Von Olga Samofalowa
Russland wird das Jahr 2024 mit einem Wirtschaftswachstum von 3,9 bis 4 Prozent abschließen. Innerhalb von zwei Jahren ist die russische Wirtschaft um etwa acht Prozent gewachsen, während es in den USA fünf bis sechs Prozent und in der Eurozone ein Prozent waren. Die Arbeitslosenquote in unserem Land ist mit 4,4 Prozent auf einem historisch niedrigen Niveau.
Die Industrie verzeichnet seit zwei Jahren in Folge die höchste Wachstumsrate innerhalb eines Jahrzehnts (mit Ausnahme der Erholung im Jahr 2021). Die Löhne stiegen real um neun Prozent. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Sanktionsdrucks, insbesondere gegen Banken, die an der Durchführung von Import-Export-Geschäften gehindert werden, ist dies alles eine unglaubliche finanzielle Leistung.
Was trägt dazu bei, dass die russische Wirtschaft so stark wächst? "Im Mittelpunkt des hohen Wirtschaftswachstums steht eine deutliche Ausweitung des Konsums der privaten Haushalte und der Investitionstätigkeit. Diese Prozesse wurden durch den Haushaltsimpuls, vor allem durch eine Erhöhung der Militärausgaben, ein hohes Kreditwachstum sowie die höchsten Lohnzuwachsraten seit 16 Jahren auf einem defizitären Arbeitsmarkt unterstützt", sagt Olga Belenkaja, Leiterin des Bereichs "Makroökonomische Analyse" bei der Finam Financial Group.
"Im Jahr 2024 wuchs die russische Wirtschaft aufgrund staatlicher Aufträge schneller, da die Nachfrage des militärisch-industriellen Komplexes stieg und die Importe begrenzt waren. Sie wird durch Haushaltsmittel, Vorzugsfinanzierungsprogramme, Steuererleichterungen für das verarbeitende Gewerbe und dergleichen unterstützt. Die russischen Behörden ergreifen eine Reihe von Maßnahmen, um eine beschleunigte Entwicklung zur Importersetzung bevorzugt zu finanzieren", sagt Wladimir Tschernow, Analyst bei Freedom Finance Global.
Doch auch ein solch hohes Wirtschaftswachstum kann negative Folgen haben. Insbesondere in Russland führte es zu einer hohen Inflation, die sich nach Schätzungen der Zentralbank bis zum Jahresende auf 9,3 Prozent belaufen wird. Es überrascht nicht, dass die Regulierungsbehörde das ganze Jahr über eine straffe Geldpolitik verfolgen und den Leitzins bis Ende des Jahres auf 21 Prozent anheben musste. Die Wirtschaft befand sich in einem Zustand der "Überhitzung", in dem die Nachfrage das Angebot übersteigt, was die Inflation anheizte und die Zentralbank zu einer sehr restriktiven Geldpolitik zwang, erklärt Tschernow.
Der hohe Zinssatz hat bereits erste Auswirkungen gezeigt. Im vierten Quartal verlangsamte sich die Wirtschaftstätigkeit (Anlageinvestitionen), und dieser Prozess wird sich in der ersten Hälfte des Jahres 2025 verstärken, erwartet Belenkaja. Nach einem sehr starken Wachstum in den Jahren 2022, 2023 und in der ersten Hälfte des Jahres 2024 hat die Investitionstätigkeit zu stagnieren begonnen. Nach Angaben des russischen Statistikamtes Rosstat stiegen die Anlageinvestitionen im ersten Quartal 2024 um 14,5 Prozent, im zweiten Quartal um 8,3 Prozent und im dritten Quartal nur noch um 5,1 Prozent.
"Einer der Hauptgründe dafür sind die härtesten Kreditvergabebedingungen in der Geschichte der Umfrage, die auf die laufende Verschärfung der Geldpolitik der Russischen Zentralbank zurückzuführen sind. Ein weiterer Grund ist der Arbeitskräftemangel, von dem nach den Erhebungen der Zentralbank 73 Prozent der Unternehmen betroffen sind. Hinzu kommen Probleme bei der Lieferung und Bezahlung von Produktionsimporten aufgrund von Sanktionen", erklärt Belenkaja.
Doch selbst hohe Zinsen, teure Privatkredite und hohe Einlagenzinsen hätten den Konsum der Bevölkerung noch nicht wesentlich gebremst. Die Nachfrage werde durch steigende Löhne, "militärische" Zahlungen und erhöhte Inflationserwartungen gestützt, sagt die Expertin. Und das führe zu einer Inflation, die weiter ansteige und nach Einschätzung der Zentralbank im April 2025 ihren Höhepunkt erreichen werde.
Was die Industrie betrifft, so verzeichnet das verarbeitende Gewerbe weiterhin ein Rekordwachstum, vor allem in den Sektoren, die mit staatlichen Verteidigungsaufträgen und dem Großhandel zusammenhängen.
In diesem Jahr wird die Industrie insgesamt um vier Prozent und das verarbeitende Gewerbe um sieben Prozent wachsen. Dieser Trend ist bereits seit zwei Jahren in Folge zu beobachten.
Andererseits ist die Produktion in der mineralgewinnenden Industrie rückläufig. "In der mineralgewinnenden Industrie ist der Rückgang auf die Beschränkungen der Ölförderung und -ausfuhr im Rahmen der OPEC+-Politikkoordinierung sowie auf die schwierige Lage in der Kohleindustrie zurückzuführen, wo die Produktionsmengen sinken und sich die Verluste häufen", so Belenkaja.
Auch der Wohnungsbau stagniert und das Güterverkehrsaufkommen ist rückläufig. Nach Angaben von Rosstat wuchs das Volumen des Wohnungsbaus in Russland, das 2023 einen historischen Höchststand erreicht hatte, in der ersten Hälfte des Jahres 2024 noch, doch bereits im August ging es im Jahresvergleich um 9,5 Prozent stark zurück, gefolgt von einem zweiten Rückgang um 10,5 Prozent im November.
"Die Stagnation erklärt sich durch den Rückgang der Wohnungsnachfrage aufgrund der Streichung des Programms für Hypotheken zu Vorzugskonditionen von acht Prozent ab Juli, der Verschärfung der Kriterien für die Vergabe von Familienhypotheken und der Zinsflut bei Marktkrediten", erklärt Belenkaja weiter.
Die Unternehmen bekommen den hohen Leitzins hart zu spüren. Seit November ist die Kreditvergabe an Unternehmen zum ersten Mal rückläufig.
"Die Anhebung des Leitzinses auf Werte über 20 Prozent (das ist der Höchstwert der letzten 20 Jahre) war in den Erwartungen der Unternehmen zu Beginn des Jahres nicht vorgesehen und wird von ihnen bereits sehr stark wahrgenommen", erläutert Belenkaja. So heißt es in dem von der Zentralbank durchgeführten Unternehmensmonitoring für November, dass "die Unternehmen Folgendes festgestellt haben: einen spürbaren Anstieg der Kosten und einen Mangel an Rohstoffen in einer Reihe von Branchen, Probleme mit dem Zahlungsverkehr und die Notwendigkeit der Begleichung von Rechnungen mit Vertragspartnern zu den Bedingungen einer teilweisen oder vollständigen Vorauszahlung".
Russland geht mit einem Leitzins von 21 Prozent in das neue Jahr, während die Inflation noch nicht eingedämmt werden konnte. "Bereits Mitte Dezember lag die seit Jahresbeginn aufgelaufene Inflation bei über neun Prozent, und bis zum Jahresende könnte sie 9,5 bis 10 Prozent erreichen", erklärt Belenkaja.
"2024 war ein schwieriges Jahr für die russische Wirtschaft, die zentrale Regulierungsbehörde und die Bevölkerung des Landes insgesamt, da die Inflationsraten das ganze Jahr über die Ziele der Zentralbank überstiegen. Aber auch die Haushaltseinkommen sind vor dem Hintergrund der geringen Arbeitslosigkeit im Land stark gestiegen, was die Verbrauchernachfrage und damit auch die Inflation erhöht hat", fasst Tschernow zusammen.
Gleichzeitig geht die Zentralbank davon aus, dass die Inflation nach dem Höchststand im April unter dem Einfluss der hohen Zinssätze und der Verlangsamung der Kreditvergabe an Unternehmen zurückgehen wird.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 5. Januar 2025 zuerst auf der Webseite der Zeitung Wsgljad erschienen.
Olga Samofalowa ist Wirtschaftsanalystin bei der Zeitung Wsgljad.
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