von Susan Bonath
Nordrhein-Westfalen (NRW) hat einen Hotspot. Und der war schon lange vor Corona da. Im Ruhrpott, wo sich einst die Kohlekumpel nach Feierabend mit ihren SPD-Genossen versammelten, breiten sich heute Niedriglohn und Arbeitslosigkeit aus. Im Brennpunkt Gelsenkirchen betrug das durchschnittliche verfügbare Einkommen der Menschen zuletzt gerade 16.312 Euro – pro Jahr. Das geht aus dem kürzlich veröffentlichten Armuts- und Reichtumsbericht der Landesregierung hervor, über den zuerst unter anderem die Ruhr Nachrichten berichteten.
Damit verdienten die Beschäftigten in Gelsenkirchen im Mittel etwa 70 Prozent des westdeutschen Nettolohn-Durchschnitts und sogar über 40 Prozent weniger, als im NRW-Landkreis Olpe. Zudem stieg laut Daten die Niedriglohn-Quote in ganz NRW im ersten Corona-Jahr weiter an. Fast ein Fünftel aller lohnabhängig Beschäftigten (19,6 Prozent) verdiente weniger als 2.289 brutto, sechs Jahre zuvor waren es genau 19 Prozent. Die Zahl der Überschuldeten wuchs von knapp 1,7 auf 1,75 Millionen Menschen an. Insgesamt sei die Lohnentwicklung in NRW hinter der in Westdeutschland und dem gesamten Bundesgebiet zurückgeblieben, heißt es im Bericht. Außerdem wachse die Einkommensschere zwischen Führungskräften und Angelernten sowie deutschen Beschäftigten und solchen mit Migrationshintergrund.
Osten bleibt abgehängt
Wie Experten von Gehalt.de in einem jüngst veröffentlichten neuen "Gehaltsatlas" darstellen, blieb der Osten bei den abhängigen Einkommen aber weiter abgehängt. Das Lohnniveau in Mecklenburg-Vorpommern betrug zuletzt nur 78 Prozent vom bundesweiten Mittel, in Sachsen-Anhalt lag es bei 80,5 Prozent, gefolgt von Brandenburg (81,2 %), Sachsen (81,5 %), Thüringen (83 %) und Berlin (94,3 %).
Ein Sinken der Reallöhne im ersten Pandemie-Jahr um rund ein Prozent konstatierten die Zahlenspezialisten vom Statistischen Bundesamt. Ein kleiner Teil davon gehe auf leicht gestiegene Verbraucherpreise zurück. "Somit mussten die Arbeitnehmer in Deutschland im Jahr 2020 anders als zu Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 Verdiensteinbußen hinnehmen", konstatiert die Behörde. Dies sei der erste nominale Rückgang seit der ersten Erhebung dieser Daten im Jahr 2007. Das geringere Kurzarbeitergeld hätten die Statistiker dabei noch nicht berücksichtigt.
Jobbörse und Ausbildungsmarkt im Shutdown
Vorbei sind vorerst die Durchhalte-Parolen der meisten Wirtschaftsexperten. Das Münchner Ifo-Institut meldete für den Februar ein "fallendes Beschäftigungsbarometer". Heißt: "Die deutschen Unternehmen planen, Arbeitsplätze abzubauen." Insbesondere im Einzelhandel sinke derzeit die Zahl der Arbeitsstellen, bei den Dienstleistern zeige sich ebenfalls "eine gewisse Skepsis bei der Personalplanung", so die Marktforscher des Instituts. Grund sei der fortgesetzte Lockdown.
Die Krise trifft auch Jugendliche, die sich nach der Schule verdingen müssen. Einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge plant jedes zehnte Unternehmen, sein Angebot an Lehrstellen 2021 herunter zu fahren oder ganz zu kappen. Besonders kleine Betriebe verzichten auf den Nachwuchs. Als Grund habe die Mehrheit dieser Firmen "unsichere Geschäftserwartungen durch die COVID-19-Pandemie" angegeben.
Führt die Krise in die Inflation?
Derweil sehen Wirtschaftsexperten eine übermäßige Geldentwertung im Anmarsch. Bis Jahresende werde die Inflationsrate auf über drei Prozent ansteigen, prognostizierte Bundesbankpräsident Jens Weidmann gegenüber dem Manager Magazin. Gegensteuern hält er aber für unnötig. Anders sein Amtsvorgänger Axel Weber, heute Chef der Schweizer Großbank UBS: Möglicherweise stehe ein "Comeback der Inflation" und ein "böses Erwachen" bevor. Damit steht Weber nicht alleine da.
Einen rascheren Abwärtstrend beim Geldwert deuten neue Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat an. Nachdem die Verbraucherpreise in der Eurozone 2020 leicht gesunken waren, zogen sie im Januar überdurchschnittlich an, im Mittel um 0,9 Prozent, im EU-Gebiet um 1,2 Prozent und in Deutschland sogar um 1,6 Prozent. Spitzenreiter waren Polen (3,6 %), Ungarn (2,9 %) und Tschechien (2,2 %). Am stärksten stiegen demnach Ausgaben für Dienstleistungen, Industriegüter, Lebensmittel und Energie.
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