzeit in Großbritannien für eine Versorgungskrise. Eine solche kann auch Deutschland und andere Länder treffen – weil auch hier längst Tausende LKW-Fahrer fehlen. Davor warnten in den letzten Wochen eine Reihe von Experten, wie das Online-Politik-Magazin German Foreign Policy (GFP) am Donnerstag schreibt.
In dem zusammenfassenden Beitrag über die "Versorgungskrise am Horizont" kommt unter anderem der Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung, Dirk Engelhardt, zu Wort. Er sagte Anfang September gegenüber der ARD: "Wir warnen davor, dass wir auch in Westeuropa sehenden Auges in einen Versorgungskollaps laufen."
Die Ursachen dafür sind laut der GFP-Analyse weniger die COVID-19-Pandemie oder der Brexit –wie im Fall Großbritanniens. Grundsätzlich sorgen vielmehr die schlechten Arbeitsbedingungen und geringen Löhne hierzulande dafür, dass immer weniger Menschen bereit sind, sich an das Steuer eines Lkw zu setzen. Damit würden in der EU "allgemein meist Arbeitskräfte aus Europas östlicher und südöstlicher Peripherie abgefunden".
Ursache: Ausbeutung
Neben dem Brexit sei diese Ursache auch in Großbritannien der Hauptgrund für die Versorgungskrise. Die miserablen Arbeitsbedingungen würden vor allem Jüngere abschrecken. Das Durchschnittsalter der Lkw-Fahrer wird mittlerweile mit 55 Jahren angegeben. Laut GFP berichten die bundesdeutschen Branchenverbände, dass hierzulande 60.000 bis 80.000 Lkw-Fahrer fehlen.
"Als Haupthindernis beim Anwerben neuer Fahrer gelten allerdings auch in Deutschland die niedrigen Löhne sowie die miserablen Arbeitsbedingungen", heißt es in den letzten Monaten mit Verweis auf entsprechende Medienberichte immer wieder. Zugleich weist die Branche auch auf die Verantwortlichen für diese Situation hin:
"Möglich ist die Aufrechterhaltung von Dumpinglöhnen und miserablen Arbeitsbedingungen dank der EU. Die Voraussetzungen dafür schafft das kaum veränderte Wohlstandsgefälle in der Union, in Verbindung mit dem Binnenmarkt und der Arbeitnehmerfreizügigkeit."
Deutsche Konzerne würden ihre Transporte aus Kostengründen von Lkw-Firmen mit Sitz in Ost- und Südosteuropa erledigen lassen. Eine Studie im Auftrag der EU beziffert laut GFP den "Kostenvorteil" dort ansässiger Fahrer auf "mehr als 170 Prozent". Ein weiterer Grund sei, dass "die systematische Ausbeutung ost- und südosteuropäischer Lkw-Fahrer auch deswegen gelingt, weil es mehreren Staaten der Region gelungen ist, den Frachtverkehr auf der Straße zu einer Säule ihrer Wirtschaft auszubauen."
Regierung für mehr Lohn
Das System des Lkw-Transports mit billigen Fahrern stoße an seine Grenzen, sodass polnische Speditionen längst Personal aus Ländern östlich der EU suchen würden, schreibt GFP weiter. "Angeworben werden Fahrer längst nicht mehr nur aus der Ukraine und Moldawien, sondern auch aus Belarus oder aus Kasachstan, zuweilen sogar aus den Philippinen." Dennoch lasse sich der Bedarf unter den Bedingungen von Dumpinglöhnen und miserablen Arbeitsbedingungen nicht mehr decken, so das Politik-Magazin.
Dafür dürften auch bessere Arbeitsbedingungen außerhalb der EU sorgen. "Philippinische Fahrer beispielsweise berichten, sie seien in Saudi-Arabien besser behandelt worden als in Europa", wird aus einem Bericht bei Deutschlandfunk Kultur zitiert.
Aus Großbritannien hört man laut GFP Meldungen darüber, dass erste Unternehmen Lkw-Fahrern nun deutliche Lohnerhöhungen in Aussicht stellten. Auch die Regierung in London dränge inzwischen darauf, den Fahrern "mehr zu zahlen, statt den Markt nur mit billiger Arbeit zu überfluten." Sie gerate dadurch jedoch in Konflikt mit der auf Lkw-Transporte angewiesenen Industrie, heißt es.
Mehr zum Thema - Medienberichte: Großbritannien will wegen Treibstoffmangels Soldaten als Lkw-Fahrer einsetzen