Von Anatolij Brusnikin
Seit über 100 Jahren feiert Russland am 23. Februar den Tag des Verteidigers des Vaterlandes. Der Feiertag, der ursprünglich der Roten Armee gewidmet war, gewann nach dem Zusammenbruch der UdSSR an Bedeutung. Und heutzutage feiern die Russen an diesem Tag all diejenigen, die im Militär zur Verteidigung ihres Landes gedient haben. Dies entspricht in etwa dem amerikanischen Tag der Veteranen oder dem britischen Tag der bewaffneten Streitkräfte. Das Militär wurde in Russland schon immer respektiert. Aber im Laufe der tausendjährigen Geschichte des Landes hat sich die Beziehung der Öffentlichkeit zu den Streitkräften des Landes stark verändert.
Waräger: Die Fremden aus dem Norden
Zu Beginn der Existenz der Rus hatten die slawischen Stämme, die das Land bevölkerten und aus dem das spätere Russland entstehen sollte, keine eigene Armee. Wenn Konflikte gewalttätig wurden, dann wurden diese mit den Fäusten ausgetragen, Mann gegen Mann. Diese Konfrontationen setzten sich so lange auf diese Weise fort, bis die Slawen die Kunst des Krieges von ihren nördlichen Nachbarn und Kolonisatoren – den Waräger – erlernten.
Die Garde der Waräger, die die Kontrolle über jene Handelsroute hatten, die durch die zentrale Rus zu den griechischen Zivilisationen führte, nannten sich selbst "Ruderer", da sie Ruderboote in ihren Feldzügen benutzten. Es wird angenommen, dass sich das alte skandinavische Wort "rōþr" irgendwann zu dem ähnlich klingenden "rus" entwickelt hat. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der zukünftige Name Russlands somit aus dem selbst erdachten Namen der Waräger Krieger hervorgegangen ist.
Die Menschen in der Rus trugen einfache Hemden und Helme. Sie waren hauptsächlich mit Speeren und Äxten bewaffnet, während ein Schwert den überlegenen Status eines Kriegers kennzeichnete. Sie kämpften zu Fuß und bewegten sich auf Booten namens Drakkars entlang der Flüsse und Stromschnellen. Die Waräger praktizierten die große Tradition der Wikinger im Handel und in den Raubzügen – etwa genauso wie sie es damals in Westeuropa taten.
Einer der berühmtesten Waräger und erster Herrscher der Rus war der Großfürst Swjatoslaw, der gegen Bulgarien, das Byzantinische Reich und das Chasarische Khaganat kämpfte. Einige Quellen erwähnen große Raubzüge, die sich bis weit aus dem Zentrum der Rus erstreckten, bis hin an die südlichen Gebiete am Kaspischen Meer.
Die Bürgerwehr der Bojaren: Die ersten Krieger der Rus
Als die ersten russischen Fürstentümer gegründet wurden, zunehmend mächtiger wurden und eine sesshafte Zivilisation bildeten, assimilierten sich die Waräger-Rus zunehmend. Die Slawen übernahmen ihrerseits die Methoden der Kriegsführung von den Warägern. Dieser Prozess führte zusammen mit der Notwendigkeit, die von ihnen kontrollierten Gebiete zu beschützen, zur Bildung einer neuen Art von militärischer Organisation: der fürstlichen Bürgerwehr.
Diese bestanden aus Kriegern der Bojaren, die loyal zum inneren Kreis des jeweiligen Fürsten waren. Sie statteten sich auf eigene Kosten mit Kriegspferden, Rüstungen, Piken und Schwertern aus. Bei Feldzügen wurde jede Einheit zusätzlich von einer Abteilung von 200 bis 300 Kämpfern mit Speeren begleitet, die zu Fuß marschierte. Diese Kampfgruppen waren ziemlich mobil und konnten schnell auf die Überfälle der Kumanen und Petschenegen reagieren. Leider waren diese Kampfgruppen zum Zeitpunkt der mongolischen Invasion noch nicht ausreichend entwickelt. Noch zu klein und weit zerstreut, konnten sie die Horde aus dem Osten nicht effektiv bekämpfen.
Die erste stehende Armee
Trotz der Niederlage durch die Mongolen kämpften die Bürgerwehren und lokalen Milizen während der Vernichtungskriege des 14. und 15. Jahrhunderts weiter, bis unter Iwan dem Schrecklichen ein einheitlicher Staat gebildet wurde.
Damals wurde in Russland die erste einheitliche reguläre Armee namens Streltsy gebildet. Diese Reform fand 1550 statt und es wurde ein besonderer Orden (Ministerium) dafür eingerichtet. Diese Armee war nicht groß und bestand aus nicht mehr als 3.000 Soldaten. Die Streltsy wurden jedoch mit Sold bezahlt und waren nicht dazu zwangsverpflichtet, das Land bäuerlich zu bewirtschaften, was die soziale Mobilität in jenen Tagen erheblich erleichterte. Die Privilegien, Zulagen und ein eher freier Lebensstil machten den neuen militärischen Beruf äußerst beliebt, und innerhalb von 50 Jahren gab es in Moskau und Umgebung über 20.000 Streltsy.
Die Streltsy trugen einen Kaftan und Handschuhe und hatten einheitliche Waffen. Sie waren mit einer "Bardische" – einer Stangenwaffe mit langem Schaft –, einer "Pischal", dem russischen Äquivalent einer "Arkebuse" oder eines Vorderladers, und einem Säbel bewaffnet. Um in wichtigen Schlachten eine größere Schussgenauigkeit zu erreichen, wurde der Schaft einer Bardiche verwendet, um die Pischal zu stützen. Die Streltsy trugen auch oft Pulvergranaten mit sich, die allerdings eine geringe Sprengleistung hatten.
Zusätzlich zu den militärischen Pflichten hatten die Streltsy bürgerliche Pflichten und waren als Polizisten und Feuerwehrleute tätig. Sie interagierten auch oft mit der örtlichen Kavallerie. In historischen Schlachten waren die Streltsy beteiligt an der Eroberung von Kasan (1552) und Astrachan (1556) und vor allem an der Sicherung dieser Gebiete.
Russland lernt vom Westen
Nach dem Sturz der Rurik-Dynastie und dem Beginn der "Smuta" – der Zeit der Wirren – war Russland aufgrund des anhaltenden Krieges mit Polen und der Besetzung der nördlichen Gebiete Russlands durch Schweden gezwungen, sein Militärsystem anzupassen und zu ändern. Um die Besatzung zu bekämpfen, wurden "fremde Formationsregimenter" aufgestellt. Diese Militäreinheiten bestanden aus Soldaten, "willigen" Freien, Ausländern, Kosaken und anderen Söldnern".
Die neuen Regimenter ersetzten nicht die Streltsy, sondern wandten modernere Taktiken des Kampfes an. Dazu gehörte die Platzierung von mit Spießen bewaffneten Fußsoldaten vor den Musketieren, was die taktische Manövrierfähigkeit dieser Einheiten erhöhte.
In den 1630er-Jahren entwickelten sich die ausländischen Formationsregimenter zu den ersten Husaren- und Reiterkompanien. Diese waren in der Tat Ritter mit Pistolen. Sie trugen Kürassen – Reitharnische – und Helme. Aber wenn sie angriffen wurden, feuerten sie Dutzende schwerer Kugeln aus ihren Pistolen auf den Feind und zogen sich dann entweder zurück, um nachzuladen, oder erledigten den Feind an Ort und Stelle mit Dolchen oder meterlangen Bajonetten.
Die Reformen unter Peter dem Großen – die erste Wehrpflichtarmee in Russland
Obwohl die Husaren- und Reiterregimenter ziemlich effektiv waren, waren sie immer noch nicht groß genug. Die Streltsy, die die Rolle einer Massenarmee übernahmen, gerieten leider in einen Streit mit dem jungen Zaren Peter dem Ersten. Dem Konflikt ging eine großangelegte Militärreform voraus. 1705 erließ der zukünftige Zar und Gründer des Russischen Reiches ein Dekret "Über die Rekrutierung von Soldaten aus freien Menschen". Damals wurde der Begriff "Rekrutierung" gesetzlich verankert. Peter der Erste übernahm diese Innovation aus Schweden, das über eine starke reguläre territoriale Armee verfügte.
Das Dekret besagte, dass aus jedem Dorf, jeder Stadt, jeder Gemeinde und jedem Haushalt eine Person – mit Ausnahme des Familienoberhaupts und des Ernährers – für den lebenslangen Dienst in die Armee geschickt werden kann und Soldat werden muss. Diese Person sollte durch ein Los bestimmt werden. In den Anfangsjahren des Gesetzes waren alle Klassen wehrpflichtig. Auch alle Adligen waren verpflichtet in der Armee zu dienen und jede Gemeinden musste regelmäßig eine bestimmte Anzahl von Rekruten im Alter zwischen 20 und 35 Jahren stellen.
Neben der Berufsarmee gründete Peter der Erste auch die russische Marine, die Militärindustrie und die Militärakademien.
Am Ende der Herrschaft von Peter dem Ersten, später bekannt als Peter der Große, zählte die reguläre Armee 200.000 bis 300.000 Mann in allen Zweigen des Militärs. Das ist eine beeindruckende Zahl für ein Land mit dazumal lediglich 13 Millionen Einwohnern. Auch die Dauer des Wehrdienstes wurde mit der Zeit verkürzt. Auf einen lebenslangen Wehrdienst wurde verzichtet, Soldaten gingen in "Reserve" und wurden nur im Kriegsfall zum Heer einberufen. Die Dauer des Wehrdienstes sank jedoch über viele Jahrzehnte nicht unter 20 Jahre.
Die Armee des Imperiums
Die nächste große Reform der russischen Armee fand im 19. Jahrhundert statt. Jede Niederlage bringt die notwendigen Lehren mit sich, so auch der Krieg auf der Krim, der zu umfassenden Reformen führte. Die wichtigste Neuerung war der Übergang vom Rekrutierungssystem von Peter dem Großen zum allgemeinen Militärdienst – eine gängige Praxis in europäischen Armeen. Von diesem Zeitpunkt an mussten alle Männer zwischen 21 und 40 Jahren im aktiven Militärdienst sein. Bei den Bodentruppen betrug die Dienstzeit 15 Jahre: sechs Jahre aktiver Dienst und neun Jahre in Reserve. Danach wurden Männer bis zu ihrem 40. Lebensjahr in die Staatsmiliz eingezogen – eine nur im Kriegsfall einberufene Reserve der Streitkräfte.
Außerdem führte die Reform anstelle von ständigen Armeen und Korps zur Bildung von Militärbezirken mit fest stationierten Einheiten. So mussten Soldaten und Offiziere nicht mehr dauerhaft in Zelten auf fremdem Boden hausen.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war auch von qualitativen Veränderungen geprägt. Besonderes Augenmerk wurde auf die technische Ausrüstung des Heeres gelegt. Das Ende des Jahrhunderts sah die Entwicklung von Einheiten der Luftfahrt und der Eisenbahn vor. 1885 wurde eine Einheit sogenannter militärischer Aeronauten gebildet – unter Verwendung von Heißluftballons und Luftfahrtschiffen –, wobei das Ostsibirische Bataillon der Feldflieger am Russisch-Japanischen Krieg von 1904 bis 1905 teilnahm. 1911 erschien in Russland die erste Luftfahrtabteilung und bereits zu Beginn des Ersten Weltkriegs gab es 39 solcher Abteilungen. Zu dieser Zeit tauchten auch die berühmten schweren Bomber vom Typ "Ilya Muromets" auf. In diesen Jahren wurden die staatlichen Fabriken und die Logistik ausgebaut, alle Kampfeinheiten mit Maschinengewehren ausgerüstet und Telefonleitungen zwischen den verschiedenen Einheiten eingerichtet.
Grundlegende Änderungen betrafen auch die Wehrdienstzulassung. Die Dauer des aktiven Dienstes in der Infanterie und der Artillerie betrug drei Jahre, in anderen Zweigen der Bodentruppen vier Jahre und in der Marine fünf Jahre. Einige Kategorien von Bürgern erhielten Privilegien. Männer, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Waffe greifen konnten und Geistliche, waren vom Militärdienst befreit.
Die sowjetische Armee
In den ersten Monaten nach der Oktoberrevolution 1917 strebte die Sowjetregierung den Aufbau einer Armee nach dem Milizsystem an. Dies setzte voraus, dass Militäreinheiten in Friedenszeiten nur aus dem stehenden Apparat und einem begrenzten Kommandopersonal bestehen würden und in Zeiten der Not auf lokal rekrutierte Kämpfer zurückgreifen können.
In den ersten Monaten nach der Revolution bestand die Rote Armee aus Freiwilligen mit einer Truppenstärke von knapp unter 200.000. Um eine reguläre Armee zu bilden, wurde am 10. Juli 1918 die Resolution "Über die Organisation der Roten Armee" verabschiedet. Männer im Alter von 18 bis 40 Jahren wurden wehrpflichtig und bis November 1921 zählte die Rote Armee 5,5 Millionen Soldaten.
Der Einmarsch Nazi-Deutschlands in die Sowjetunion wurde zu einer echten Prüfung für die Rote Armee – und das sowjetische Militärsystem war darauf nicht vorbereitet. Der Sieg im Zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland kostete die UdSSR 27 Millionen Menschen das Leben.
Dieser Konflikt veränderte das russische Militärsystem vollumfänglich. 1946 wurde die Rote Arbeiter- und Bauernarmee – die Rote Armee – durch die Sowjetarmee ersetzt. In den 1950er-Jahren wurden die Streitkräfte der UdSSR mit Atomraketen und anderen fortschrittlichen militärischen Ausrüstungen ausgestattet. Die sowjetischen Streitkräfte bestanden aus Bodentruppen, strategischen Raketentruppen, Luftverteidigung, der Marine und der Luftwaffe. All dies wurde von der Russischen Föderation nach dem Zusammenbruch der UdSSR geerbt.
Die Gegenwart
In der jüngeren Geschichte Russlands befand sich die Armee im Dezember 1991 in ihrer größten Ausdehnung und zählte in etwa 3,8 Millionen Soldaten. 1992 reduzierte Boris Jelzin die Zahl der Streitkräfte auf 2,1 Millionen und in den Jahren 1994 und bis 1996 auf 1,7 Millionen. Ende August 2022 unterzeichnete Wladimir Putin ein Dekret, durch das die Personalstärke der Streitkräfte der Russischen Föderation von 1,9 Millionen auf 2,04 Millionen erhöht werden soll. Dieses Dekret trat am 1. Januar 2023 in Kraft.
Der Konflikt in der Ukraine hat sich natürlich auch auf den russischen Militärdienst ausgewirkt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Russischen Föderation wurde eine Teilmobilisierung angekündigt, und 300.000 Bürger, die bereits zuvor in der Armee gedient hatten, wurden einberufen. Ferner gewannen private Militärunternehmen angesichts des Konflikts wesentlich an Bedeutung.
Die bekannteste Organisation unter diesen ist die PMC Wagner Group – derzeit eine der effektivsten Einheiten des russischen Militärs.
Aus dem Englischen
Anatolij Brusnikin ist ein russischer Historiker und Journalist.
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