Erste Zinssenkung seit drei Jahren: Welche Folgen hat der Schritt für Russland?

Erstmals seit über drei Jahren hat die russische Zentralbank ihren Leitzins gesenkt – und das früher als von den meisten Analysten erwartet. Zwar liegt der Zins mit 20 Prozent weiterhin auf einem sehr hohen Niveau, doch der Beginn einer möglichen Wende in der Geldpolitik ist bedeutsam.

Von Olga Samofalowa

Zum ersten Mal seit 2022 hat die "Bank von Russland" den Leitzins gesenkt, obwohl die Konsensprognose der Analysten darauf hindeutete, dass der Zinssatz auf demselben Niveau bleiben würde. Dennoch senkte die russische Zentralbank den Zinssatz von 21 auf 20 Prozent. Die Regulierungsbehörde begründete dies damit, dass die Inflation zu sinken begonnen habe und die Wirtschaft inzwischen Anzeichen einer Abkühlung zeige.

Im April 2025 ging das saisonbedingte Preiswachstum auf Jahresbasis auf 6,2 Prozent zurück, nachdem es im ersten Quartal noch durchschnittlich 8,2 Prozent betragen hatte. Gleichzeitig hält die Zentralbank an ihrem Plan fest, im Jahr 2026 zu einer Inflationsrate von 4 Prozent zurückzukehren, was recht ehrgeizig erscheint. Olga Belenkaja, Leiterin der Abteilung für makroökonomische Analysen beim Finanzdienstleister Finam Financial Group, sagt:

"Die Zentralbank erkennt die Vielgestaltigkeit der Inflation ‒ die Auswirkungen der strengen Geldpolitik, auch durch die Stärkung des Rubels, spiegeln sich besonders stark in der Verringerung des Preiswachstums bei Nichtnahrungsmitteln wider, aber der Inflationsdruck bei Nahrungsmitteln und Dienstleistungen bleibt immer noch stark. Das Lohnwachstum ist nach wie vor hoch und übersteigt weiterhin das Wachstum der Arbeitsproduktivität. Auch die Inflationserwartungen sind nach wie vor erhöht ‒ dies könnte eine nachhaltigere Verlangsamung der Inflation behindern."

Experten weisen jedoch auf jeden Fall auf die Bedeutung dieses Schrittes der russischen Zentralbank zur Zinssenkung hin. Jewgeni Baboschkin, Leiter der Abteilung für Geschäftsentwicklung bei Prime Brokerage Service, meint:

"Meiner Meinung nach kommt dieser Schritt genau zum richtigen Zeitpunkt, denn eine Verzögerung der Zinssenkung hätte das Wirtschaftswachstum verzögern und die Entwicklung der Unternehmen aufgrund der teuren Kredite behindern können. Es ist jedoch auch gefährlich, den Zinssatz zu schnell zu senken, da das Inflationsziel noch nicht erreicht ist."

Natalia Pyrjewa, eine führende Analystin bei Zifra Broker, stellt fest:

"Wir hatten einen deutlicheren Schritt erwartet – eine Senkung um zwei Prozentpunkte auf 19 Prozent, aber global gesehen ist es viel wichtiger, dass der Satz seinen Höhepunkt hatte und zu sinken beginnt. Das bedeutet, dass die derzeitige Strenge ausreicht, um die Dynamik der Inflation und des Wirtschaftswachstums auszugleichen, während die Kreditrisiken für das System zu steigen beginnen. Daher ist es wichtig, die Strenge nicht zu übertreiben."

Belenkaja meint, dass die Regulierungsbehörde dem Markt zu verstehen geben wolle, dass diese Senkung eher als Anpassung des geldpolitischen Kurses an die nachlassende Inflation zu sehen sei – ohne jedoch die Absicht zu erklären, eine Serie von Zinssenkungen fortzusetzen.

Prognosen zum Zinssatz

Die Experten sind geteilter Meinung darüber, ob die Zentralbank den Zinssatz bei der nächsten Tagung im Juli weiter senken wird.

Im Juli könnte eine Pause eingelegt werden, während der Zinssatz auf dem derzeitigen Niveau bleibt, vermutet Alexander Bachtin, Investmentstratege bei Garda Capital. Er erklärt dies folgendermaßen:

"Die Zentralbank konzentriert sich weiterhin auf die Tatsache, dass die Inflationserwartungen überdurchschnittlich hoch sind. Unternehmen und Haushalte gehen in ihren Prognosen von einem zweistelligen Preisanstieg aus. Und obwohl dies ein vertrautes Bild für Umfragen ist, möchte die Zentralbank eine stetige Abwärtsbewegung der erwarteten Inflation sehen.

Im Allgemeinen bleibt die Zentralbank vorsichtig und möchte das auf dem Markt hergestellte Gleichgewicht nicht stören, hat aber dennoch beschlossen, den ersten Schritt in Richtung eines sanften Zyklus zu tun. Wenn die makroökonomischen Indikatoren es zulassen, wird die Zinssenkung auf den nächsten Sitzungen fortgesetzt, aber aller Wahrscheinlichkeit nach langsamer, zum Beispiel in Schritten von 0,25 bis 0,5 Prozent."

Er geht davon aus, dass der Leitzins im Jahresdurchschnitt bei 19,5 Prozent liegen wird. Der Experte prognostiziert:

"Da der Satz in der ersten Jahreshälfte bei 21 Prozent lag, werden wir in der zweiten Jahreshälfte einen Zinssatz von etwa 18 Prozent sehen. Bis Dezember kann er auf 17 Prozent sinken, aber er wird sich erst im Jahr 2026 auf den Markt auswirken."

Die Bank von Russland könnte den Zinssatz im Juli erneut um einen Prozentpunkt senken, wenn die Makrodaten weiterhin Tendenzen eines Inflationsrückgangs bestätigen, so Natalia Pyrjewa. Andernfalls werde die russische Zentralbank den Zinssatz auf dem derzeitigen Niveau belassen. Zum Ende des Jahres prognostiziert Zifra Broker einen Leitzins von 16 bis 17 Prozent.

Die Sberbank, Russlands größtes Bank- und Finanzdienstleistungsunternehmen, geht davon aus, dass der Zinssatz im Juli um einen weiteren Prozentpunkt sinken und bis Ende des Jahres auf 17 Prozent zurückgehen wird.

Auswirkungen auf Kredite, Einlagen und den Rubel

Die Leitzinssenkung dürfte zu günstigeren Krediten und niedrigeren Einlagenzinsen führen. Igor Dodonow, Analyst bei der Finam Financial Group, sagt:

"Die Senkung des Leitzinses um einen Prozentpunkt erscheint angesichts des derzeitigen Niveaus eher symbolisch. Allein die Tatsache, dass die Zentralbank endlich mit der Lockerung ihrer Geldpolitik beginnen konnte, wird jedoch zu einer weiteren Senkung der Zinssätze in der Wirtschaft und einer Lockerung der monetären Bedingungen beitragen. Infolgedessen ist mit einer allmählichen Intensivierung der Kreditvergabe im Lande sowie mit einer gewissen Entlastung der Nettozinsmargen der Banken zu rechnen. Daher ist die Entscheidung der Zentralbank generell positiv für den Bankensektor."

Was die Einlagenzinsen betrifft, so haben die Banken diese bereits seit mehreren Monaten gesenkt. Im Mai fielen die durchschnittlichen Einlagenzinsen laut dem Portal Finuslugi je nach Laufzeit um 0,2 bis 0,5 Prozentpunkte. Laut Dodonow werde sich dieser Trend fortsetzen – und in den kommenden Monaten würden die Einlagenzinsen um weitere 0,5 bis 1 Prozentpunkte sinken.

Was den Hypothekenmarkt anbelangt, so hat eine so lange Periode eines rekordhohen Leitzinses von 20 Prozent – seit März 2022 – zu einem starken Rückgang bei der Vergabe von Hypotheken geführt, weist der Experte hin. Dodonow betont:

"Nach der heutigen Entscheidung der Zentralbank wird der Hypothekenzins in den nächsten Wochen wahrscheinlich um 0,5 bis 1 Prozent sinken. Dennoch wird er sich weiterhin auf einem nahezu unerschwinglichen Niveau bewegen."

Der durchschnittliche Hypothekenzins liegt bei den größten Banken bei 26,6 Prozent – und eine Senkung um nur ein Prozent werde nicht ausreichen und den Markt nicht beleben.

Was den Rubel betrifft, so habe der hohe Leitzins zu seiner übermäßigen Aufwertung geführt, meint Alexander Potawin, Analyst bei der Finam Financial Group. Der Experte erklärt:

"Die Senkung des Zinssatzes auf 20 Prozent dürfte nicht zu einer starken Abschwächung des Rubels führen. Daher unsere Prognose für Juni: für den US-Dollar 78 bis 84 Rubel, für den Euro 88 bis 92 Rubel, für den Yuan 10,9 bis 11,3 Rubel.

Wenn jedoch im Juli der Zinssatz auf 19 Prozent gesenkt wird und eine weitere Lockerung der Geldpolitik vorhergesagt wird, wird die starke Position des Rubels vielleicht ins Wanken geraten, da sich die Nachfrage nach Devisen erholen könnte. Wenn der US-Dollarkurs auf mindestens 90 bis 93 Rubel ansteigt, wird sich der Trend zum Kauf von Fremdwährungen gegen den Rubel verstärken."

An der Prognose für das Jahresende ändert der Analyst nichts: Der Kurs des US-Dollars könnte auf 95 Rubel steigen.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 9. Juni 2025 auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.

Olga Samofalowa ist Wirtschaftsanalystin bei der Zeitung Wsgljad.

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