Von Wladislaw Sankin
Das Einzige, was der Ex-Verteidigungsminister Sergei Schoigu und sein Nachfolger Andrei Beloussow gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass beide keine ausgebildeten Militärs sind: Schoigu ist studierter Bauingenieur und Beloussow Wirtschaftswissenschaftler. Und damit endet schon ihre Ähnlichkeit.
Schoigu stammt aus der sibirischen Republik Tuwa und ist mit seinen fast 69 Jahren vier Jahre älter als Beloussow, der aus einer Moskauer Akademikerfamilie stammt. Schoigu wurde noch zu Sowjetzeiten Parteifunktionär, wechselte Anfang der 1990er Jahre nach Moskau und startete dort eine steile Karriere in verschiedenen Staatsämtern. Er gilt als erfahrener Apparatschik und einstiger Mann von Jelzin.
Aber er gilt auch als Mann der Tat. Noch während der ersten Amtszeit von Jelzin übernahm Schoigu im Jahr 1994 die Leitung des damals neu gegründeten Katastrophenschutzministeriums. Viele erfolgreich durchgeführte Rettungs- und Evakuierungsaktionen in dem riesigen, ständig irgendwo von Naturkatastrophen und Havarien heimgesuchten Land, machten die Arbeit seines Ministeriums medial sehr sichtbar, und so wurde Schoigu für viele Jahre zum durchaus beliebtesten Minister im Land. Diese Popularitätswerte galten auch noch für die ersten Jahren nach seinem Wechsel in das Verteidigungsministerium im Jahre 2012.
Sein Vorgänger in diesem Amt, Anatoli Serdjukow, hatte in den fünf Jahren seiner Amtszeit das Militärressort durch Sparmaßnahmen ziemlich kaputtreformiert und wurde nach einer Reihe von Korruptionsskandalen aus dem Amt entfernt. Ähnliches erlebte nun auch Schoigu selbst, dessen Vize Timur Iwanow sich wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft befindet – ebenso ein längst überfälliger Schritt, denn seit Jahren wurde über Bereicherung und Luxus im Umfeld von Schoigu berichtet.
Doch die Bilanz von Schoigu als Verteidigungsminister ist insgesamt nicht negativ. Er hat es zumindest geschafft, die verheerenden Folgen der Serdjukow-Reformen zu lindern und die russische Armee für die Operationen auf der Krim und in Syrien fit zu machen. Man kann sagen, dass er es geschafft hat, aus den russischen Streitkräften eine effiziente Expeditionsarmee zu machen, die erfolgreich gegen schwächere Gegner kämpfen kann.
Doch für die großangelegte Militäroperation in der Ukraine war die Armee nicht gut genug vorbereitet. Diese Erkenntnis ist in Russland inzwischen ein Allgemeinplatz. Die Starrheit der veralteten Kommandostrukturen, der Bürokratismus und eine anfängliche Ineffizienz in der Nutzung der neuen Technik hatten in den ersten anderthalb Jahren der Kämpfe viele Soldaten das Leben gekostet. Die Versetzung von Schoigu scheint vor diesem Hintergrund wie auch die Entlassung seines Vorgängers vor elfeinhalb Jahren eine logische Konsequenz zu sein. Neue Herausforderungen rufen neue Menschen und Lösungswege auf den Plan.
Andrei Beloussow war zu Jelzins Zeit noch in der Wissenschaft und verschiedenen analytischen Zentren tätig, ab 1999 begann er seine Beratungstätigkeit für die Regierung – fast gleichzeitig mit dem schnellen Aufstieg Wladimir Putins, der im Jahr 2000 erstmals Präsident wurde. Im Unterschied zum wortkargen Schoigu wirkt Beloussow wie ein Intellektueller, der von eigenen Ideen und Visionen zur Entwicklung des Staates in der gegenwärtigen geopolitischen Realität nur so strotzt. Allerdings sucht er, ähnlich wie Schoigu, keineswegs die Öffentlichkeit und gibt nur selten Interviews.
In den ersten Jahren war Beloussow lange Zeit als Putins Wirtschaftsberater tätig und hatte verschiedene Regierungsämter inne. Dabei sind wohl die letzten vier Jahre als Vize-Premierminister im erfolgreichen Kabinett von Mischustin wohl die interessantesten Jahre. Er hat die Umsetzung der sogenannten Nationalen Projekte geleitet und sorgte für die synergetische Verknüpfung vieler Bereiche mit Zukunftsorientierung miteinander: Von der Talenteförderung unter der Jugend über den logistischen Ausbau in den entlegenen Regionen bis hin zu einer innovationsorientierten Wirtschaft. Außerdem hat er sich als erfolgreicher Manager und Organisator hervorgetan.
Die russischen Medien sind voll mit Kommentaren zum neuen Verteidigungsminister. Es herrscht Jubel- und Aufbruchstimmung. Beloussow sei ein Stratege und Visionär, ein Freund der neuesten Technologien. Er sei nicht nur erfahren, sondern auch pragmatisch, patriotisch und vor allem staatsorientiert und er werde es schaffen, das Verteidigungsministerium zu einem High-Tech-Komplex umzubauen. Seine Ernennung verhelfe Russland zum Sieg, glauben auch Militärexperten. Außerdem gelte er als unbestechlich, und sein Ruf sei makellos.
Charakteristisch ist die Bewertung eines Duma-Abgeordneten (denn die Duma wird noch für seine Ernennung am Dienstag als letzte Formalie auf dem Wege ins Amt bestätigen müssen): Er sei "zweifellos der beste Kandidat", um den Komplex der russischen Rüstungsindustrie auszubauen und neue Technologien einzuführen.
Die Entscheidung Wladimir Putins sagt eines: Der Krieg mit dem Westen wurde von einem gescheiterten Blitzkrieg zu einer Zermürbungskonfrontation, was bedeutet, dass die Wirtschaft in den Vordergrund rückte. Das weiß man im Westen. Es war für die westlichen Experten in den zahlreichen Fernsehschaltungen am Montag sichtlich unangenehm, die Veränderung im russischen Verteidigungsministerium zu kommentieren. Es wird ihnen vermutlich auch schwer fallen, das ganze Ausmaß der Bedeutung dieses Amtswechsels zu erfassen.
"In sechs Jahren müssen wir den Weg gehen, den die westlichen Länder in hundert Jahren gegangen sind. Andernfalls werden wir zerschlagen. Und wenn sich dieses Testgelände in den nächsten zwei Jahren bewährt, wird die Erfahrung, die der neue Verteidigungsminister sammelt, auf das ganze Land ausgedehnt. Dies ist wirklich das Ausmaß der Umgestaltung durch Peter den Großen und Stalin", schreibt der russische Militärexperte Juri Barantschik.
Andrei Remowitsch Beloussow ist dieses gewaltige Ausmaß der ihm gestellten Aufgaben mehr als nur bewusst. Sie sind Teil seiner Familiengeschichte. Sein Vater, der Ehrenprofessor Rem Alexandrowitsch Beloussow, war einer der führenden sowjetischen Wirtschaftswissenschaftler und Regierungsberater. Er war Spezialist für Kriegswirtschaft und Wirtschaftsaufbau nach dem Krieg. Anfang der 2000er Jahre veröffentlichte er das fünfbändige Werk "Russische Wirtschaftsgeschichte". Dessen vierte Band heißt "Russlands Wirtschaft unter den Bedingungen des 'heißen' und des 'kalten' Krieges".
Sein Sohn kennt die Geschichte, die sich nun auf neuem technischem Niveau zu wiederholen scheint. Und er kennt auch die Lehren aus der Geschichte, denn die beinhaltet nicht nur Erfolge und Siege, sondern auch Fehler. Seine Ernennung macht all denjenigen Hoffnung, die an den russischen Sieg glauben und ihn auch wünschen. Und für Russlands Feinde und Gegner ist sie ein weiterer Grund zur Besorgnis.
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