von Ulrich Heyden, Moskau
Die Wahlen von Gouverneuren und Regionalparlamenten in Russland am 9. September, liegen zwar schon einige Wochen zurück. Trotzdem sorgen sie immer noch für Diskussionen. Der Grund: In vier der 22 Regionen – den fernöstlichen Regionen Primorje/Wladiwostok, Chakassien, und Chabarowsk sowie dem westlich von Moskau gelegenen Gebiet Wladimir – verfehlten die Kandidaten von Einiges Russland die für den Sieg nötige absolute Mehrheit.
Bei den Wahlen für 16 Regionalparlamente am 9. September verschlechterte sich das Abschneiden von Einiges Russland. In Archangelsk, Jekaterinburg und Abakan (Chakassien) bekam Einiges Russland weniger als ein Drittel der Stimmen.
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In der nördlich von Moskau gelegenen Stadt Weliki Nowgorod und der sibirischen Millionenstadt Krasnojarsk landete Einiges Russland sogar hinter den Oppositionsparteien auf Platz zwei. In Krasnojarsk siegten bei den Wahlen für das Stadtparlament die Nationalisten von der Liberaldemokratischen Partei mit 28 Prozent. Einiges Russland bekam 25 Prozent der Stimmen. In Weliki Nowgorod bekam die KPRF (Kommunistische Partei) mit 30 Prozent die meisten Stimmen, gefolgt von Einiges Russland mit 24 Prozent.
Kommunisten und Nationalisten profitierten
Bei den Gouverneurswahlen erreichten die Kandidaten der Oppositionsparteien die meisten Stimmen. Der Gouverneur des Gebietes Orjol, ein Kandidat der KPRF, erreichte 83,55 Prozent der Stimmen. Das zweithöchste Ergebnis bei den Gouverneurswahlen erhielt mit 82,56 Prozent der Leiter des Gebietes Omsk, ein Kandidat der Partei Gerechtes Russl
In zwei Regionen – dem westlich von Moskau gelegenen Gebiet Wladimir und dem fernöstlichen Gebiet Chabarowsk – wurden bei den Gouverneurswahlen überraschend zwei Kandidaten der nationalistischen Liberaldemokraten gewählt.
Überrascht von den Erfolgen der Oppositionsparteien mischte sich Wladimir Putin persönlich in die Wahl ein. Nach der Wahlniederlage für den Kandidaten von Einiges Russland im fernöstlichen Primorje wünschte der russische Präsident dem Kandidaten der Regierungspartei Glück bei der Stichwahl. Trotz dieses Zuspruchs zog der Kandidat von Einiges Russland in Primorje seine Kandidatur zurück.
Auch in der sibirischen Region Chakassien zog der Kandidat von Einiges Russland seine Kandidatur vor der Stichwahl zurück. Wladimir Putin ernannte daraufhin den ehemaligen Minister für den Nordkaukasus zum geschäftsführenden Gouverneur für die Region Chakassien.
Die Niederlagen von Einiges Russland und die Folgen
1. Gebiet Primorje/Wladiwostok
Bei den Gouverneurswahlen im fernöstlichen Gebiet Primorje erreichte der Amtsinhaber Andrej Tarasenko, Mitglied der Partei Einiges Russland, nur 46 Prozent der Stimmen und verfehlte damit die absolute Mehrheit. Tarasenko hatte die Rentenreform öffentlich unterstützt. Bei der Stichwahl am 16. September trat Tarasenko gegen einen Kandidaten der KPRF an. Der Gouverneur gewann die Wahl. Doch die Zentrale Wahlkommission erklärte die Wahl wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten für ungültig. Kurz darauf erklärte Tarasenko seinen Rücktritt als geschäftsführender Gouverneur. Wladimir Putin ernannte daraufhin Oleg Koschemjako aus dem Gebiet Sachalin zum geschäftsführenden Gouverneur des Gebietes Primorje.
2. Chakassien
In der sibirischen Region Chakassien unterlag der Kandidat von Einiges Russland, Viktor Simin - seit 2009 Gouverneur des Gebiets - mit 32 Prozent der Stimmen dem Kandidaten der KPRF, Walentin Konowalow, der 44 Prozent der Stimmen erhielt. Am 21. September, zwei Tage vor der Stichwahl, zog Simin seine Kandidatur zurück. Auch der Kandidat, Andrej Filjagin von der Partei Gerechtes Russland, zog seine Kandidatur für die Stichwahl zurück.
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Ob es nun am 21. Oktober überhaupt zu einer Stichwahl kommt, ist unsicher. Wladimir Putin hat am 3. Oktober überraschend Michail Raswoschajew – bisher Minister für den Nordkaukasus - als neuen geschäftsführenden Gouverneur für Chakassien ernannt. Der Kandidat der kleinen liberalen "Partei des Wachstums" erklärte, er sei bereit seine Kandidatur ebenfalls zurückzuziehen, wenn die Bewohner des Gebietes mit der Arbeit des geschäftsführenden Gouverneurs zufrieden seien.
Sollte auch der Kandidat der "Partei des Wachstums" seine Kandidatur zurückziehen, müsste der KPRF-Kandidat alleine zu den Wahlen antreten. Um zu gewinnen müsste er über 50 Prozent der Stimmen bekommen.
3. Gebiet Сhabarowsk
In der fernöstlichen Region Chabarowsk unterlag der Kandidat der Partei Einiges Russland, Wjatscheslaw Schport, bei den Gouverneurswahlen am 9. September mit 35,62 Prozent dem Kandidaten von Schirinowskis Liberaldemokraten, der 35,81 Prozent erhielt. Bei der Stichwahl konnte der LDPR-Kandidat seinen Vorsprung auf 69 Prozent ausweiten. Schport, der seit 2009 das Amt des Gouverneurs innehatte, erreichte bei der Stichwahl nur 27 Prozent.
4. Gebiet Wladimir
Bei den Gouverneurswahlen im westlich von Moskau gelegenen Gebiet Wladimir unterlag die Kandidatin der Partei Einiges Russland, Swetlana Orlowa, die seit 2013 Gouverneurin ist, mit 37 Prozent der Stimmen dem Kandidaten der nationalistischen Liberaldemokraten, Wladimir Sipjagin, der in der Stichwahl 57 Prozent der Stimmen erhielt.
Gouverneur von Sankt Petersburg kam mit der Opposition nicht klar
Die Gouverneurswahlen vom 9. September hatten auch Auswirkungen auf andere russische Regionen. Wladimir Putin tauschte in den in den letzten vier Wochen mehrere Gouverneure aus.
Für Aufsehen und viele Fragen sorgte, dass der russische Präsident am 3. Oktober den Gouverneurs von Sankt Petersburg, Georgi Poltawtschenko, absetzte und Aleksandr Beglow, einen Spitzenbeamten, der Posten in der Sankt Petersburger Stadtverwaltung innehatte, zum neuen geschäftsführenden Gouverneuer bestimmte. Der bisherige Gouverneur Georgi Poltawschenko soll einen hohen Posten bei einem Schiff-Bau-Unternehmen bekommen.
Beglow soll sein Amt als geschäftsführender Gouverneur nach den Worten von Wladimir Putin jedoch nur bis zum September nächsten Jahres ausüben. Im September 2019 werde man sehen, wie dem neuen Gouverneur die Arbeit gelinge.
Warum soll Beglow sein Amt nur ein Jahr ausüben? Die Nesawisimaja Gaseta will nicht ausschließen, dass die liberale Oppositionspolitikerin Xenia Sobtschak in absehbarer Zeit mit Zustimmung des Kreml für das Amt der Gouverneurin von Sankt Petersburg kandidiert. Sobtschak selbst erst vor kurzem erklärt, sie strebe diesen Posten an. Der neue geschäftsführende Gouverneur habe die Aufgabe, den Macht-Antritt von Sobtschak oder einer anderen, noch unbekannten Person, vorzubereiten, so das Blatt.
Nach Meinung des Politologen Andrej Koljadin sei Sankt Petersburg unter dem abgesetzten Gouverneur Poltawschenko „fast zum Vorposten einer neuen Revolution geworden, wo mehr Menschen zu Protestversammlungen kommen, wie in Moskau.“
Auch die Zeitung Kommersant meint, ein Grund für die Abberufung von Poltawschenko sei seine Ungeschicklichkeit im Umgang mit der Opposition gewesen. Bei den Protesten gegen die Rentenreform in Sankt Petersburg seien mehr Menschen festgenommen worden als in jeder anderen russischen Stadt.
"Moskowski Komsomolez": Kreml will schwache Gouverneure jetzt "rechtzeitig auswechseln"
Auch in den Gebieten Lipezk, Kabardino-Balkarien, Astrachan und Sachalin wurden in den letzten vier Wochen Gouverneure ausgetauscht.
Aufgrund der Schlappen bei den Gouverneurswahlen wolle der Kreml jetzt schwache Gouverneure „rechtzeitig auszuwechseln“ bevor sie bei Regionalwahlen scheitern, schreibt das liberale Massenblatt Moskowski Komsomolez.
Das Grundproblem bei den Gouverneurswahlen sieht das liberale Blatt in der „hybriden“ Rolle der Gouverneure. Die meisten Gouverneure werden von Präsident Putin zunächst als Geschäftsführer ernannt bevor sie sich in einer Wahl in ihrer Region stellen müssen. Sie sind also sehr eng an die Macht angebunden. Das hat zur Folge, dass Misserfolge bei den Gouverneurswahlen auch für den Kreml unangenehm sind und dieser versucht, dass es nicht zu Schlappen kommt.
Die meisten Beobachter sind sich einig, dass die Schlappen der Regierungspartei bei den Wahlen am 9. September mit der Erhöhung des Renteneintritts-Alters zusammenhängen. Der Direktor des Instituts zu Globalisierung und sozialen Bewegungen, Boris Kagarlitzky, meint die Bürger hätten die Gouverneurswahlen genutzt um gegen die Rentenreform zu stimmen. Es gäbe einen großen Abstand zwischen Volk und Macht. Die sozial-ökonomische Politik der Macht sei gescheitert. Der Zerfall des politischen Modells sei „nicht mehr aufzuhalten.“ Das neoliberale Modell sei weltweit gescheitert und es sei ein Fehler gewesen, dass dieses Modell in den letzten 25 Jahren in Russland eingeführt wurde.
Dass es einen Zusammenhang zwischen den Misserfolgen von „Einiges Russland“ bei den Gouverneurswahlen und der umstrittenen Rentenreform gibt, belegt auch eine Umfrage des Instituts für gesellschaftliche Meinung (FOM). Nach der Umfrage ist die Bereitschaft für die Partei Einiges Russland die Stimme abzugeben seit Juni 2018 von 45 auf 34 Prozent gesunken. Am 16. Juni 2018 wurde das Gesetz zur Erhöhung des Renteneintrittsalter in die Duma eingebracht. Dass die Partei Einiges Russland seitdem an Popularität verloren hat, wird von kritischen Beobachtern vor allem mit diesem Gesetz in Zusammenhang gebracht, welches nach Abstimmungen in den beiden Kammern des russischen Parlaments am 3. Oktober vom russischen Präsidenten unterschrieben wurde und damit in Kraft getreten ist.