Skandal mit System? – Schweizer AHV-Vermögen in amerikanischen Händen

Die Verlagerung des AHV-Vermögens von der altehrwürdigen UBS zur Münchner Tochter der US-Bank State Street ist mehr als nur ein finanzieller Schachzug – sie ist ein Paradebeispiel für die Entmündigung der Schweizer Souveränität im globalisierten Finanzkarussell.

Von Hans-Ueli Läppli 

Seit Dezember 2023 werden die Milliarden der AHV-, IV- und EO-Fonds nicht mehr in Schweizer Tresoren, sondern unter den Augen amerikanischer Banker in München verwahrt.

Der Grund?

Compenswiss, die Verwalterin des Vorsorgefonds, winkt mit dem Zauberwort "Kosteneinsparungen". Die gleiche Leier, die man schon bei der Privatisierung von Wasserversorgern oder dem Kahlschlag in der Industrie gehört hat.

Doch statt stolz die Eigenständigkeit des Schweizer Finanzplatzes zu sichern, ließ man sich von der vermeintlichen Effizienz einer US-Bank blenden.

Rüetschis Zorn: Eine Stimme der Vernunft oder ein Rufer in der Wüste?

Der Aargauer Jurist Albert Rüetschi hat die Nase voll. Mit drastischen Worten wie "Verrat" und "krass verfassungswidrig" fordert er Köpfe, Köpfe und nochmals Köpfe – und das zu Recht.

Albert Rüetschi sieht rot.

Für ihn ist die Verlagerung ein gefährlicher Schachzug, der die Schweiz in die Abhängigkeit der USA manövriert.

Seine Argumentation klingt nach einem Kapitel aus einem geopolitischen Thriller: Die US-Behörden könnten die AHV-Milliarden blockieren, sollte Washington dies politisch opportun finden. Und wer würde es ihnen verdenken?

Das Bankengeheimnis ist tot, und die Schweiz wird zunehmend zum Spielball fremder Mächte.

Rüetschi fordert deshalb nicht nur die Rückführung des Vermögens, sondern plädiert für eine Übertragung an die Kantonalbanken – jene bodenständigen Institute, die angeblich für Stabilität und Nähe stehen.

Doch Pro-NATO-Kritiker werfen ihm Naivität vor: Können Kantonalbanken wirklich das hochkomplexe Geschäft des Global Custody übernehmen, ohne auf internationale Dienstleister zurückzugreifen?

Die Antwort lautet: Ja, sie können – vorausgesetzt, sie übernehmen die Kontrolle über das Geld und bauen die notwendigen Strukturen konsequent aus.

SNB zeigt, wie's geht: Global Player aus der Schweiz – und die AHV gibt ihr Geld Amis?

Ein Blick auf die Schweizerische Nationalbank (SNB) zeigt, dass es möglich ist, ein komplexes globales Portfolio eigenständig zu verwalten. Die SNB hat dies von der Schweiz aus erfolgreich umgesetzt. Interessanterweise war die SNB einst sogar einer der größten Aktionäre von Facebook (heute Meta Platforms) und hielt zeitweise mehr Aktien als Mark Zuckerberg selbst.

Das zeigt, dass es nicht nur um die Frage geht, ob Kantonalbanken über ausreichende Kapazitäten verfügen, sondern vielmehr um den politischen Willen und die strategische Vision, solche Kompetenzen aufzubauen.

Kritiker argumentieren häufig, dass Kantonalbanken am Ende ebenfalls auf globale Akteure wie State Street oder J.P. Morgan angewiesen wären, um ausländische Vermögenswerte zu verwahren. Doch das greift zu kurz. Mit einer gezielten staatlichen Unterstützung könnten Schweizer Kantonalbanken ihre Fähigkeiten im Bereich des Global Custody erheblich erweitern und schrittweise die Kontrolle über internationale Portfolios zurückgewinnen.

Zudem ist es eine Frage der nationalen Souveränität: Wenn ein Land wie die Schweiz nicht einmal die Verwaltung der eigenen Altersvorsorge in die Hand nehmen kann, stellt sich die Frage, was von der oft gepriesenen Unabhängigkeit übrig bleibt.

Die SNB hat gezeigt, dass es möglich ist, auch auf internationaler Ebene bedeutende Rollen einzunehmen und dabei die Kontrolle im Inland zu behalten. Warum sollte dies für Kantonalbanken, die vom Steuerzahler getragen werden und einen klaren öffentlichen Auftrag haben, nicht ebenfalls erreichbar sein?

Die Compenswiss-Antwort: "Alles halb so schlimm"

Compenswiss kontert die Vorwürfe mit dem lapidaren Verweis, das Risiko eines US-Zugriffs sei "höchst unwahrscheinlich". Dasselbe wurde auch über eine Bankenkrise gesagt – bis Lehman Brothers fiel. Die Verantwortlichen argumentieren, dass US-Vermögenswerte bereits seit über 20 Jahren in den USA verwahrt würden, ganz so, als sei dies ein Argument für Kontinuität und nicht für Fahrlässigkeit.

Und ja, Kosteneinsparungen seien beträchtlich, so Compenswiss.

Doch zu welchem Preis? Ist die Verwaltung von Vorsorgegeldern nicht mehr als nur ein Posten in der Bilanz?

Ein Vorschlag, der Köpfe rollen lässt – aber wohin?

Rüetschis radikale Forderung, den Verwaltungsrat der Compenswiss zu entlassen, ist ein Affront gegen das institutionelle Establishment.

Doch er spricht aus, was viele denken: Die Entscheidungsträger agieren nicht nur fernab des Volkswillens, sondern auch fernab der Realität.

Die Lösung, die Rüetschi anbietet, mag theoretisch verlockend klingen – eine Rückbesinnung auf lokale Strukturen. Doch sie ist in der Praxis ebenso kompliziert wie der globale Finanzmarkt selbst. Ohne internationale Kooperation werden sich die Kantonalbanken wohl kaum als Heilsbringer etablieren können.

Ein Weckruf für die Schweiz

Die Diskussion um das AHV-Vermögen ist mehr als nur eine Debatte über Kosteneffizienz oder juristische Spitzfindigkeiten. Sie ist ein Symbol für den schleichenden Verlust der Eigenständigkeit. Albert Rüetschi mag polarisieren, doch seine Kritik zeigt eines deutlich: Die Schweiz darf nicht länger die Augen vor den Risiken verschließen, die mit der Globalisierung ihrer Vorsorgegelder einhergehen.

Am Ende bleibt die Frage: Wann wacht der Bundesrat auf? Hoffentlich nicht erst, wenn der US-Finanzminister persönlich über die Zukunft unserer Altersvorsorge entscheidet.

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