Am Morgen des 22. Mai gingen die ersten Berichte über den Angriff eines ukrainischen Panzers auf den russischen Grenzübergang Graiworon im Dorf Kosinka ein. Das entsprechende Video wurde vor allem im ukrainischen Internet verbreitet und von russischen Telegram-Kanälen aufgegriffen. Später tauchten Videoaufrufe einer Sabotage- und Aufklärungsgruppe auf, die sich als Einheit "Russisches Freiwilligenkorps" und "Legion Freiheit Russlands" bezeichnete.
Die beiden Einheiten bestehen aus russischen Überläufern und stehen unter Kontrolle der ukrainischen Militäraufklärung. Sie werden auch mit dem russischen Ex-Politiker Ilja Ponomarjow in Verbindung gebracht. Die "Legion Freiheit Russlands" teilte im ukrainischen Fernsehen mit, sie wolle eine "entmilitarisierte Zone entlang der Grenze" schaffen. Die Bewaffneten riefen die russische Bevölkerung auf, keinen Widerstand zu leisten. "Wir sind nicht ihre Feinde." Die Freiheit sei nahe, hieß es bei Telegram.
Im Laufe des Tages tauchten die Saboteure im Nachbardorf Glotowo und später im Dorf Gora-Podol auf. Schließlich kamen Informationen auf, dass sich die Gruppe der russischen Stadt Graiworon näherte. Diese Orte wurden vom ukrainischen Territorium mit Artillerie und Drohnen beschossen, bis zu zwölf Zivilisten verletzt wurden.
Laut im Internet geteilter Fotos und Videos haben Saboteure bis zu zwei Panzer und mehrere gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt. Auch machten sie gern Selfies. Dadurch konnten mehrere von den "Posierern" als in die Ukraine geflohene russische Neonazis identifiziert werden.
Gleichzeitig versuchten mehrere Telegram-Kanäle Panik in der Bevölkerung zu verbreiten. Es kam zu Telefonanrufen an die Beamten der Region mit widersprüchlichen Informationen. Der Gouverneur des Gebiets Belgorod, Wladimir Gladkow, rief am Dienstagvormittag in einem Videoaufruf die Mitbürger auf, die Ruhe zu bewahren und solche Meldungen zu ignorieren.
Ihm zufolge ging die Durchkämmung des Gebiets durch das Verteidigungsministerium zusammen mit den Sicherheitskräften auch am Dienstag weiter. Er rief die bereits evakuierten Einwohner auf, noch nicht in ihre Häuser zurückzukehren. Laut Videos, die am Dienstag auf vielen Telegram-Kanälen geteilt wurden, befanden sich die ukrainischen Saboteure vormittags immer noch im Grenzdorf Kosinka und richteten dort angeblich einen Befestigungsposten ein. Das genaue Datum der Videos ist jedoch unbekannt.
Insgesamt gab es wenige offiziell bestätigte Informationen über das Geschehen. Ein ortskundiger Militärkorrespondent meldete auf dem reichweitenstarken Telegram-Kanal des bekannten Fernsehkorrespondenten Alexander Sladkow den Tod eines Kämpfers der lokalen Territorialverteidigung. Die Eindringlinge sollen ihn erschossen haben. In einem Video zeigten sie auch einen angeblich getöteten russischen Grenzsoldaten. Die Echtheit dieser Informationen konnte bislang nicht bestätigt werden.
Insgesamt ähnelte die Attacke dem Sabotage-Angriff auf das Gebiet Brjansk im März, bei dem zwei Zivilisten starben. Damals gelang es den russischen Streitkräften, die Eindringlinge noch am selben Tag zurück auf das ukrainische Territorium zu vertreiben. Viele russische Beobachter weisen darauf hin, dass die Attacke auf dem Gebiet Belgorod vor allem psychologische Wirkung erzeugen sollte und zumindest in der medialen Wahrnehmung als erfolgreich bewertet werden müsste.
Im ukrainischen Fernsehen war die Attacke auf Gebiet Belgorod am Montag das Hauptthema des Tages und stellte die jüngsten militärischen Misserfolge an der Front wie den Verlust von Artjomowsk zumindest vorübergehend in den Schatten. Ein Rada-Abgeordneter sagte im Fernsehen, dass er bereit sei, bei der Gründung der "Volksrepublik Belgorod" mitzuwirken, sollte solche Anweisung vom Präsidenten erteilt werden.
Mehrere russische Militärkorrespondenten beklagten, dass Russland für solche Angriffe unvorbereitet sei und unkoordiniert reagiere. Laut dem Kremlsprecher Dmitrij Peskow seien die gestrigen Ereignisse "sehr besorgniserregend". "Sie bestätigen einmal mehr, dass die ukrainischen Militanten ihre Aktivitäten gegen unser Land fortsetzen, was uns große Anstrengungen abverlangt", so Peskow.
Am Dienstagmittag veröffentlichte das russische Verteidigungsministerium ein Video von Präzisionsschlägen und teilte mit, dass die eingedrungenen Kräfte von den russischen Grenzschutz-Truppen mithilfe der Artillerie und Luftwaffe blockiert und zerschlagen wurden. "Die Reste der Nationalisten wurden auf das ukrainische Territorium zurückgedrängt, wo sie weiterhin bis zu ihrer vollständigen Vernichtung unter Beschuss genommen wurden. Über 70 ukrainische Terroristen wurden getötet, vier gepanzerte Kampffahrzeuge und fünf Kleinlastwagen wurden zerstört", sagte der Pressesprecher des Ministeriums General Konaschenkow.
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