Das ZDF berichtete in einer Live-Schaltung im Rahmen der Sendung "ZDFheute live" am Montag aus der russischen Stadt Mariupol im Donbass. Der Titel: "Seltener Blick in russische Besatzung".
Korrespondent vor Ort war der Leiter des Studios Moskau, Armin Coerper, der bisher das westliche und deutsche Narrativ bedient hat. Zu erwarten war daher die übliche deutsche Gräuelpropaganda, doch es kam anders: Coerper berichtete, dass er sich frei bewegen und mit den Menschen sprechen könne. Er berichtete von sichtbarer Zerstörung, aber eben auch von sichtbarem Wiederaufbau. "Die Stadt funktioniere", sagte Coerper. Dieser Satz wird später ebenso harsch kritisiert wie sein Hinweis, das Theater von Mariupol werde wieder aufgebaut. Die Menschen seien offen und berichten ohne Angst, sprach Coerper in die Kamera. Das alles deckt sich nicht mit dem, was das ZDF und die großen deutschen Medien sonst über Russland berichten.
Russland investiere viel, sagte Coerper und in der Tat sei es das erklärte Ziel Russlands, den Standard bis 2030 in den neuen Regionen auf russisches Niveau anzuheben. Es würden Wohnungen in großer Zahl gebaut, ebenso Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Die Arbeiter kämen aus Zentralasien, aus Russland und selbstverständlich entstünden auch für die Menschen in Mariupol Arbeitsplätze. Russland wiederhole das, was auch in Tschetschenien und auf der Krim gut funktioniert habe. Man schaffe mit Investitionen Wachstum und Wohlstand.
Russland hat in Mariupol die administrative Kontrolle, die Währung sei der Rubel, die Renten und Sozialleistungen werden aus russischen Mitteln bezahlt. Bereits 2014 hatte der damalige ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, die Zahlung von Renten und Sozialleistungen durch Kiew für den Donbass eingestellt. In den Schulen wird nach russischem Lehrplan und mit russischen Schulbüchern unterrichtet und das "russische Narrativ" verbreitet, wie Coerper es nennt.
Man könnte daher auch sagen, dass Mariupol eine russische Stadt ist. Dass genau dieser Eindruck bei vielen Zuschauern entstanden ist, macht der Shitstorm deutlich, den das ZDF für seinen Bericht einstecken musste. Der Bericht unterscheidet sich zu stark von der sonstigen Berichterstattung über den Donbass und Russland in den deutschen Medien. Das macht ihn für die Zuschauer unerträglich.
Das ZDF sah sich zu einer Klarstellung veranlasst:
Im Gespräch mit 'ZDFheute live' am 29. Januar 2024 hat Armin Coerper die missverständliche Formulierung 'die Stadt funktioniert' gewählt. Dieses Zitat allein herauszugreifen, gibt seinen Eindruck allerdings nur verkürzt wieder. Armin Coerper schildert vielmehr, wie Russland versucht, mit erheblichen Finanzmitteln den Eindruck von Normalität und Wiederaufbau zu erzeugen.
Der Wiederaufbau und die Normalität seien nicht echt, sondern nur ein erzeugter Eindruck, behauptete das ZDF, bleibt aber schuldig klarzustellen, worin seiner Auffassung nach der Unterschied liege. Die errichteten Häuser, Schulen und Kliniken vermitteln nicht nur den Eindruck ihrer Existenz, sie existieren wirklich.
Coerper wäre naiv und hätte sich dem russischen Narrativ angeschlossen, wird behauptet. Dass die Stadt überhaupt wieder aufgebaut werden müsse, ginge ausschließlich auf das Konto von Russlands "brutalem Überfall", wird Coerper kritisiert.
Die Reaktionen zeigen auch, wie verwurzelt das westliche Narrativ in den Köpfen der Zuschauer ist, die sich gegen die Korrektur ihrer übernommenen Sicht zur Wehr setzen.
Auf dem Kurznachrichtendienst X meint der User Ozi, Coerper sei ein von Putin gekaufter Journalist. Ozi zeigt damit, dass bei ihm das Narrativ, in Russland gäbe es keine freie Presse gut verankert ist.
Frank Helmenstein glaubt nicht, dass Coerper russische Propaganda verbreiten will, aber "Qualitätsjournalismus" sei die Reportage auch nicht.
Die Frankfurter Rundschau moniert, dass das ZDF-Team von Russland aus nach Mariupol eingereist war und somit faktisch auch den territorialen russischen Anspruch anerkannt habe. Die Argumentation ist insofern schräg, da eine Einreise über die Ukraine gar nicht möglich ist. Die Frankfurter Rundschau gibt das auch zu. Also wäre kein Bericht der bessere Journalismus gewesen?
Coerper erklärte, dass er kein vollständiges Bild liefern könne. "Mariupol ist kein Ort für einfache und klare Antworten", sagte er und die Frankfurter Rundschau dreht ihm daraus einen Strick. Denn natürlich ist die Antwort ganz einfach.
“Russland hat diesen Bereich der Ukraine gegen jegliches internationales Recht annektiert und wollte das gesamte Land erobern. Als dies fehlschlug, begann eine beispiellose Zerstörung, in deren Zentrum das Asow-Stahlwerk von Mariupol stand”,
behauptet die Frankfurter Rundschau.
Sie ist mit dieser Wiederholung des längst widerlegen deutschen Narrativs noch weiter vom Qualitätsjournalismus entfernt als Coerper, der sich aufrichtig bemüht zeigte, das Narrativ auch angesichts dessen, was er in Mariupol vorfand, weiterzuführen.
Klar ist, auf die Deutschen wird noch eine große Zahl an "Zumutungen" zukommen, wie sie Coerper mit seinem Bericht geliefert hat, denn die bisherige Berichterstattung in Deutschland über die Ukraine wird sich nicht aufrechterhalten lassen. Das deutsche Narrativ unterscheidet sich zu sehr von der Realität, die sich im Donbass vorfinden lässt.
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