Von Andrew Korybko
Selenskij sieht sich offensichtlich einem heftigen Gegenwind ausgesetzt, nachdem sich die westliche Darstellung in den Medien über den Konflikt in der Ukraine – nach der gescheiterten Gegenoffensive im vergangenen Sommer – entscheidend verändert hat. Deshalb fordert er neuerdings, dass die Geheimdienste die Medien zensieren sollten, um das zu bekämpfen, was er als "russische Desinformation" bezeichnet. Dies ist genau das, was er laut der offiziellen Webseite seines Präsidialamtes am vergangenen Sonntag bei der in Schweden abgehaltenen Konferenz "Gesellschaft und Verteidigung" sagte. Auf eine Frage des Moderators der Veranstaltung antwortete der ukrainische Präsident, dass die globale Informationspolitik in naher Zukunft von entscheidender Bedeutung sein werde.
"Leider kontrolliert Russland heute einen großen Teil des Informationsraums. Und ich spreche hier nicht nur von der Ukraine, sondern von den sozialen Medien überall in der zivilisierten Welt. In Europa, den Vereinigten Staaten, Großbritannien, dem afrikanischen Kontinent und Lateinamerika. Russland investiert viel Geld in verschiedene Medien in vielen Ländern sowie in soziale Netzwerke."
Laut dem ukrainischen Präsidenten greifen die unabhängigen Medien in den genannten Staaten und Regionen, die von Propagandisten verbreiteten russischen Narrative auf und verbreiten sie nicht als Meinung weiter, sondern als Realität. Daher zeigte sich Selenskij davon überzeugt, dass eine der schwierigsten Herausforderungen derzeit darin bestehe, die russische Desinformation in der Welt zu bekämpfen. "Es liegt an den Fachleuten, jene beim Geheimdienst bis hin zu den unabhängigen Journalisten, die Sache zu überwachen und ihr entgegenzutreten", sagte Selenskij.
Wenn man das, was er gesagt hat, im Detail analysiert, fällt als Erstes sein Eingeständnis auf, dass Russland auf der ganzen Welt mehr Herzen und Ansichten für sich gewinnen konnte als der Westen, selbst in seinem eigenen Land. Sein Verweis auf die angebliche "Kontrolle eines großen Teils des Informationsraums" in der Ukraine ist wahrscheinlich eine Anspielung auf das, wovor er Ende November in Bezug auf die angeblichen Pläne zur Inszenierung eines "dritten Maidans" gewarnt hatte. In Wirklichkeit versuchte Selenskij jedoch lediglich, bevorstehende Proteste seiner Rivalen präventiv zu diskreditieren.
Bemerkenswert ist zudem die auffällige Auslassung Asiens aus der von ihm als "zivilisiert" bezeichneten Welt. Selenskij ist wahrscheinlich wütend darüber, dass Schwergewichte wie China, Indien, Saudi-Arabien und die Türkei sich geweigert haben, ihre objektiven nationalen Interessen zu opfern, indem sie den antirussischen Sanktionen des Westens folgten. Aber auch kein afrikanisches oder lateinamerikanisches Land ist diesen Sanktionen nachgekommen. Hingegen hat die Ukraine in letzter Zeit diplomatische Vorstöße in diesen Teilen der Welt unternommen, weshalb er sie nicht als "unzivilisiert" verunglimpfen wollte.
Im weiteren Verlauf erweckte Selenskij den Eindruck, dass Russland mehr Geld in seine angeblichen Operationen im Ausland investiert hat, um dort die Meinungen zu beeinflussen, als alle anderen globalen Akteure. Tatsache ist jedoch, dass die US-Agentur für globale Medien vergangenes Jahr 840 Millionen US-Dollar an Fördermitteln erhalten hat, während beispielsweise RT lediglich 288 Millionen US-Dollar vom russischen Staat erhielt – gemessen am heutigen Wechselkurs. Ersteres findet sich auf Seite 68 des Berichts des US-Außenministeriums zur Rechtfertigung des Haushalts für das Jahr 2023. Während der zweite Fakt aus einem Bericht einer antirussischen Webseite stammt, in dem die Finanzierung von medialen und kommunikativen Bestrebungen des russischen Staates analysiert wurde.
Ein weiterer Punkt ist, dass der ukrainische Staatschef die multipolare Weltanschauung, die den Zeitgeist unserer Ära darstellt, mit der sogenannten "russischen Propaganda" vermischt. Dabei handelt es sich um eine gängige narrative Taktik, mit der ein globaler Systemwandel diskreditiert werden soll. Obwohl es heutzutage viel schwieriger geworden ist, diese Taktik durchzusetzen, nachdem selbst UN-Generalsekretär Guterres diesen Prozess im vergangenen Sommer offiziell anerkannt hat. Ohne es zu wollen, vertraute Guterres auf die Beobachtungen russlandfreundlicher Experten, und verärgerte damit Selenskij.
Schließlich forderte der ukrainische Präsident, dass die Geheimdienste die Medien überwachen und zensieren sollten, weil der globale Süden und eine wachsende Zahl von Menschen im Westen – und sogar in der Ukraine – das multipolare Paradigma willkommen heißen. Ein Paradigma, das von Russland vertreten wird, obwohl die USA wesentlich mehr Aufwand in die globale Meinungsbeeinflussung investieren. Die Gönner von Selenskij tun dies in großem Umfang, aber tatsächlich ist es diesen Bestrebungen zu verdanken, dass sich das westliche Narrativ zum Ukraine-Konflikt, nach der gescheiterten Gegenoffensive im vergangenen Sommer, entscheidend verändert hat.
Selenskij scheint noch nicht bemerkt zu haben, dass er seine Gönner verärgert hat. Obwohl ein Experte der einflussreichen Denkfabrik Atlantic Council vergangenen Monat in einem Artikel für Politico forderte, dass er so schnell wie möglich eine "Regierung der nationalen Einheit" bilden solle, um effektiv handeln zu können bei der Bewältigung der sich zunehmenden Verschärfung innenpolitischer Probleme. Die Versuche der westlichen Medien, einen Waffenstillstand als Sieg für die Ukraine darzustellen – ebenso wie die anschließenden Friedensgespräche mit Russland –, dienen dem Zweck, Selenskij durch die Blume die Botschaft zu vermitteln, dass es an der Zeit ist, Kompromisse einzugehen.
Was das Ganze noch schlimmer macht, ist die Schlagzeile: "Die New York Times hat gerade das staatlich finanzierte Nachrichtenprogramm der Ukraine diskreditiert." Diese war veröffentlicht worden, bevor Selenskij andeutete, dass jeder auf der Welt, der seine messianische Wahnvorstellung vom maximalistischen Sieg über Russland nicht unterstützt, von der Propaganda Russlands beeinflusst worden sei. Die Realität hingegen ist, dass er derjenige ist, der eine solche Propaganda verbreitet. Und dass sogar eines der führenden Medien seiner westlichen Gönner ihm sagen musste, dass er diese Propaganda aufgeben sollte, wenn er das bisschen Glaubwürdigkeit, das ihm noch verblieben ist, retten will.
Vor diesem Hintergrund wird seiner Forderung, die Geheimdienste sollten die Medien zensieren, nicht nachgekommen werden. Die entscheidende Verschiebung in der Berichterstattung über den Konflikt in der Ukraine hätte stattfinden können, ohne dass die im Schatten agierende Gemeinschaft der Geheimdienste involviert gewesen wäre. Das heißt nicht, dass man nicht noch stärker gegen die Gemeinschaft der alternativen Medien vorgehen wird, sondern nur, dass was auch immer getan wird, es nichts an dem neuesten Trend innerhalb der Medien des Mainstreams ändern wird. Und das bereitet Selenskij große Sorgen.
Aus dem Englischen.
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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