In der Schweiz reiben sich Bänker und Währungshändler derzeit verblüfft die Augen: So stark war die Nationalwährung der Eidgenossen, der Franken, im Verhältnis zum Euro noch nie. Wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am 22. September meldete, wurden in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag für einen Euro zeitweise nur noch 0,9475 Franken bezahlt. Dies war, so recherchierte die NZZ, der niedrigste Stand seit dem Start des Euro. Zum Vergleich: Vor einem Jahr gab es für einen Euro noch 1,08 Franken.
Nach der Zinserhöhung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) um 0,75 Prozentpunkte stieg der Euro am Donnerstagvormittag indessen wieder über die Marke von 0,96 Franken. Die SNB habe die Finanzmärkte enttäuscht, kommentierte daraufhin die Nachrichtenagentur Bloomberg. Denn anscheinend waren einige Marktteilnehmer davon ausgegangen, die SNB werde den Leitzins noch stärker erhöhen.
Doch an einem zu starken Franken hat in der Exportnation Schweiz niemand ein Interesse: Ein im Vergleich zu der Nationalwährung zu schwacher Euro führt zu höheren Preisen für die europäischen Käufer von Schweizer Produkten und schwächt die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Industrie. Dies erklärt nach Auffassung einiger Experten die Zurückhaltung der Nationalbank.
Die Schweizer Bänker haben die Kursstabilität allerdings nur bedingt in der eigenen Hand. Nach übereinstimmender Meinung von Finanz- und Börsenexperten ist nicht der Franken zu stark geworden – es ist der Euro, der ins Bodenlose abzustürzen droht. Die europäische Gemeinschaftswährung hat gegenüber dem Franken seit Anfang des Jahres mehr als 8 Prozent an Wert eingebüßt. Als Gründe für die Euro-Schwäche gelten vor allem die schlechten Aussichten für die europäische Wirtschaft infolge der Gas-Krise, und auch die hohe Inflation.
Im Verhältnis zum Dollar verfällt der Euro ebenfalls immer mehr. In der Nacht auf Donnerstag wurden für einen Euro zeitweise nur noch 0,9809 Dollar bezahlt. Dies war der niedrigste Stand seit rund 20 Jahren. Am Mittwochabend hatte die US-Notenbank Federal Reserve angekündigt, den Leitzins zum dritten Mal in Folge um 0,75 Prozentpunkte anzuheben. Der Dollar gelte vielen Investoren angesichts der schwierigen geopolitischen Lage als sicherer Hafen, mutmaßt die NZZ.
Bei alldem spielt die Energieabhängigkeit Europas von russischem Gas eine wichtige Rolle. Die NZZ zitiert in diesem Zusammenhang Sven Schubert, einen Anlagestrategen bei der Bank Vontobel. Laut dem Experten seien die Gasspeicher im EU-Durchschnitt mit 60 Prozent relativ gut gefüllt. Doch sei es fraglich, ob Energie-Rationierungen in diesem Winter vermieden werden können. Die EU konsumiere in einem normalen Winter rund die doppelte Menge des derzeitig gelagerten Gases. Letztlich hänge es auch vom Verlauf des Winters sowie der Nutzung möglicher alternativer Energiequellen ab, ob eine Energiekrise vermieden werde. Eine solche könnte indessen die europäische Wirtschaft in die Rezession stürzen.
Die Schweiz sei laut den Ökonomen der Raiffeisenbanken, anders als die EU, wegen ihrer geringeren Gasabhängigkeit und Energieintensität weniger stark betroffen als die Euro-Zone. Was sich im Euro-Franken-Wechselkurs widerspiegelt.
Die Exportabhängigkeit der Schweizer Wirtschaft lässt die Experten jedoch fürchten, dass eine massive Rezession in der EU auch die Eidgenossenschaft in Mitleidenschaft ziehen könnte. Egal, wie mustergültig die eigene Währungspolitik auch sein mag. Darum lässt die Rekordstärke des Franken in Bern und Zürich auch keinerlei Freude aufkommen.
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