Russische Experten verurteilen Forderungen nach nuklearem Präventivschlag

Die Mitglieder des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik Russlands, einer einflussreichen russischen Denkfabrik, warnen eindringlich vor Überlegungen über einen nuklearen Präventivschlag. Die Folgen eines Atomkriegs zwischen Russland und dem Westen wären katastrophal, konstatieren die Mitglieder des Rates.

Mehr als 20 Experten einer einflussreichen russischen Denkfabrik warnen vor einem nuklearen Präventivschlag Russlands, etwa um in der Auseinandersetzung mit dem Westen über die Ukraine die Oberhand zu gewinnen. Solche Forderungen seien äußerst unverantwortlich und gefährlich, konstatieren die Mitglieder des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik.

Die gemeinsame Erklärung, die Mitglieder des Rates am Donnerstag veröffentlichten, ist eine der jüngsten Reaktionen in russischen Expertenkreisen auf die Debatte über den möglichen Einsatz von Atomwaffen, welche durch einen hochumstrittenen Meinungsbeitrag von Sergei Karaganow als einem Ehrenmitglied des Präsidium des Rates im vergangenen Monat ausgelöst wurde.

Karaganow plädierte für ein Absenken der Schwelle für den Ersteinsatz des Atomwaffenarsenals und vertrat die Ansicht, dass Moskau zu einem bestimmten Zeitpunkt einen präventiven Angriff auf Ziele in Europa in Betracht ziehen sollte.

Ohne Karaganow namentlich zu erwähnen, erklärte eine Gruppe von Mitgliedern der Denkfabrik, dass sie eine solche Argumentation "unmissverständlich verurteilen". "Es ist mehr als unverantwortlich anzunehmen, man könne einen begrenzten Nuklearkonflikt bewältigen und dann verhindern, dass er sich zu einem globalen Atomkrieg ausweitet", warnten sie und fügten hinzu, dass in diesem Szenario "Zigtausende und vielleicht sogar Millionen" von Menschenleben auf dem Spiel stünden. "Dies ist eine direkte Bedrohung für die gesamte Menschheit", heißt es in der Erklärung weiter.

Die Denkfabrik, auch bekannt unter ihrem russischen Akronym SWOP (СВОП: Совет по внешней и оборонной политике), ist Mitbegründer des Waldei-Klubs, an dessen jährlichen Sitzungen auch der russische Präsident Wladimir Putin teilnimmt.

Karaganows Ansatz wurde von anderen namhaften Experten kritisiert, darunter auch von Fjodor Lukjanow, dem Vorsitzenden des Präsidiums des SWOP und Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, der argumentierte, dass der Schaden durch das "infantile Versteckspiel mit Nuklearwaffen" um ein Vielfaches größer sei als der hypothetische Nutzen.

Laut Russlands Nukleardoktrin, die erst 2020 überarbeitet worden war, behält sich das Land das Recht vor, sein Atomwaffenarsenal einzusetzen, wenn es mit Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungswaffen angegriffen wird.

Es kann im äußersten Fall auch dann und nur dann auf die Nuklearwaffen-Option zurückgreifen, wenn Russland mit konventionellen Mitteln angegriffen wird und dadurch "die Existenz des Staates als Ganzes bedroht ist". Putin hatte letzten Monat bekräftigt, dass Moskau nur bei einer existenziellen Bedrohung zu Atomwaffen greifen würde.

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