Ein Gericht in Moskau hat am Donnerstag den früheren kurzzeitigen Verteidigungsminister der Volksrepublik Donezk (DVR) und Kommandeur von Aufständischen in Slawjansk Igor Girkin (alias Strelkow) zu vier Jahren Freiheitsentziehung mit Verbüßung in einer Kolonie allgemeinen Regimes verurteilt. Es befand den seit 2013 pensionierten Oberst des FSB des Extremismus und der Anstachelung zu extremistischen Handlungen für schuldig.
Gegenstand der Anklage gegen Girkin waren seine Äußerungen in sozialen Netzwerken und in Videoauftritten, in denen er solchen Beamten, die für verspätete Zahlungen an Familien von aus dem Donbass stammenden russischen Militärangehörigen verantwortlich wären, die Erschießung in Aussicht stellte. Der ganze Prozess sowie das im Gerichtssaal Erörterte unterlagen jedoch der Geheimhaltung, die Verhandlung war nichtöffentlich, was Beobachter vermuten lässt, dass mehr Anschuldigungen als nur der eine öffentlich kommunizierte Fall zur Strafverfolgung des pensionierten Offiziers des FSB geführt haben.
Girkin diente von 1993 bis 2001 in verschiedenen Formationen der russischen bewaffneten Kräfte, unter anderem auch im Tschetschenien-Krieg. Danach wurde er Offizier des FSB, darüber ist jedoch wenig bekannt, außer dass er 2013 den Dienst mit dem Rang Oberst verließ.
Er tauchte dann unter seinem Pseudonym Strelkow im April 2014 mit einer kleinen Gruppe von der Krim stammender Freiwilliger in der von örtlichen Antimaidan-Rebellen bereits kontrollierten Stadt Slawjansk im Donbass auf und übernahm unter ungeklärten Umständen die Führung der Aufständischen-Garnison. In Videoauftritten mimte er einen weißgardistischen Offizier, wodurch er insbesondere bei dem antikommunistisch orientierten Teil der russischen Zivilgesellschaft beliebt wurde. Im Mai 2014 wurde er von der provisorischen Regierung der soeben ausgerufenen Volksrepublik Donezk zu deren Verteidigungsminister ernannt, residierte aber weiterhin in Slawjansk.
Das Ansehen von Girkin nahm Schaden, als er am 5. Juli 2014 in einer umstrittenen Aktion die Aufständischen aus dem belagerten Slawjansk und weiteren, nicht belagerten Städten der Donbass-Agglomeration herausführte und so einen großen Teil des Gebiets der Volksrepublik Donezk kampflos ukrainischen Truppen überließ. Dubiös ist auch seine Rolle in dem Fall des Abschusses der malaysischen Boeing 777 (Flug MH17) über dem Donbass. Die westlichen Anschuldigungen gegen Russland und die Aufständischen des Donbass beruhen unter anderem auf Girkins Äußerungen.
Am 14. August 2014 erklärte Girkin – offenbar auf Druck aus Moskau – seinen Rücktritt als Verteidigungsminister der DVR und verließ deren Territorium. In der Folge kommentierte er die Ereignisse im ukrainischen Bürgerkrieg und im russisch-ukrainischen Konflikt aus Moskau in hunderten Videos, wobei sich seine Kritik am staatlichen Vorgehen zunehmend radikalisierte und dabei immer häufiger persönliche Beleidigungen russischer Politiker bis hin zum Präsidenten vorkamen. Auch gab er ukrainischen Medien Interviews, seine öffentlichen Aussagen wurden von der ukrainischen und westlichen Propaganda gern als Beweise der eigenen Narrative aufgegriffen. Er gehört zu den wenigen Vertretern der russischen Seite, die im Westen und so auch in deutschen Medien, überhaupt zitiert werden. Girkin war bis zuletzt eine ergiebige Quelle für allerlei Verschwörungstheorien rund um die Ereignisse im Donbass und in Russland.
Nach Beginn der militärischen Sonderoperation Russlands wurde Girkins Kritik zunächst wieder konstruktiver, er begab sich eigenem Bekunden nach auch in das Kriegsgebiet, um sich den dort Kämpfenden als Freiwilliger anzuschließen, verließ das Gebiet jedoch nach einigen Wochen wieder, ohne jemals an Kampfhandlungen teilgenommen zu haben. Danach wurden seine Äußerungen wieder radikaler. Er bezichtigte das russische Verteidigungsministerium des Verrats und der Inkompetenz und verbreitete öffentlich unbewiesene Thesen verschwörungstheoretischer Art. Im April 2023 verkündete er die Schaffung der "Organisation Wütender Patrioten", die sich offenbar in Opposition zur politischen und militärischen Führung Russlands begeben sollte. Am 21. Juli 2023 wurde er in dem Verfahren, das nunmehr in erster Instanz zum Abschluss kam, verhaftet.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Girkins Verteidiger hat angekündigt, dagegen Berufung einzulegen.
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