Das Moskauer Arbitragegericht (eine Sondergerichtsbarkeit für die Wirtschaft im russischen Rechtssystem) hat am Freitag ein Insolvenzverfahren über das in Russland gelegene Vermögen von Volkswagen eingeleitet. Dies berichtet die Nachrichtenagentur RIA Nowosti.
Beantragt hatte die Insolvenz die Aktiengesellschaft Kameya wegen Forderungen in Höhe von über 16,9 Milliarden Rubel (rund 200 Millionen Euro) gegen den deutschen Autobauer, aus abgetretenem Recht des Automobilwerks in Nischni Nowgorod (ehemals "Automobilwerk GAZ").
Hintergrund ist die Entscheidung von Volkswagen im Jahr 2022, die Produktion in seinen Werken in Russland einzustellen und Geschäftsverpflichtungen mit Tochterunternehmen und anderen Geschäftspartnern, zu denen auch das Werk in Nischni Nowgorod zählte, nicht mehr zu erfüllen.
Dabei hatte sich VW im Jahr 2017 vertraglich verpflichtet, dem Werk in Nischni Nowgorod, ehemals Gigant und Legende der sowjetischen Automobilindustrie, Dieselmotoren für den Einbau in von GAZ hergestellte Fahrzeuge sowie Ersatzteile für deren Kundendienst zu liefern. Im März 2022 weigerte sich Volkswagen, seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Gerichte verurteilten Volkswagen daraufhin zur Zahlung von mehr als 16,9 Milliarden Rubel Schadenersatz, darunter mehr als 10,2 Milliarden Rubel für entgangenen Gewinn.
Unklar ist, ob der VW-Konzern noch über Aktiva in Russland verfügt. Im April 2023 schrieb die Zeitung Wedomosti, dass die Regierungskommission zur Kontrolle ausländischer Investitionen den Verkauf des Volkswagen-Werks in der Nähe von Kaluga genehmigt habe.
Im Mai desselben Jahres gab Volkswagen den Verkauf seiner Anteile an der russischen Tochtergesellschaft Volkswagen Group Rus an die Firma Art-Finance bekannt. Diese erwarb alle Anteile an der Gruppe und an allen russischen Tochtergesellschaften des deutschen Konzerns, darunter die OOO Volkswagen KS, OOO "Scania Leasing", OOO "Scania Finance" und OOO "Scania Insurance". Im Juni 2023 änderte die ehemalige russische Tochtergesellschaft des Automobilkonzerns Volkswagen ihren Namen in AGR Automotive Group.
Immerhin ließ sich Volkswagen am Freitag im Moskauer Gericht anwaltlich vertreten. Der Verfahrensbevollmächtigte des deutschen Konzerns beantragte, den Insolvenzantrag nicht zu prüfen, da er nicht den in der Rechtsprechung festgelegten Kriterien für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens gegen ausländische Personen entspreche. So habe der Gläubiger laut Aussage des Anwalts nicht alle Möglichkeiten zur Wahrung seiner Rechte ausgeschöpft – insbesondere im Vollstreckungsverfahren und durch Anerkennung der Schuld in anderen Gerichtsbarkeiten. Der Vertreter des Schuldners teilte mit, dass "Kameya" beispielsweise versuche, in Südafrika zu vollstrecken.
Darüber hinaus habe Volkswagen "keine enge Verbindung zu Russland" – das Unternehmen sei aus dem Steuerregister gestrichen, habe keine Bankkonten, kein Vermögen und übe seine Tätigkeit ausschließlich im Ausland aus. In den vergangenen Jahren habe sein Geschäft in der Russischen Föderation "nur etwa 2 Prozent" des Konzernumsatzes ausgemacht.
Der Gläubigeranwalt verwies hingegen darauf, dass Volkswagen weiterhin Anteile an russischen juristischen Personen sowie geistiges Eigentum – Marken und Patente – im Land besitze. In dieses Vermögen könne der Insolvenzverwalter vollstrecken. Seinen Angaben zufolge eröffnet das Insolvenzverfahren die Möglichkeit, die verletzten Rechte des Gläubigers durch die Anfechtung von Geschäften und die Geltendmachung subsidiärer Haftung zu schützen. Der Gläubiger verpflichtete sich zudem, das Verfahren zu finanzieren.
Das reichte dem Richter dann auch für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zum lokalen Insolvenzverwalter wurde Andrei Stoljarow bestimmt.
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