Das Militärberufungsgericht in der russischen Teilrepublik Komi hat die Strafe für den Chefredakteur des Online-Magazins Rabkor und international bekannten, linken Soziologen Boris Kagarlizki von einer Geldstrafe auf fünf Jahre Gefängnis verschärft. "Das Gericht hat beschlossen, die Entscheidung der ersten Instanz aufzuheben und B. J. Kagarlizki eine Strafe von fünf Jahren Haft in einer allgemeinen Strafkolonie aufzuerlegen", teilte der Richter laut russischen Medien mit.
Das Oberste Gericht von Komi hatte Kagarlizki im Dezember 2023 in einem Fall zur Rechtfertigung von Terrorismus zu einer Geldstrafe von 609.000 Rubel (rund 6.000 Euro) verurteilt und aus dem Gerichtssaal entlassen – RT DE berichtete. Die Staatsanwaltschaft war mit der Milde des Urteils nicht einverstanden. Die Behörde legte gegen das Urteil Berufung ein und bestand auf einer echten Freiheitsstrafe von für dieses Delikt maximal vorgesehenen sieben Jahre.
Das Strafverfahren gegen Kagarlizki war unter Teil 2 des Artikels 205.2 des russischen Strafgesetzbuches (die Höchststrafe sieben Jahre Haft) im Juli 2023 eingeleitet worden. Laut dem Anwalt des Soziologen, Sergei Jerochow, steht der Fall im Zusammenhang mit Kagarlizkis Video über die Explosion auf der Krim-Brücke im Oktober 2022.
In seiner Stellungnahme stützte sich der russische Inlandssicherheitsdienst FSB auf die Schlussfolgerung des psychologischen und sprachlichen Gutachtens, das in dem Videoclip "psychologische und sprachliche Anzeichen für die Anerkennung der Ideologie und der Praxis fand, eine Explosion zu begehen, die die Bevölkerung in Angst versetzt und eine Gefahr für eine Person schafft". Außerdem habe Kagarlizki Bombenanschläge angeblich positiv bewertet und als Lösung zur Beendigung der Militäroperation unterstützt.
Kagarlizki selbst widersprach dem Gutachten vehement. Er betonte, dass sich die Anklage auf zwei Wörter im Titel des Videos stütze, ohne dessen Inhalt zu berücksichtigen. Er erläuterte, dass der Titel des Videos so gewählt worden sei, um Aufmerksamkeit zu erregen. Es habe sich um einen schlechten Scherz gehandelt und nicht um eine absichtliche Rechtfertigung des Terrorismus. Er habe selbst Terrorismus stets verurteilt. Das besagte Video auf dem YouTube-Kanal Rabkor wurde gelöscht.
Auf dem Waldai-Forum im Oktober versprach der russische Präsident Wladimir Putin, die Angelegenheit mit Kagarlizki zu prüfen. Radhika Desai, Professorin am Fachbereich für politische Studien der Universität Manitoba, übergab dem Staatschef zuvor ein Schreiben zum Fall des Soziologen und bat ihn um dessen Freilassung. Am Dienstag sagte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, dass es kein Kommentar zu Causa Kagarlizki vonseiten des Kreml geben wird, weil der Kreml Gerichtsbeschlüsse grundsätzlich nicht kommentiere.
Kagarlizki ist ein russischer Soziologe und Politikwissenschaftler, der an der Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften unterrichtet. Außerdem ist er Autor von Artikeln und Forschungsarbeiten über die Probleme der linken Bewegung in Russland und in der Welt. Der von ihm vor der Verhaftung geführte YouTube-Kanal Rabkor hat 116.000 Abonnenten. Der Kanal bleibt auch in seiner Abwesenheit aktiv.
Im Mai 2022 war er in das russische Register der ausländischen Agenten aufgenommen worden. Er hat mit mehreren Organisationen im Ausland zusammengearbeitet, darunter der Rosa Luxemburg Stiftung. Vermutlich hat er von ihnen auch projektbezogene finanzielle Unterstützung erhalten.
Der Soziologe und Publizist hatte in der Vergangenheit eine politische Karriere angestrebt und paktierte mit Parteien und Bewegungen aus dem linken Spektrum. Die Angliederung der Krim in die Russische Föderation kritisierte er als "Ablenkung" von sozialen Problemen. Dennoch hatte er 2014 die prorussischen Rebellen in den Volksrepubliken Lugansk und Donezk unterstützt. Doch seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine 2022 ging Kagarlizki in Fundamentalopposition zur russischen Regierung.
Russische Medien berichteten am Dienstag ausführlich über den Fall Kagarlizki. Viele Politkommentatoren äußerten sich überrascht über die Härte des Urteils. Laut dem Politologen Sergei Markow könnte das Urteil dem Ansehen Russlands in den Ländern des Globalen Südens schaden, da Kagarlizki mit mehreren linksgerichteten Staatschefs in Lateinamerika und Afrika befreundet sei. Rechtsanwalt Jerochow hofft nun auf Rechtsbehelfe beim Kassationsgerichtshof. Er sagte, dass das Verfahren prozessuale Fehler beinhalte und das Strafgesetzbuch die Möglichkeit für die Freilassung seines Mandanten beinhalte.
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