Sputnik: Das nächste Jahr ist in den USA wieder so gut wie ein Wahlkampfjahr. Ist eine erneute Abkühlung der Beziehungen zu erwarten? Können wir darauf hoffen, dass zumindest eine bescheidene positive Dynamik bei den Kontakten auf höchster Ebene erhalten bleibt? Wo und wann könnte so etwas mit Blick auf das Absagen des Treffens in Argentinien zustande kommen? Ist es wahr, dass von Januar die Rede ist?
Sergei Lawrow: Wir sind bereits daran gewöhnt, dass konjunkturbedingte Faktoren, die mit der amerikanischen Innenpolitik in Verbindung stehen, unsere bilateralen Beziehungen beeinflussen und zusätzliche Schwierigkeiten beim Aufbau eines Dialogs schaffen. In letzter Zeit hängt das Maß dieses Einflusses nicht einmal davon ab, in welcher Wahlzyklus-Phase sich die USA befinden. Es kann natürlich erwartet werden, dass sich einzelne Politiker in Washington beim Näherrücken der nächsten Präsidentschaftswahlen im November 2020 immer aktiver und beharrlicher bemühen werden, die "russische Karte" auszuspielen. Wir hoffen, dass dies das Fundament der bilateralen Beziehungen nicht weiter zerrütten wird, denn es ist sowieso nicht im besten Zustand.
Wir setzen uns konsequent für die Entwicklung eines normalen, berechenbaren Dialogs mit den USA auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt und unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ein. Fortschritte in dieser Richtung sind uns bislang nicht gelungen, denn Washington handelt nicht im freundschaftlichen Sinne und versucht fortwährend, mit wirtschaftlichen, militärpolitischen und anderen Instrumenten Druck auf uns auszuüben. Deswegen kommt die Arbeit in wichtigen Richtungen der bilateralen und globalen Agenda ins Stocken, unter anderem jene, welche die globale Stabilität und Sicherheit aufrechterhalten soll.
Wenn wir diese Frage etwas weiter fassen und – wenn Sie so wollen – philosophisch betrachten, so liegt das Hauptproblem unserer Beziehungen darin, dass die USA sie nie eigenständig betrachtet haben. Russland ist für das politische US-Establishment ein Objekt. Wir werden dämonisiert, um Europa zu disziplinieren und die euro-transatlantische Verbindung zu festigen. Oder es wird gegenwärtig in vollem Ernst diskutiert, wie Russland gegen China ausgenutzt werden könnte. Auch die Versuche, einen Machtwechsel in unserem Land zu inspirieren oder die Politik zu verändern – und an dieser Illusion leiden viele in Washington – werden durch den Wunsch diktiert, aus uns ein Instrument für die Bedienung von US-Interessen zu machen.
Wir kennen Länder, denen die Amerikaner diese Rolle aufgedrängt haben, doch natürlich wird das bei uns nicht gelingen. Und solange diese "Objektivierung" Russlands – anscheinend ein Erbe des Kalten Krieges – nicht aus dem Bewusstsein der amerikanischen Elite und aus der Praxis verschwunden ist, werden sich die Beziehungen nicht ändern. Diese "wählerische Interaktion" ist mangelhaft. Dadurch können weder positive Tendenzen gefestigt noch eine berechenbare Zukunft gesichert werden.
Wir bauen unsererseits die Beziehungen mit jedem Staat als eine Sache auf, die an sich wertvoll ist. Wir sind bereit, auch mit Amerika in diesem Sinne zu handeln. Ich sage es noch einmal: konstruktive bilaterale Beziehungen haben ein riesiges Potential, was aber bereits viele Jahrzehnte lang ungenutzt bleibt. Meiner Meinung nach verdienen unsere Völker viel Besseres, als was wir jetzt haben.
Was die Kontakte auf höchster Ebene betrifft, so hat Präsident Wladimir Putin bei der anschließenden Pressekonferenz des G-20-Gipfels in Buenos Aires erklärt, dass er für ein Treffen mit dem US-Präsidenten offen sei, wenn die amerikanische Seite dazu bereit sein werde. Jetzt ist es schwer zu sagen, wo und wann solch ein Kontakt zustande kommen kann.
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Sputnik: Allem Anschein läuft alles auf einen Zusammenbruch des INF-Vertrags hinaus. Verhandelt Russland mit den USA und der EU über irgendwelche Garantien, damit keine Raketen mittlerer und kurzer Reichweite auf europäischem Territorium stationiert werden? Sind unsere Partner bereit, irgendwelche verbindlichen Garantien zu geben? Wenn nicht, womit werden wir antworten? Wieder mit Raketen wie auf Kuba?
Sergei Lawrow: Wir sind überzeugt, dass das Platzen des INF-Vertrags imstande ist, der internationalen Sicherheit und der strategischen Stabilität einen harten Schlag zu versetzen. Wir müssen warnen: wir sind nicht in der Lage, das Errichten neuer amerikanischer Raketen, die uns und unsere Verbündeten bedrohen, zu ignorieren, und wir werden das auch nicht tun. Es darf keine Zweifel geben, dass wir über die notwendigen Mittel zur Gewährleistung der eigenen Sicherheit verfügen. Wir sind auch imstande, unser Abwehrpotential zusätzlich auszubauen. Doch Russland ist – wie jedes andere vernünftige Land – nicht an einem Wettrüsten und an neuen "Raketenkrisen" interessiert.
Wenn es in den USA noch Kräfte gibt, die die von Washington eingelegte Pause nutzen wollen, um Wege zur Rettung des INF-Vertrags zu suchen, so sind wir dafür offen. Wir rufen dazu auf, die Erpressungsversuche und das Verbreiten von Beschuldigungen ohne Beweis zu unterlassen und uns stattdessen wahrhaft sachlicher und konstruktiver gemeinsamer Arbeit an den gegenseitigen Besorgnissen zuzuwenden. Wir haben Pentagon-Chef James Mattis vor Kurzem durch einen Brief vom russischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu offiziell vorgeschlagen, diese Arbeit zu beginnen, haben auch bei den Kontakten des russischen Außenministeriums mit dem State Department mehrmals versucht, einen professionellen Dialog zum INF-Vertrag zu beginnen. Antworten darauf gibt es bislang noch keine.
Beim Gipfeltreffen in Helsinki am 16. Juli haben wir den Amerikanern konkrete und komplexe Verschläge zur Agenda einer seit langem überfälligen vertieften Diskussion über die strategische Stabilität und Rüstungskontrolle überreicht. Leider ist seitens der USA bislang kein Wunsch erkennbar, mit uns zu verhandeln. Sie weichen einem Dialog aus, bieten keine Garantien an und ziehen es anscheinend vor, völlig freie Hand für sich behalten zu wollen.
Insgesamt sind wir zur Zusammenarbeit in verschiedenen Formaten bereit, unter Teilnahme aller Länder, die sich ihrer Verantwortung für den Frieden und die Sicherheit bewusst sind.
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Sputnik: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit eines direkten bewaffneten Konflikts zwischen Russland und den USA beziehungsweise zwischen Russland und der NATO? Bereitet sich unser Land auf solch eine Entwicklung vor?
Sergei Lawrow: Ich glaube, alle in der Welt verstehen sehr wohl: ein bewaffneter Konflikt, an dem die führenden Nuklearmächte, also Russland und die USA, teilnehmen werden, würde katastrophale Folgen für die Menschheit bringen. Es gibt keine Zweifel, dass es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und dass ein solcher niemals entfesselt werden soll.
Doch dabei müssen wir feststellen, dass Washington und seine Verbündeten in ihrer Fixierung auf ihre eigenen geopolitischen Ambitionen nicht bereit sind, sich an die globale Realität anzupassen, die sich nicht zu ihren Gunsten verändert. Daher rühren sowohl das Bestreben, diese Prozesse mit allen Mitteln zurückzudrängen, als auch die gewachsene Aggressivität in den außenpolitischen Angelegenheiten. Die Konfrontationsstimmung wird angeheizt, die Kanäle für den Dialog werden eingefroren. Besondere Besorgnis rufen die Schritte zum Abbruch der großen internationalen Verträge im Bereich der strategischen Stabilität hervor.
Solch eine Taktik der Konflikte, die auf Methoden der Druckausübung beruht, führt unausweichlich zu weiteren Gleichgewichtsstörungen in der globalen Sicherheitsarchitektur und fördert das Wettrüsten. Es kann darüber hinaus eine Situation entstehen, in der der Preis eines Fehlers oder Missverständnisses fatal werden kann.
Natürlich unternehmen wir die notwendigen Schritte zur Verteidigung unserer nationalen Interessen und zur Stärkung der Abwehrfähigkeit des Landes. Das hat auch Präsident Wladimir Putin mehrmals gesagt. Doch bei all dem hoffen wir, dass der gesunde Menschenverstand überwiegen wird. Denn sowohl Russland als auch die westlichen Staaten tragen bei allen Unterschieden ihrer Positionen gemeinsam einen riesigen Teil der Verantwortung für die Zukunft der ganzen Menschheit und für die Suche nach effizienten Antworten auf die zahlreichen Herausforderungen und Bedrohungen in der heutigen Zeit.
Wir rufen die Staatsoberhäupter der westlichen Länder auf, berechenbar zu handeln, das Völkerrecht strikt einzuhalten und sich auf die UNO-Charta zu stützen. Dann erledigen sich solche Fragen von selbst.
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Sputnik: Im Frühjahr finden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt. Die Hauptanwärter für diesen Posten sind bekannt. Gibt es unter ihnen jemanden, der auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Moskau und Kiew hoffen lässt? Oder ist das in keinem Fall zu erwarten? Ist Russland zu rigorosen Maßnahmen wie Visaeinführung oder Abbruch der diplomatischen Beziehungen bereit?
Sergei Lawrow: Was die Hauptkandidaten für den Präsidentschaftsposten betrifft, so verzichte ich auf jegliche Kommentare. Die Wahlen sind eine innere Angelegenheit der Ukraine.
Doch es ist für uns unmöglich, keine Besorgnis über die Gesamtsituation zu hegen, in der die Vorbereitungen für diese Wahlen verlaufen. Der "von Oben" geförderte Russlandhass in der Ukraine ufert ins Maßlose aus. Er ist eigentlich zu einem Teil der staatlichen Politik geworden. Und die jetzige Kiewer Regierung lässt sich nicht von den Interessen des Landes, sondern von den eigenen Ambitionen sowie "Empfehlungen" und manchmal auch direkten Anordnungen aus anderen Hauptstädten leiten. Darunter leiden die einfachen Ukrainer. Der ungeregelte innere Konflikt im Osten der Ukraine ist eine Bestätigung dafür.
Wir hoffen, dass in Kiew früher oder später vernünftige Menschen an die Macht kommen werden, die zu einem konstruktiven Dialog fähig sind und die Realität mit Verantwortung betrachten. Wir haben keine einseitigen Handlungen zum Abbau der Beziehungen mit der Ukraine unternommen und werden das auch nicht tun. Wir setzen uns umgekehrt für die Bewahrung und Schaffung der Bedingungen für die Wiederaufnahme der Beziehungen und Kontakte auf vielen Ebenen ein.
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Sputnik: Im zu Ende gehenden Jahr ist es gelungen, erhebliche Fortschritte in der Situation rund um Nordkorea zu erzielen. Wann werden denn die Sanktionen gegen Nordkorea gelockert werden? Werden wir uns als eine der ersten Maßnahmen um eine Abschaffung des Verbots für nordkoreanische Arbeitskräfte bemühen? Und ist es nicht Zeit, zum Format der sechsseitigen Verhandlungen zurückzukehren? Ist ein Gipfeltreffen dieser sechs Verhandlungsparteien möglich? Wenn ja, wann und unter welchen Bedingungen?
Sergei Lawrow: Auf der Koreanischen Halbinsel sind in diesem Jahr in der Tat positive Tendenzen zu verzeichnen. Die Situation hat sich dort insgesamt im Sinne der vor einem Jahr von Russland und China als "Fahrplan" entworfenen "Road Map" entwickelt. Es gibt jetzt erheblich weniger militärische Aktivitäten, dank dem Kerntest- und Raketenstart-Moratorium, das Nordkorea verhängt hat, sowie dank der Entscheidung der USA und Südkoreas, großflächige Militärmanöver zeitlich zu verschieben. Auch die Beziehungen zwischen den beiden koreanischen Staaten sind besser geworden. Und das erste Gipfeltreffen zwischen den Staatschefs der USA und Nordkoreas hat stattgefunden. Russland hat als unverzichtbarer Teilnehmer des gesamten Regelungsprozesses in der Situation rund um die Koreanische Halbinsel das Erreichen dieser Ergebnisse befördert und wird sich auch weiterhin darum bemühen, denn es steht noch sehr viel Arbeit bevor.
Ich meine in erster Linie die Notwendigkeit, die erreichten Verabredungen zwischen den USA und Nordkorea sowie zwischen den beiden koreanischen Staaten zu verwirklichen. Wir erwarten, dass es Pjöngjang und Washington im kommenden Jahr gelingen wird, in Übereinstimmung mit der gemeinsamen Erklärung ihrer Staatschefs das Entstehen von "neuen" Beziehungen in allen Bereichen zu beschleunigen, das gegenseitige Vertrauen zu festigen und den Aufbau eines stabilen Friedens auf der Halbinsel sowie deren Denuklearisierung im Rahmen unserer gemeinsamen Bemühungen zu fördern. Wir unterstützen auch das Bestreben von Seoul und Pjöngjang, ihre gegenseitigen Verbindungen auszubauen und die Interaktion zwischen den beiden Ländern praktikabler zu gestalten. Unter anderem sind wir ziemlich stark an der Wiederaufnahme der Arbeit am trilateralen Projekt zur Verbindung der Transkoreanischen Eisenbahn, deren Wiederaufbau und Modernisierung gegenwärtig von den koreanischen Parteien erwogen wird, mit der Transsibirischen Bahnmagistrale interessiert.
Wir sind auch der Meinung, dass die allmähliche Revision der Sanktionen gegenüber Nordkorea zu einem wichtigen Teil dieser Prozesse werden soll. Es geht nicht darum, alle internationalen Beschränkungen gleichzeitig aufzuheben: das wird erst dann möglich sein, wenn die gesamte Koreanische Halbinsel vollkommen kernwaffenfrei ist. Doch der Beginn der Revision der gegenwärtig geltenden Ordnung von Sanktionen darf auch nicht mehr lange hinausgezögert werden. Man darf nicht so tun, als ob Pjöngjang keine konstruktiven Schritte beim Streben nach einem kernwaffenfreien Status dieser Subregion unternommen habe. Wir sind überzeugt, dass der UNO-Sicherheitsrat auf diese Schritte ohne Zögern und im positiven Sinne reagieren sollte.
Gegenwärtig diskutieren wir mit den beteiligten Parteien, welche Maßnahmen genau getroffen werden sollen. Es kann sich in der Tat um Verlängerung der erlaubten Aufenthaltsfrist von nordkoreanischen Arbeitsmigranten in Drittländern oder beispielsweise um neue Ausnahmen aus der Sanktionen-Regelung für die Verwirklichung von gemeinsamen nord- und südkoreanischen Projekten handeln. Oder um alle möglichen anderen Schritte mit dem Ziel, Nordkorea zu überzeugen, dass es mit dem Verzicht auf Kernwaffen die richtige Wahl getroffen hat. In diesem Kontext rufen wir die anderen Partner dazu auf, so schnell wie möglich und in vollem Umfang auf eigene einseitige Sanktionen gegen die Zusammenarbeit mit Nordkorea und auf illegitime Versuche, deren Implementierung anderen Ländern aufzudrängen, zu verzichten. Das ist offensichtlich nicht förderlich für das Entstehen von vertrauensvollen Beziehungen zwischen den Teilnehmern des Regelungsprozesses.
Wir diskutieren ständig mit allen beteiligten Ländern die Frage über die Notwendigkeit, Kontakte im multilateralen Format aufzunehmen, der dem früheren sechsseitigen Prozess zur Regelung des Kernwaffenproblems auf der Koreanischen Halbinsel ähnlich wäre. Wir bestehen natürlich nicht darauf, dass diese Arbeit im selben Format wiederaufgenommen werden muß. Doch grundsätzlich sind wir sicher, dass der gesamte Komplex von Problemen dieser Subregion nur auf multilateraler Ebene, also gemeinsam, gelöst werden kann. Wir bauen diese Arbeit in verschiedenen Konfigurationen auf. Es gibt bestimmte Ergebnisse. Beispielsweise hat am 9. Oktober dieses Jahres in Moskau das erste dreiseitige Treffen der stellvertretenden Außenminister von Russland, China und Nordkorea stattgefunden. Danach haben wir in einer anschließenden gemeinsamen Pressemitteilung unsere gemeinsamen Ansätze für die Korea-Regelung dargelegt. Wir sind auch für die Teilnahme anderer Staaten an diesem Format sowie für eine Teilnahme Russlands an möglichen anderen multilateralen Veranstaltungen offen. Ich hoffe, dass das Ergebnis der Arbeit mit allen Partnern die Entstehung eines einheitlichen multilateralen Mechanismus für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit in Nordostasien sein wird. Wir sehen darin ein großes Potential: möglicherweise werden die Staatschefs dieser Region beginnen, sich regelmäßig zu treffen und regionale Gipfeltreffen zu veranstalten, wie es im Rahmen anderer regionaler und internationaler Strukturen geschieht.
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Sputnik: 2018 wurden ernsthafte Fortschritte in Bezug auf Syrien erreicht, in erster Linie beim Zusammenwirken mit der Türkei und dem Iran. Doch ziemlich viele Territorien befinden sich nach wie vor außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung. Werden wir uns über diese Territorien - beispielsweise zum Süden des Landes oder zur Gegend östlich des Euphrats - mit den USA verständigen können, wie wir es über Idlib und so weiter mit der Türkei getan haben?
Sergei Lawrow: Die Beziehungen mit jeder der erwähnten Parteien haben ihre eigenen Besonderheiten. Mit der Türkei und dem Iran arbeiten wir im Rahmen des Astana-Formats zusammen. Das ist ein etablierter, erfolgreicher und völkerrechtlich abgestimmter Interaktionsmechanismus, der auf den Beschlüssen des UNO-Sicherheitsrates zur syrischen Regelung, in erster Linie auf der Resolution 2254, beruht. Grundlage seiner Effizienz sind die Vereinbarungen, die durch die Delegationen der Regierung der Arabischen Republik Syrien und der bewaffneten Opposition miteinander abgestimmt werden. Gemeinsam mit unseren iranischen und türkischen Partnern fördern wir erstens das Zustandekommen dieser Vereinbarungen und treten zweitens als Garanten ihrer Einhaltung auf. Daher stammt auch die Redewendung "Garantenländer". Dadurch wird die These verwirklicht, dass die Zukunft Syriens durch die Syrer selbst im Rahmen eines von ihnen geleiteten und durchgeführten politischen Prozesses mit Beistand seitens der internationalen Gemeinschaft bestimmt werden soll. Eine Illustration für solch ein Herangehen ist der im Januar 2018 durchgeführte Kongress des Syrischen Nationalen Dialogs, der zum ersten wirklich inklusiven Forum der syrischen Kräfte wurde, dem politischen Regelungsprozess in der Arabischen Republik Syrien eine Dynamik verlieh, den Genfer Prozess aus der Stagnation führte und der Arbeit am "Verfassungs-Dossier" einen Anstoß gab. Mitveranstalter des Kongresses waren die "Garantenländer" von Astana. Vor kurzem haben wir den Vertretern der UNO eine Liste der Kandidaten für den Verfassungsausschuss übergeben, die zwischen der syrischen Regierung und der Opposition unter Vermittlung von Russland, der Türkei und des Irans vereinbart worden war.
Die russisch-türkischen Vereinbarungen zu Idlib, die in dem am 17. September in Sotschi unterzeichneten Memorandum festgehalten sind, wurden durch die vorhergehenden Entscheidungen im Rahmen des Astana-Prozesses möglich gemacht. Diese Entscheidungen betreffen die Schaffung einer Deeskalationszone in diesem Teil von Syrien und die Stationierung von türkischen Beobachtungsposten an der inneren sowie russischen und iranischen an der äußeren Grenze dieser Zone. Somit ist die Anwesenheit von türkischen Soldaten in diesem Teil Syriens mit der Regierung der Arabischen Republik Syrien abgestimmt, die das oben erwähnte Memorandum von Sotschi begrüßt hat. Auch das dritte Garantenland des Astana-Formats, der Iran, hat es unterstützt.
Im Gegensatz dazu gibt es gar keine völkerrechtlichen Grundlagen für die militärische Präsenz der USA östlich des Euphrats und der 55-Kilometer-"Sicherheitszone" um ihren illegalen Stützpunkt in At-Tanf in Südsyrien. Die Berufungen der USA auf Artikel 51 der UNO-Charta, der den Mitgliedsländern das Recht auf Selbstverteidigung gibt, sind rechtlich völlig unzutreffend. Der IS ist in Syrien zerschlagen worden, und die USA lassen die Truppen dennoch nicht abziehen. Eigentlich handelt es sich um die Besetzung von fast 30 Prozent des Landes durch die USA. Mit Beihilfe der USA werden in diesen Gegenden Selbstverwaltungsorgane geschaffen, die sich der zentralen Regierung nicht unterordnen. Das führt zu einer Destabilisierung der militärisch-politischen Situation im Lande und verzögert den Regelungsprozess.
Der rechtliche Status der russischen Streitkräfte in der Arabischen Republik Syrien ist völlig anders. Unsere Soldaten befinden sich dort nach Einladung der legitimen Regierung, völlig im Einklang mit dem Völkerrecht. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass drei von vier Deeskalationszonen (Ost-Ghuta, Homs und der Süden) in erster Linie dank der Arbeit der russischen Militärunterhändler vor Ort, unmittelbar mit den Feldkommandeuren, abgeschafft werden konnten.
Es wird nicht leicht sein, das Problem der illegitimen militärischen Präsenz der USA auf syrischem Terrain zu lösen. Washington stellt ständig neue Bedingungen, die die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität der Arabischen Republik Syrien verletzen. Und das, obwohl diese Prinzipien in den grundlegenden Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates verankert sind. Mal sehen, wozu der von Präsident Donald Trump angekündigte "Abzug" der USA aus Syrien führen wird.
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