Von Jewgeni Posdnjakow
In der Nacht auf Donnerstag haben die russischen Streitkräfte gemeinsam mit den Verbänden des Inlandsgeheimdienstes FSB drei Versuche ukrainischer Militärs zurückgeschlagen, ins Gebiet Belgorod einzudringen. Wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte, versuchten Kiews Truppen gegen 3 Uhr nachts Moskauer Zeit mit bis zu zwei Panzergrenadierkompanien, verstärkt durch Panzer, auf das Territorium des Gebiets in der Nähe der Siedlung Nowaja Tawolschanka und des Grenzübergangspunktes Schebekino einzudringen.
Der Angriff wurde mithilfe der Luftstreitkräfte des Wehrkreises West zurückgeschlagen. Die Flugzeuge flogen elf Einsätze, Raketentruppen und Artillerie kamen 77 Mal zum Einsatz, schwere Feuerwerfer zweimal. Über 30 ukrainische Terroristen seien getötet worden, vier gepanzerte Kampffahrzeuge, ein Mehrfachraketenwerfer des Typs Grad und ein Pickup wurden zerstört. "Die aktiven Aktionen ermöglichten, den Gegner zurückzuschlagen, eine Grenzverletzung wurde nicht zugelassen", erklärte das Verteidigungsministerium.
In der Nacht auf Mittwoch nahm das ukrainische Militär die etwa vier Kilometer von der Grenze entfernt gelegene Stadt Schebekino mit ihren 40.000 Einwohnern unter intensives Artilleriefeuer. Nach Angaben des Gouverneurs des Gebiets Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, wurden mindestens acht Menschen verwundet. Die Stromversorgung der Stadt wurde unterbrochen, ein Wohnheim geriet in Brand, das Gebäude der Stadtverwaltung wurde beschädigt. Ein Bus mit Einheimischen geriet ebenfalls unter Beschuss.
Die Behörden erklärten, im Fall einer dringenden Evakuierung gepanzerte Fahrzeuge direkt an die Häuser zu bringen. "Wir werden die Sammelpunkte nicht veröffentlichen, denn sie könnten zum Ziel für jene werden, die heute Zivilisten und Kinder beschießen", sagte Gladkow. Die Evakuierung der Region begann wegen ständiger Artillerieangriffe am 31. Mai.
Gegenwärtig sind in Belgorod über 500 Einwohner von Schebekino untergebracht. Aus den Kreisen Schebekino und Graiworon des Gebiets Belgorod wurden 300 Kinder evakuiert und nach Woronesch geschickt. In den letzten Tagen hörte der Beschuss de facto nicht auf. Nach Angaben der lokalen Verwaltung wurden allein am Mittwoch in Schebekino 37 mehrstöckige und 29 Einfamilienhäuser sowie über 70 Fahrzeuge beschädigt.
Wladimir Putin erhalte regelmäßige Berichte über die Lage in der Region, erklärte am Donnerstag sein Pressesprecher Dmitri Peskow. Darüber hinaus werde der russische Präsident über Hilfsmaßnahmen für Einheimische informiert, darunter über ihre Versorgung mit Übergangsunterkünften. Am Donnerstag unterzeichnete Putin einen Erlass über die Auszeichnung des Oberhaupts der Verwaltung des Kreises Schebekino mit dem Tapferkeitsorden für die Selbstlosigkeit bei der Erfüllung der bürgerlichen Pflicht.
Nach Meinung von Experten greift das ukrainische Militär Schebekino aus zwei Gründen an. Erstens, weil diese Stadt in der Nähe des bedeutenden Regionalzentrums Belgorod liegt. Durch die Schaffung eines Brennpunkts hier hofft die Ukraine, einen Teil der russischen Truppen aus dem Gebiet der Militäroperation abzulenken und daraufhin diejenige Stelle anzugreifen, die durch die Truppenverlegung geschwächt wird.
Zweitens erlebte Selenskijs Regime in der letzten Zeit eine Reihe von Niederlagen. Diese betreffen die endgültige Vernichtung der ukrainischen Flotte in Odessa, den Angriff auf den Stab des ukrainischen Auslandsgeheimdienstes in Kiew und die Probleme bei Artjomowsk. Am Donnerstag räumte der Befehlshaber der ukrainischen Landtruppen, Alexandr Syrski, öffentlich ein, dass die Flankenangriffe in der Nähe der Stadt (Artjomowsk) zum Stillstand kamen. In einer solchen Lage sind Angriffe auf Schebekino ein bequemes Ablenkungsmanöver für die ukrainische Öffentlichkeit.
"Die jüngsten Ereignisse zeigen deutlich den Wunsch Selenskijs und des ukrainischen Militärs, den Konflikt um ein Vielfaches zu eskalieren. Selbstverständlich geschieht all das mit Unterstützung der westlichen Staaten. Die zunehmenden Angriffe auf Schebekino geben zu denken, ob nicht vor unseren Augen eine neue Frontlinie entsteht. Dennoch werden meiner Ansicht nach die Angriffe nicht über gewöhnliche Terroranschläge und Ausfälle hinausgehen", sagte Wadim Kosjulin, Leiter des Zentrums des "Instituts für aktuelle internationale Probleme" der diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums.
Seiner Meinung nach sei für eine Eskalation an den Grenzen des Gebiets Belgorod "eine direkte Zustimmung von Washington" erforderlich. Das ukrainische Militär versuche, durch die Angriffe die russische Bevölkerung einzuschüchtern und die Schwäche der russischen Verteidigung zu demonstrieren. "Zweitens haben die Angriffe auf Schebekino auch einen militärischen Zweck. Selenskijs Regime wendet eine Taktik von 'Mückenstichen' an. Die Aufgabe besteht darin, Schwachstellen der russischen Streitkräfte herauszufinden, bevor die Kräfte an weniger aussichtsreiche Frontabschnitte verlegt werden und zur Gegenoffensive übergehen. Panzer nutzen sie, um der Situation besonderes Gewicht zu verleihen", erklärte Kosjulin.
Einer der Gründe für die Angriffe auf Schebekino besteht darin, dass die Stadt weit von der Frontlinie entfernt ist. "Selbst wenn wir also beschließen, Truppen für eine Abwehr dieser Angriffe zurückzuziehen, wird dies recht viel Zeit in Anspruch nehmen, um der Ukraine eine erfolgreiche Gegenoffensive zu ermöglichen", betonte der Experte.
Kosjulin schloss nicht aus, dass das ukrainische Militär versuchen könnte, Schebekino zu einem Schlüsselpunkt zu machen, um weiter die Gebietshauptstadt unter Druck zu setzen. "Es gibt das Risiko von Geiselnahmen mit anschließender Aufstellung irgendwelcher Forderungen. Das sind klassische Methoden von Terroristen", bemerkte der Experte.
"Das ukrainische Militär sondierte die Front mit Sturmgruppen aktiv seit drei Wochen auf der Suche nach einer Stelle, wo sie zuschlagen könnten, um die Front zu durchbrechen und die hundertmal angekündigte Gegenoffensive zu beginnen. Dies brachte aber keine Ergebnisse. Das ukrainische Kommando rieb über fünf Bataillone für diese Angriffe auf, konnte aber nicht einen aussichtsreichen Abschnitt finden", erklärte der Militärexperte Wladislaw Schurygin.
"Und selbst wenn ein solcher gefunden wurde, ist die Wahrscheinlichkeit eines Durchbruchs bei der gegenwärtigen Frontlage nicht groß. Nun versucht das ukrainische Militär anscheinend, einen solchen Abschnitt zu erschaffen, indem sie das Gebiet Belgorod bedrohen", bemerkte er.
"Nach dem Konzept des Gegners würde dies erfordern, dass das russische Kommando einen Teil der Reserven von anderen Frontabschnitten verlegt und den vom ukrainischen Militär zum Durchbruch vorgesehenen Abschnitt schwächt. Die Frage ist nur, wie das russische Kommando auf diesen Köder reagiert. Nach der Entwicklung der Lage zu urteilen, hat dieser Plan keine Perspektiven und wird dem ukrainischen Militär nichts außer weiteren Verlusten bringen."
"Dass bei Schebekino eine neue Frontlinie entsteht, kann man auch nicht sagen, denn die Bildung einer neuen Frontlinie würde die Ansammlung einer großen Menge an Personal und Kriegsgerät voraussetzen. Gegenwärtig ist es offensichtlich, dass das ukrainische Militär nicht in der Lage ist, auf russisches Gebiet vorzustoßen. Faktisch geht es mit Unterstützung der westlichen Länder zum klassischen Terrorismus über", sagte Alexandr Artamonow, Militärexperte und Doktor für Sozialwissenschaften der Katholischen Universität Frankreichs.
"Auf Schebekino werden keine größeren Aktionen folgen. Der Gegner versucht, Schwachstellen in unserer Verteidigung zu finden. Die Logik ist einfach: einen möglichst kleinen Ort finden, versuchen, ihn zu besetzen, und theoretisch auf die Gebietshauptstadt vorstoßen. Das ukrainische Militär ist von der Idee besessen, eine größere russische Stadt anzugreifen", bemerkte der Experte.
"Was die Gegenmaßnahmen angeht, ist es für uns immer noch wichtig, das ukrainische Militär von der Versorgung abzuschneiden, alle Brücken zu zerstören, die es nutzt. Wenn wir irgendwo diese Brücken erneut brauchen, werden wir sie selbst bauen. Und in gewisser Hinsicht wird ein solcher Schritt den Fortschritt der russischen Streitkräfte humaner machen – wir werden weniger gegnerische Truppen vernichten müssen, denn ohne Logistik werden sie sich ergeben müssen", resümierte Artamonow.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
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