Von Irina Alksnis
Statt der gewohnten Nachrichtenflaute erwiesen sich die traditionellen Maifeiertage dieses Mal als sehr ereignisreich. Die wichtigste Nachricht war die Bildung der neuen russischen Regierung und die Aktivierung der Armee am Charkower Frontabschnitt. Doch die größte Informationsexplosion entfachte wenige Stunden vor der Rückkehr des Landes zum normalen Arbeitsrhythmus Wladimir Putin selbst: Er ernannte den bisherigen Verteidigungsminister Sergei Schoigu zum Sekretär von Russlands Sicherheitsrat und schlug für den Posten des Verteidigungsministers Andrei Beloussow vor, der zuvor das Amt des ersten Vize-Ministerpräsidenten bekleidet hatte.
Als vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass Russlands Regierungschef Michail Mischustin für den Posten seines ersten Stellvertreters in der neuen Regierung den bisherigen Industrie- und Handelsminister Denis Manturow vorgeschlagen hatte, reagierten Beobachter der russischen Wirtschaftspolitik etwas verwirrt und sogar misstrauisch. Der Beitrag, den Manturow und das von ihm geleitete Industrie- und Handelsministerium dazu geleistet haben, dass die heimische Wirtschaft alle Herausforderungen der letzten Jahre (von Pandemien bis hin zu den "Sanktionen aus der Hölle") gemeistert hat, ist enorm, und seine neue Ernennung ist absolut gerechtfertigt.
Doch genauso folgerichtig kam die Frage auf: Was ist mit Beloussow?
Immerhin war es gerade der erste Vize-Ministerpräsident, der jahrelang, als Berater des Präsidenten, konsequent Ideen der staatlichen Regulierung und der Reindustrialisierung Russlands die Realwirtschaft als das wichtigste Triebmittel zur Entwicklung des Landes gefördert hat – all die Änderungen, die wir in den letzten Jahren beobachtet haben.
Einige sahen in Beloussow gar den Erzfeind des sich traditionellerweise auf die monetaristische Herangehensweise stützenden Finanzblocks der Regierung. Die letzten Jahre zeigten überzeugend, wie falsch diese Ansicht war, als gerade die gut abgestimmte Zusammenarbeit der "Finanzleute" und der "Industriellen" der russischen Wirtschaft ermöglichte, nicht nur den vom Westen für sie organisierten Sturm zu meistern, sondern einen echten Durchbruch zu erzielen. Die Bedeutung Beloussows als erster Vize-Ministerpräsident ist dabei schwer zu überschätzen. Und nun schien er ganz ohne Amt zu bleiben – selbstverständlich führte das zu Gemunkel und diversen Verschwörungstheorien.
Doch die wichtigste Überraschung stand noch bevor – die Nachricht von seinem Wechsel zum Verteidigungsministerium kam wie ein Donnerschlag und löste im Westen einen regelrechten Schock aus. In diesem Zusammenhang werden wir in den kommenden Tagen noch viele Vermutungen hören, warum Putin für den Posten des Verteidigungsministers einen rein zivilen Mann und einen Wirtschaftsfachmann –, ja, einen Makroökonomen und Strategen – ausgewählt hat.
Dabei gab der Kreml, wie in zahlreichen anderen Fällen, eine offene Erklärung für diese Entscheidung des Präsidenten ab.
Erstens ist Russlands Verteidigungs- und allgemeiner Sicherheitshaushalt insgesamt in den letzten Jahren wegen allseits bekannter Umstände drastisch gestiegen: Er hat bereits 6,7 Prozent des BIP erreicht und nähert sich dem Wert der späten Sowjetunion von 7,4 Prozent. An der Staatsspitze Russlands stehen indes Menschen, die sich sehr gut daran erinnern, dass die kolossale Bürde des Verteidigungshaushalts einer der Gründe war, der die sowjetische Wirtschaft ruinierte. Das bedeutet nicht, dass er umgehend gesenkt werden sollte. Der Westen hat einen Krieg gegen Russland begonnen, das vor unseren Augen die Vorsilbe "Stellvertreter" verliert – eine Reduzierung kommt nicht infrage. Möglicherweise muss der Etat sogar noch weiter erhöht werden. In solchen Fällen ist es notwendig, dass die Militärausgaben mit maximaler Effizienz und Nutzen – sowohl für die Armee, als auch für das Land insgesamt – aufgewendet werden. Und das ist eine Aufgabe für einen Wirtschaftsfachmann.
Zweitens erklärte der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow direkt:
"Heute siegt auf dem Schlachtfeld derjenige, der für Innovationen offener ist."
Offenbar hegt der Kreml keine Hoffnung auf ein baldiges Ende der Konfrontation mit dem Westen, und der russischen Armee stehen noch viele Herausforderungen und Schlachten bevor. Der Mut unserer Soldaten, die dem Feind gegenüberstehen, ist grenzenlos, doch zum Hauptziel von Wladimir Putins Politik wurde die Bewahrung der Bevölkerung erklärt – und das gilt für Militärangehörige nicht minder, als für Zivilisten. Folglich besteht die Aufgabe, die Armee mit allem Notwendigen zu versorgen, um die Leben der Kämpfer zu bewahren, darunter die neuesten Entwicklungen von Personalausrüstung bis hin zu schweren Waffen.
Doch die Armee ist in jedem Land ein recht träges und geschlossenes System mit zahlreichen Besonderheiten. Im Vergleich zum Pentagon mit seiner Tüte mit Schrauben für 90.000 US-Dollar erscheint Russlands Verteidigungsministerium wie ein Muster an Transparenz, Effizienz und Innovation, doch wir haben genug Probleme – das Korruptionsverfahren gegen den ehemaligen Vize-Verteidigungsminister Timur Iwanow ist ein Beweis dafür.
Das erklärt, warum Wladimir Putin ausgerechnet Andrei Beloussow für den Posten des Verteidigungsministers auswählte – einen Wirtschaftsexperten, der strategisch und in nationalen Interessen denkt, der über eine reiche Erfahrung im Umbau der russischen Wirtschaft und feste Verbindungen zur Rüstungsindustrie verfügt.
Für den Krieg hat Russland den Generalstab. Um die Armee und den militärisch-industriellen Komplex in ein modernes, anpassungsfähiges System mit schneller Einführung von Innovationen und hoher wirtschaftlicher Effizienz zu verwandeln, schickt der Präsident Andrei Beloussow ins Verteidigungsministerium.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 13. Mai bei RIA Nowosti.
Irina Alksnis ist eine russische Politologin und Publizistin.
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