Russland: Neue Trucker-Proteste gegen Fernstraßen-Maut, Korruption und schlechte Arbeitsbedingungen

Eineinhalb Jahre nach der Einführung der Fernstraßen-Maut für Lastwagen über zwölf Tonnen gibt es im ganzen Land erneut Protestaktionen der Trucker. Der Protest richtet sich auch gegen Korruption und fehlende Arbeitsschutzregelungen. In vielen Regionen Russlands soll sich bereits ein Defizit an Lebensmitteln bemerkbar machen.

von Ulrich Heyden, Moskau

Moskau, Saratow, Kasan, Wladikawkas. Vor diesen und vielen anderen russischen Städten gibt es in den letzten Wochen immer wieder das gleiche Bild. Fernfahrer versammeln sich auf Parkplätzen, um aus Protest gegen die Fernstraßen-Maut sichtbare Streikposten für die Öffentlichkeit zu errichten. Die Polizei versucht, diese Ansammlungen und das Kolonne-Fahren protestierender Fernfahrer zu unterbinden.

In den  großen russischen Fernsehsendern gibt es keine Berichterstattung über diese Proteste.  Nur einzelne Internet-Portale und liberale Medien wie der Internetsender Doschd oder der Videokanal der KPRF berichten über die Streikaktionen.

Streikschwerpunkt Dagestan

Besonders groß ist die Streikbeteiligung der Lkw-Fahrer in der russischen Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus. Am 28. März stellte sich der stellvertretende Transportminister von Dagestan, Jakub Chudschajew, 500 streikenden Lkw-Fahrern in der Nähe des Ortes Manas. Er versuchte, die aufgebrachten Trucker zu beruhigen. Die Fernfahrer erklärten, dass die Maut für sie das Ende ihrer Familienbetriebe bedeute.

Es sei besser, wenn Vertreter der Streikenden zur Regierung nach Moskau fahren und dort ihre Forderungen vortragen würden, erklärte der Minister . Doch er hatte Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Mehrere Redner schimpften auf „korrupte Beamte“, wofür es Beifall gab.

Dagestan ist eine der ärmsten Regionen Russlands. Hier ist die Arbeitslosigkeit und die Korruption unter den Beamten besonders hoch. Dazu kommt, dass die Fernfahrer an Polizeiposten in Dagestan immer wieder Schmiergeld zahlen müssen. Das zumindest berichtete der Journalist Maksim Schewtschenko im Radiosender Echo Moskwy.

Wer nicht zahlt, muss die gesamte Fracht abladen, damit sie kontrolliert werden kann. Wenn man diese Kontrollposten, für die es gar keine klare gesetzliche Grundlage gibt, wieder abschafft, dann sind die Fernfahrer in Dagestan sicher bereit, die umstrittene Maut zu zahlen“, so Schewtschenko.

Am 31. März beteiligten sich wieder 500 Fernfahrer an einer Protestaktion in der Nähe von Manas. Sie wollten sich einem Auto-Korso nach Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, anschließen. Doch daraus wurde nichts. 200 Polizisten der Nationalgarde und der OMON-Spezialeinheit riegelten den Streikposten von der Straße ab, wie das Internetportal Kavkaski Usel berichtete.

Proteste seit November 2015

Die Proteste der russischen Fernfahrer begannen bereits im November 2015, unmittelbar nach der Einführung Fernstraßen-Maut. Anlass für die neue Protestwelle, die am 27. März begonnen hat, war die Erhöhung der Maut um 25 Prozent auf 1,91 Rubel pro Kilometer für Lkws über zwölf Tonnen.

Am Mittwoch erklärte Ministerpräsident Dmitri Medwedew während seiner Regierungserklärung in der Duma, dass sich an den Protestaktionen gegen das Maut-System „Platon“ nur 450 von insgesamt 800.000 registrierten Fernfahrer beteiligen würden. An den Protesten nähmen vor allem Fernfahrer teil, deren Unternehmen nicht ordnungsgemäß registriert seien.

Die Vertreter der protestierenden Fernfahrer widersprachen. Der Leiter der Vereinigung „Fernfahrer“, Andrej Baschutin, erklärte, dass sich von insgesamt 1,5 Millionen Fernfahrern 40 Prozent an den Protesten gegen die Maut beteiligen würden. Andere Streikführer nannten niedrigere Zahlen. Die Koordinatoren der Vereinigung „Fernfahrer“, Waleri Bojtko und Igor Pasenkow, sprachen von 2.500 bzw. 6.000 Streikenden in ganz Russland. 

Die protestierenden Fernfahrer fordern die Abschaffung  der Maut mit dem Namen „Platon“, die im November 2015 eingeführt wurde, und der Kraftfahrzeugsteuer. Ihr Argument: Es reiche, wenn sie die Benzinsteuer zahlen. Benzin ist der größte Unkostenfaktor für die Fernfahrer. Unter den Streikenden sind viele Mitarbeiter von Kleinbetrieben, für die jeder Rubel zählt.

Ende März traf sich Dmitri Medwedew mit gemäßigten Fernfahrern. Anschließend machte der Premier ein Zugeständnis. Am 15. April wurde die Maut von 1,53 Rubel nicht wie geplant um 100 Prozent auf 3,06 Rubel, sondern nur um 25 Prozent auf 1,91 Rubel pro Kilometer  erhöht.

Medwedew gab außerdem bekannt, dass mit der neuen Maut 383 Millionen Euro eingenommen wurden. Von diesem Geld seien unter anderem 3.000 Kilometer neue Straßen und sieben neue Brücken mitfinanziert worden. 

Senator Marchajew: Lebensmitteldefizite in russischen Regionen

Die politische Elite in Russland hütet sich, die Fernfahrer einfach auflaufen zu lassen. Jeder Russe weiß, dass Lkw-Fahrer hart arbeiten  und täglich Schwierigkeiten zu meistern haben. So gibt es auch Verständnis. Walentina Matwijenko, Vorsitzende des Föderationsrates, und Senator Wjatscheslaw Marchajew wiesen den Haushaltsausschuss des Föderationsrates am 12. April an, die Effektivität des Maut-Systems zu prüfen.  „Man kann die Proteste der Fernfahrer nicht ignorieren“ erklärte Marchajew. Während Maut-Systeme in Europa genau arbeiten und die eingesammelten Gelder für den Bau von qualitativ guten Straßen verwendet würden, „ist bei uns kein Resultat zu sehen“, erklärte Marchajew. Der Senator ergänzte, dass „unnötiger finanzieller Druck“ auf die Trucker weitreichende Folge habe. In vielen Regionen Russlands mache sich bereits ein Defizit an Lebensmitteln bemerkbar.

Marchajew vertritt im Föderationsrat das Gebiet Irkutsk am Baikalsee. Er ist außerdem Leiter der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) in der Republik Burjatien.

Auch wenn die Fernfahrer ihr Ziel, die Abschaffung der Fernstraßen-Maut nicht erreichen sollten, so lenkt ihre Aktion die öffentliche Aufmerksamkeit auch auf andere wichtige Fragen, wie beispielsweise den Arbeitsschutz. Die streikenden Trucker fordern zudem Regelungen, die ausreichend Schlaf und Erholung garantieren. Die Verhältnisse auf russischen Parkplätzen – vor allem in der Provinz – sind oft rau. Es fehlen bewachte Parkplätze, auf denen die Fernfahrer in Ruhe schlafen können, ohne Angst um ihr Fahrzeug und Leben haben zu müssen. 

Arbeitsschutzgesetze werden auch in vielen anderen Branchen, insbesondere im Dienstleistungs- und Bausektor, unterlaufen. Die Arbeitszeiten sind oft viel länger als acht Stunden. Für das Mittagessen fehlen oft Küchen. Die Aktionen der Fernfahrer erhöhen den Druck auf den Gesetzgeber, die Arbeitsbedingungen im Dienstleistungs- und Bausektor zu verbessern.