Russische Film-Produzenten könnten auf dem Weg sein, auf Gold zu stoßen

Die Filmindustrie Hollywoods hat Russland vor einem Jahr verlassen, gleichzeitig aber stellen die Kinokassen des Landes gerade neue Rekorde auf: Wie geht das zusammen?

Eine Analyse von Timofei Konstantinow

Im vergangenen Jahr haben viele westliche Unternehmen Russland verlassen. Das hat nicht nur die Wirtschaft getroffen, sondern auch die Kulturlandschaft verändert. Die Filmindustrie ist da keine Ausnahme. Ohne Filmpremieren westlich produzierter Filme und ohne Streaming-Dienste sah sich Russland gezwungen, seine Herangehensweise an die Filmindustrie neu zu überdenken.

Russland bietet viele Beispiele, von denen man sich inspirieren lassen kann. Das nationale Kino nimmt vielerorts an den Kinokassen eine Spitzenposition ein. Es ist sowohl finanziell erfolgreich, als auch unabhängig von Hollywood, so wie etwa in Frankreich oder in Indien, um nur zwei Beispiele zu nennen. Verschiedene Länder haben ihre Filmindustrie auf unterschiedliche Weise aufgebaut. Einige haben sich auf ein heimisches Publikum konzentriert, während sich andere auf staatlich geförderte Konzepte abstützten, die sich sowohl an einheimische als auch an ausländische Zuschauer richteten. Viele mussten sich unter strenger Zensur entwickeln und erfanden daher eine metaphorische Filmsprache, die wiederum beim Publikum bei internationalen Filmfestivals Anklang fand.

Wie konnten sich diese Länder von der Übermacht Hollywoods befreien? Und wie weit hat Russland seit dem vergangenen Jahr den selben Weg beschritten?

Was genau ist passiert?

Nach dem 24. Februar vergangenen Jahres schlossen viele westliche Produktionsfirmen ihre russischen Büros in Russland und kündigten ihre Verträge mit den lokalen Filmstudios. Paramount Pictures und Warner Bros., Netflix und Amazon Prime, Marvel und Disney stellten alle Veröffentlichung von Filmen in Russland ein und/oder sperrten den Zugang zu ihren Streaming-Plattformen.

Diese Entscheidung wirkte sich sowohl auf die Filmindustrie als auch auf den gewöhnlichen Zuschauer aus. Gemeinsame Projekte mit Netflix wurden auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Die global tätige Streaming-Plattform kaufte zuvor russische Serien wie "The Epidemic" und "The Method" ein und plante, eigene Originalinhalte auf Russisch zu produzieren. Die weltweit umsatzstärksten Filme des Jahres 2022 – "The Batman" und "Top Gun: Maverick" – sind in Russland nicht mehr erhältlich. Zumindest nicht legal.

Neben US-amerikanischen Filmstudios verließen auch mehrere westeuropäische Studios Russland. Innerhalb eines Jahres wurde jedoch deutlich, dass sie stärker vom russischen Markt abhängig waren als ihre US-Mitstreiter. Ein Beispiel dafür ist die französische Kinogesellschaft Pathé, die Anfang vergangenen Dezember ihre Rückkehr nach Russland ankündigte.

In den vergangenen zehn Jahren war Russland ein aktiver Teil des internationalen Filmmarkts. Während das russische Kino in den 1990er und 2000er Jahren vor allem mit Filmfestivals in Verbindung gebracht wurde, entstand in den 2010er Jahren ein eigener Blockbuster-Markt. Russische Regisseure wie Kantemir Balagow und Ilja Naischuller nahmen an internationalen Filmprojekten mit großem Budget teil. Auch russische Filme und Serien fanden ein Publikum. Zum Beispiel schaffte es "The Epidemic" in die Liste der meist gesehenen Serien von Netflix.

Warum dominiert Hollywood das Weltkino?

Hollywood ist eine einzigartige Industrie. Seine Filme sind speziell auf ein internationales Publikum zugeschnitten, wobei das Ziel ist, eine möglichst große Anzahl von Zuschauern zu erreichen.

Es gibt eine Vielzahl von Gründen darüber, warum Hollywood den globalen Filmmarkt dominiert. Dies hängt unter anderem mit einer, im Vergleich zu anderen Ländern, größeren städtischen Bevölkerung in den USA zusammen. In den USA erwies sich der Inlandsmarkt als so groß, dass Filme allein schon im Inland Profite erzielten konnten und danach ins Ausland exportiert wurden, um dort mit den lokalen Filmindustrien zu konkurrieren. Eine solche Strategie eliminiert Risiken, da die Produktion auch im Falle eines Scheiterns im Ausland keinen nennenswerten finanziellen Schaden erleiden kann. Darüber hinaus trug das Wachstum der US-Wirtschaft in der Nachkriegszeit zur Stärkung der Filmindustrie bei, insbesondere vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Schäden, die Europa zugefügt wurden.

Aber auch Hollywood konnte nicht alle Märkte erobern. In Ländern mit protektionistischen Gesetzen wie Frankreich ist Hollywood viel weniger populär. Auch in Regionen mit großen kulturellen Unterschieden wie Indien, China und Afrika ist der Anteil amerikanischer Filme wesentlich geringer.

China diktiert Hollywood seine eigenen Regeln

Derzeit hat China eine der größten Filmindustrien der Welt. Aber noch vor wenigen Jahrzehnten war sein Kino weitgehend provinziell und konnte die Herzen des chinesischen Publikums nicht erobern. Die Hauptgründe für den Fortschritt waren die rasante Entwicklung und neue wirtschaftliche und technologische Möglichkeiten, die es der chinesischen Filmindustrie ermöglichte, direkt mit Hollywood-Blockbustern zu konkurrieren.

Im Jahr 2007 wurden 14 der 25 Top-Filme an den chinesischen Kinokassen in den Vereinigten Staaten gedreht. Im Jahr 2019 sank diese Zahl auf acht. Die verbleibenden 17 Filme in der Top-Liste waren chinesisch. Darüber hinaus sind die Kasseneinnahmen innerhalb von zehn Jahren von 800 Millionen auf 9,2 Milliarden Dollar gestiegen. Die Coronavirus-Pandemie hat der Branche einen schweren Schlag versetzt, aber in den vergangenen zwei Jahren konnte sie sich fast vollständig wieder erholen und wird 2023 wahrscheinlich frühere Rekorde brechen.

Nachdem China eine unabhängige Position in der Kinematografie erlangt hatte, konnte man Hollywood die eigenen Regeln diktieren. Aufgrund seines gigantischen potentiellen Publikumsvolumen, ist der chinesische Markt für Hollywood so wichtig geworden, dass US-Filmunternehmen bereit sind, sich an die Anforderungen lokaler Partner anzupassen, insbesondere bei Filmen, die auf ein asiatisches Publikum ausgerichtet sind.

Darüber hinaus ist die chinesische Zensur einzigartig, da die während der Endfertigung der Filme zensierten Inhalte, nicht nur die für das chinesische Publikum bestimmten Kopien betrifft, sondern auch jene Versionen, die in der restlichen Welt gezeigt werden. Beispielsweise wurde 2020 auf Drängen des Disney-Ablegers in China, die Kussszene zwischen der Hauptfigur und seiner Geliebten aus dem Film "Mulan" herausgeschnitten. Diese Entscheidung wurde getroffen, damit chinesische Zuschauer diese Handlung nicht als respektlos gegenüber dem ursprünglichen Mythos von Hua Mulan empfinden würden.

Politische Faktoren sind die häufigsten Gründe für eine Zensur oder sogar ein Verbot von Hollywood-Filmen in China. Filme, die sich direkt oder indirekt auf die drei "T" – Tibet, Taiwan, Tiananmen – beziehen, werden in China definitiv nicht gezeigt. Um das chinesische Publikum nicht zu verärgern, wurde 2016 die tibetische Ethnizität einer der Figuren im Marvel-Film "Doctor Strange" geändert. Drehbuchautor C. Robert Cargill kommentierte die Entscheidung und sagte, dass man ansonsten "das Risiko eingehen würde, einer Milliarde Menschen vor den Kopf zu stoßen", wenn man die Comics buchstabengetreu darstellt. China erkennt nicht nur die Unabhängigkeit Tibets nicht an, sondern leugnet die bloße Existenz einer tibetischen Identität. Auch die gescheiterte Karriere des Schauspielers Richard Gere, der ein enger Freund des Dalai Lama ist und ein aktiver Unterstützer der tibetischen Unabhängigkeit war, wird mit der chinesischen Zensur in Verbindung gebracht. Darüber hinaus ist Gere seit langem eine persona non grata bei der Oscar-Verleihung, nachdem er 1993 bei der Veranstaltung öffentlich Chinas Politik kritisiert hatte.

Irans Triumphe auf Filmfestivals – trotz Isolation

Im Jahr 2022 erlebte Russland ein neu erwachtes Interesse am iranischen Kino. Einst als ausschließliches Filmfestival-Phänomen betrachtet, entwickelt es sich heute zu einer Industrie, die Russland dabei helfen kann, seine eigene Zukunft zu verstehen. Nicht wenige sehen Iran als Alternative zu Hollywood. Der Abgeordnete der Staatsduma, Sergei Solowjow, behauptete, dass das russische Publikum im iranischen Kino "lang vermisste Geschichten" wiederfinden könne. Im Juni 2022 wurde die Produktion eines ersten gemeinsamen russisch-iranischen Films angekündigt.

Im Mittelpunkt des iranischen Kinos stehen die sozialen Probleme der einfachen Leute. Ihre Geschichten vermischen Alltägliches mit Metaphorischem. Diese Schnittmenge von gesellschaftlichen Themen und symbolischer Filmsprache, ist an eine strenge staatliche und religiöse Zensur gebunden. Iranische Künstler müssen oft nicht triviale Umwege finden, um ihre Ideen umzusetzen, und das gilt auch für die Filmindustrie.

So wurde beispielsweise Regisseur Jafar Panahi wegen der Teilnahme an regierungsfeindlichen Protesten gegen offizielle Wahlergebnisse, im Jahr 2009 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Neben der Haftstrafe, die auf Hausarrest reduziert wurde, wurde ihm verboten, für einen Zeitraum von 20 Jahren Filme zu drehen und Interviews zu geben. Trotzdem hat es Panahi in den letzten zwölf Jahren geschafft, fünf Filme zu drehen und sie zu internationalen Filmfestivals zu schicken. Drei davon wurden mit minimalem Budget erstellt und an einem einzigen Drehort – Wohnung, Haus, Auto – gedreht. Diese Filme sind ein starkes politisches Statement in Bezug auf den modernen Iran und auch aus künstlerischer Sicht wertvoll.

Es gibt eine paradoxe Verbindung zwischen Zensur und der Entwicklung der Filmsprache. Da die Autoren keine Möglichkeit haben, Dinge direkt auszudrücken, müssen sie Wege finden, ihre Filme mit Symbolen und Metaphern anzureichern, im Versuch, die Balance zwischen Politik und dem Interesse des Publikums zu halten. Als Beispiel können wir die vielen Filme zum Thema Iran-Irak-Krieg nehmen. Iranische Regisseure schaffen es, einzigartige Kriegsfilme zu drehen, ohne Blutvergießen und Gewalt auf der Leinwand zu zeigen.

Das iranische Kino wird auf der ganzen Welt geschätzt. Neben Auszeichnungen bei den Filmfestspielen von Cannes und den Berliner Filmfestspielen haben iranische Veröffentlichungen zwei Oscars für den "Besten fremdsprachigen Film" gewonnen. Dies waren zwei Filme von Asghar Farhadi, die im Abstand von fünf Jahren produziert wurden: "A Separation" und "The Salesman" und basieren auf alltägliche Themen.

Frankreich: Eigene Filme auf Kosten anderer machen

Die französische Filmindustrie ist die älteste der Welt und gemessen an der Zahl der jährlich produzierten Filme die erfolgreichste in Europa. Sie ist aber auch für ihre erfolgreiche protektionistische Politik bekannt, ein Modell, das Russlands ehemaliger Kulturminister Wladimir Medinski nachahmen möchte. Diese Politik hat ihre Wurzeln in der Zwischenkriegszeit von 1918 bis 1939. Damals stellte Hollywoods Expansion in die vom Krieg geschwächten europäischen Märkte, die Existenz nationaler Filmindustrien in Frage. Aufgrund minimaler kultureller, sprachlicher und wirtschaftlicher Barrieren war Großbritannien am stärksten davon betroffen, während in Frankreich der Anteil französischer Filme auf nur noch zehn Prozent sank.

Im Jahr 1928 genehmigte die französische Regierung Quoten für ausländische Kinofilme. Die Einführung protektionistischer Maßnahmen fiel mit der Geburt des Tonfilms zusammen. Ein Jahr zuvor kam in den USA mit "The Jazz Singer" der erste Tonfilm der Kinogeschichte heraus. Aber als die Charaktere zu sprechen begannen, ging die Zahl der ausländischen Filme in den französischen Kinos aufgrund der Sprachbarriere natürlich zurück.

Diese Politik der Protektion hat ihre Mission erfüllt und zur Rettung des französischen Kinos beigetragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden gegenseitige Abkommen zwischen Frankreich und den USA geschlossen und die Quoten durch ein System zur Unterstützung der lokalen Filmindustrie ersetzt. Seit 1948 gehen etwa zehn Prozent der Einnahmen aus jeder Eintrittskarte an das Centre National du Cinéma (CNC). Diese Mittel fließen in die Unterstützung der heimischen Produktion sowie in den Bau und die Modernisierung von Kinos.

Fernsehunternehmen, Internetanbieter und Videoproduzenten tragen ebenfalls einen Prozentsatz vom Umsatz zum CNC bei. Die Höhe hängt von mehreren Faktoren ab, zum Beispiel davon, ob die Organisation in staatlichem oder privatem Besitz ist, wie groß sie ist und welche Art von Produktionen sie anbietet. Beispielsweise werden Spielfilme auf DVD und Blu-Ray mit zwei Prozent besteuert, während Pornografie mit zehn Prozent besteuert wird.

Anders als in Russland erhält die Filmindustrie in Frankreich keine direkte staatliche Förderung. Diese wird durch ein komplexes System ersetzt, das Steuern gemäß den Bedürfnissen der Branche erhebt und verteilt. Wie der Filmkritiker und Korrespondent der Filmfestspiele von Cannes, Joel Chapron, schreibt, machen die vom CNC zugewiesenen Gelder jedoch weniger als zehn Prozent des Gesamtbudgets eines Films aus. Weitere 25 Prozent werden von französischen Fernsehsendern bereitgestellt, die gesetzlich verpflichtet sind, in die Produktion von Filmen zu investieren. Laut Chapron sind fast die Hälfte aller französischen Filme Koproduktionen "produziert in drei, vier oder sogar bis zu sieben Ländern".

Frankreich ist einer der wenigen Länder auf der Welt, in denen US-Filme weniger als die Hälfte des Marktes ausmachen. Lokale Filmproduktionen machen 35 bis 45 Prozent des französischen Filmmarkts aus, während Hollywood laut einer Statistik von 2014 rund 45 Prozent belegt. Übrigens wurde Frankreich im ersten Halbjahr 2022 zum wichtigsten Auslandsmarkt für russisches Kino. 2021 wurde das Kriegsdrama "Persian Lessons" zum umsatzstärksten russischen Film im Ausland.

Der Schutz nationaler Interessen beißt sich nicht mit der französischen Weltoffenheit. Als Geburtsort des Kinos beheimatet Frankreich Vertreter verschiedener Nationalitäten und Kulturen. So drehten der Spanier Luis Buñuel , der Österreicher Michael Haneke und die Polen Roman Polanski und Krzysztof Kieślowski einige ihrer besten Filme auf Französisch, und der in Argentinien geborene Filmemacher Gaspar Noé gilt als Ikone des modernen französischen Kinos.

Indien und seine vielen konkurrierenden Märkte im eigenen Land

Die Filmkunst kam ziemlich früh nach Indien, nur ein Jahr nach der Pariser Premiere von "Arrival of a Train" der Gebrüder Lumière. Heute ist Indien der weltweit größte Filmproduzent. Das Land hat viele unabhängige Unternehmen, die Filme für die regionale Bevölkerung produzieren. Dies liegt an der großen Vielfalt an Sprachen in Indien.

Für die meisten ausländischen Zuschauer ist das indische Kino direkt mit dem Begriff Bollywood verbunden. Dieses ist zwar eines der Zentren der Branche, aber neben Bollywood gibt es Tollywood in Hyderabad, Kollywood in Chennai, Mollywood in Malayalam und viele andere. Indien hat sogar sein eigenes "Hollywood" in Gujarat.

Bollywood wurde schwer von der Coronavirus-Pandemie getroffen. Dies hat unter anderem auch gezeigt, dass seine althergebrachten Methoden des Filmemachens nicht mehr greifen. Das Publikum gibt sich nicht mehr mit ein paar populären Schauspielern und vertrauten Erzählungen zufrieden, die nicht in der indischen Kultur verwurzelt sind. Kritiker des modernen Bollywood warnen, dass die Industrie ihre Identität verliere könne wenn die sozialen, kulturellen und politischen Besonderheiten Indiens ignoriert werden.

In den vergangenen Jahren sind jedoch viele Filmstudios in Südindien entstanden. Verglichen mit dem verwestlichten Bollywood, das die regionale Identitäten Indiens ignoriert, sind ihre Filme näher an den Menschen. Ein Beispiel ist der Actionfilm "RRR – Rise, Roar, Revolt" (Aufstehen, brüllen, revoltieren), über den Kampf um die Unabhängigkeit Indiens. Er spielte international 160 Millionen Dollar ein und wurde zum finanziell dritterfolgreichsten indischen Film. Das lokale Publikum bevorzugt südindische Filme. Eine Studie des Verbands der indischen Industrie zeigte, dass im Jahr 2021 62 Prozent der gesamten Kinoeinnahmen aus dort produzierten Filmen stammten.

In asiatischen Ländern ist das indische Kino am beliebtesten. Die traditionellen Werte des Landes – die Priorisierung von Familie und dem Respekt vor den Älteren – ist auf ein asiatische Publikum ausgerichtet. Gleichzeitig verändert sich auch das indische Kino stark und wendet sich bisher tabuisierten Themen wie gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu. Das moderne indische Kino erforscht sorgfältig und respektvoll Phänomene jenseits der traditionellen hinduistischen Moral.

Nigerias tausende Filme für DVD und VHS

Das nigerianische Kino ist im Rest der Welt praktisch unbekannt. Bei der Anzahl der jährlich produzierten Filme liegt das Land jedoch nach Indien an zweiter Stelle und damit noch vor den USA. Die Filmindustrie hat Nigeria geholfen, die stärkste Wirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent zu entwickeln. Darüber hinaus ist nach der Landwirtschaft, die Kinematographie Nigerias zweitgrößter Wirtschaftssektor. Die nigerianische Filmindustrie hat von der New York Times den Spitznamen "Nollywood" verliehen bekommen.

Viele Nigerianer wollen allerdings, dass dieser Spitznamen gestrichen wird, da er von Amerikaner ersonnen wurde, und sie sehen darin eine versteckte Form des Imperialismus. Darüber hinaus sind sie der Ansicht, dass "Nollywood" die afrikanische Identität diskreditiert, weil es impliziert, dass nigerianische Regisseure Hollywood unterlegen sind. Fast 15 Jahre später zitiert derselbe "New York Times"-Journalist sowohl afrikanische Forscher als auch gewöhnliche Menschen, die sich alle einig sind, dass der Westen das "Nollywood"-Kino nicht vollständig einschätzen könne. Die traditionellen afrikanischen Themen, wie zum Beispiel Hexerei, finden üblicherweise keine Resonanz beim westlichen oder asiatischen Publikum.

In den 2000er Jahren konnte das Budget eines nigerianischen Films zwischen 1.000 und 15.000 US-Dollar liegen. Manchmal mussten die Dreharbeiten aufgrund eines Stromausfalls oder der Bedrohung durch Terroristen gestoppt werden. Diese Filme wurden in nur wenigen Tagen produziert und umgehend auf Videokassetten verbreitet. Im Westen ist "Nollywood" vor allem für veraltete Spezialeffekte bekannt. Doch trotz der geringen Qualität dieser Filme war deren Produktion ziemlich profitabel, da die mageren Budgets leicht durch den Verkauf der VHS-Kassetten kompensiert werden konnten, sodass immer was übrig blieb, um in neue Filme zu investieren.

Um das Ausmaß des endlosen Stroms an neuen Filmen in einem Land abzuschätzen, in dem im Jahr 2020 nur ein Drittel der Bevölkerung das Internet nutzte, können wir einen Blick auf die Filmografie eines der Regisseure von "Nollywood" werfen. Das Profil auf imdb.com von Lancelot Oduwa Imasuens gibt an, dass er bei 112 Filmen Regie geführt hat. Der Regisseur selbst sagt jedoch, dass er in über 20 Jahren zwischen 150 und 200 Filme gedreht hat.

Die Zahl der jährlich produzierten Filme erreichte 2008 ihren Höhepunkt und ist seitdem rückläufig. Aber für die Branche bedeutet dies Wachstum. Es ist nicht mehr möglich, dass eine Person die Rollen von Regisseur, Kameramann und Komponist unter einen Hut bringt. Das nigerianische Kino professionalisiert sich zunehmend und entfernt sich stetig von den technischen Unzulänglichkeiten der 1990er und 2000er Jahre.

Der Vertrieb ist jedoch nach wie vor eine große Herausforderung. Viele Jahre lang kamen die Filme auf DVD und VHS heraus und wurden auf lokalen Märkten verkauft, die meisten davon Raubkopien. Das hielt die Macher jedoch lange Zeit nicht davon ab, Geld zu verdienen, da die Produktionskosten trivial waren. Westliche Vertriebsmethoden beginnen gerade in Nigeria populär zu werden. Im Jahr 2021 hatte das Land nur 68 Kinos bei einer Bevölkerung von über 200 Millionen Menschen. Einige Streaming-Plattformen, darunter Netflix, sind auch in Afrika verfügbar geworden und die Zahl der Abonnenten wächst von Jahr zu Jahr.

Ein harter und erfolgreicher Kampf in Südkorea

Im 21. Jahrhundert hörte das südkoreanische Kino auf, ein Filmfestival-Phänomen zu sein und wurde selbst im Westen zum Mainstream. Das Ergebnis dieser langen Reise war der Triumph des Films "Parasite" von Bong Joon-ho. Er erhielt die Goldene Palme der Filmfestspiele von Cannes, gewann mehrere Oscars in Schlüsselkategorien, darunter "Bester Regisseur" und "Bester Film", und wurde zu einer internationalen Sensation, die begeisterte Kritiken vom Publikum und von Kritikern gleichermaßen erhielt. Der südkoreanische Boom brach erneut aus, nach der Veröffentlichung von "Squid Game" auf Netflix, wo es schnell zu einer Top-Serie wurde.

Bis vor kurzem war die Geschichte des südkoreanischen Kinos von Misserfolgen durchzogen. Korea war viele Jahrzehnte in einer politisch untergeordneten Position, was sich in seiner Kinematographie widerspiegelte. Das Kino war ein Nachzügler und die japanischen Behörden nutzten es für Propagandazwecke. Zum Beispiel waren nur einige "harmlose" Genres erlaubt: Kostümdramen, Melodramen und Propagandafilme, in denen Japan verherrlicht wurde. Diese Politik trug nicht dazu bei Sympathien beim Publikum für das Kino zu erwecken.

Ein ehemaliger Beamter, Kim Dong-ho, ergriff viele Maßnahmen, um dem koreanischen Kino auf die Beine zu helfen. Ausländische Filme wurden begrenzt und jeder koreanische Film musste fast ein halbes Jahr lang in den Kinos gezeigt werden. In den 1980er Jahren interessierten sich Koreaner nicht für inländisch produzierte Filme und bevorzugten amerikanische Produktionen. Es kam jedoch zu mehrere bekannte Vorfällen, bei denen Nationalisten Vorführungen von Hollywood-Filmen sabotierten – wie zum Beispiel den Erotik-Thriller "Fatal Attraction", wo ungiftige Schlangen in den Kinosälen ausgesetzt wurden. Ein Jahr später, als "Rain Man" auf die Leinwände kam, wurden allerdings Giftschlangen verwendet.

In den 1990er Jahren begann der Staat, das koreanische Kino aktiv zu fördern. Dies wird mitunter darauf zurückgeführt, dass "Jurassic Park" 1993 an den Kinokassen mehr einspielte, als Hyundai mit dem Verkauf von Autos. Investoren erhielten Steuererleichterungen, für Regisseure und Drehbuchautoren galten keine Zensurbeschränkungen mehr, und für jeden im Land gezeigten ausländischen Film musste ein koreanischer Film produziert werden. Nach und nach wurden diese Quoten reduziert, was zu Protesten führte, an denen viele Branchenbeschäftigte teilnahmen. Namhafte koreanische Schauspieler rasierten sich öffentlich aus Protest die Köpfe kahl und verbrannten vor der US-Botschaft Videokassetten mit Hollywood-Filmen. Der altgediente Regisseur Park Chan-wook protestierte an den Berliner Filmfestspielen mit einem Plakat "No Screen Quota = No Oldboy" (Keine Quoten = keine Altgedienten), und Schauspieler Choi Min-sik hörte mehrere Jahre mit der Schauspielerei auf.

Von Mitte der 1990er bis 2001 wuchs der Anteil heimischer Filme an den Kinokassen von 23 auf 50 Prozent, die Zahl der Kinos verdreifachte sich. Einige führen diesen Anstieg auf die Einführung der Quoten zurück. Trotz der Popularität der Quoten in der Filmindustrie, sind ihre Wirksamkeit umstritten: 1988 wurden protektionistische Maßnahmen eingeführt, aber fünf Jahre später betrug der Anteil des heimischen Kinos in Südkorea nicht mehr als 16 Prozent. Heute sind weiterhin Quotenregelungen in Kraft – ein koreanischer Film bleibt garantiert etwas mehr als zwei Monate auf den Leinwänden – , aber ihre Relevanz ist immer noch fraglich. Koreanische Filme machen seit vielen Jahren in Folge mehr als die Hälfte des Filmmarktes des Landes aus und das lokale Publikum braucht keine Anreize mehr, im Inland produzierte Filme ausländischen Alternativen vorzuziehen.

Die frühen 90er brachten eine neue Generation koreanischer Regisseure hervor. Darunter waren sowohl "Festival"-Autoren wie Park Chan-wook, Hong Sang-soo und Kim Ki-duk, als auch Regisseure des Mainstreams wie Kim Jee-woon und Yeon Sang-ho. Fans des südkoreanischen Kinos stellen es oft Hollywood gegenüber. Eines der Argumente für koreanische Filme ist, dass das Durchschnittsalter des koreanischen Publikums zehn Jahre älter ist, als das des amerikanischen Publikums. Hollywood-Blockbuster richten sich in erster Linie an Teenager und junge Erwachsene, während der durchschnittliche koreanische Zuschauer älter und anspruchsvoller ist.

Und was ist mit Russland?

Das Jahr 2022 war das erste Jahr, in dem in Russland produzierte Filme mit einem Gesamtanteil von 52,1 Prozent mehr als die Hälfte aller Kasseneinnahmen ausmachten. Zum Vergleich: Vergangenes Jahr um diese Jahreszeit waren 73,36 Prozent der in Russland gezeigten Inhalte ausländisch. Der Januar 2023 wurde zum besten Monat aller Zeiten für das russische Kino, und die Einnahmen an den Kinokassen überstiegen 8.663 Milliarden Rubel (118 Millionen US-Dollar). Dies war eine Steigerung von 61,8 Prozent gegenüber 2022 und verbesserte sich gegenüber dem Rekord von 2020 um 12,3 Prozent.

Dieser Erfolg war vor allem auf die Veröffentlichung des Familien-Blockbusters "Tscheburaschka" zurückzuführen, der an den nationalen Kinokassen einen Rekord aufstellte und sechs Milliarden Rubel (80 Millionen US-Dollar) – fast doppelt so viel wie "Avatar" im Jahr 2009 – einspielte. Derzeit befinden sich mehrere Filme in der Endfertigung, die diesen Rekord vielleicht nicht brechen, aber wahrscheinlich erfolgreich sein werden. So soll "The Challenge" im April in die Kinos kommen. Dies ist der erste Spielfilm, der teilweise im Weltraum auf der ISS gedreht wurde.

Die Absenz von Hollywood wird bereits durch die Entwicklung des inländischen Films ausgeglichen. Bis Ende 2022 stieg die Zahl der in Produktion gegangenen russischen Filme und Fernsehserien um 16 Prozent. Dieses Wachstum wurde durch den Rückzug von Hollywood-Blockbustern ausgelöst, die einen Großteil der Kasseneinnahmen verbuchten. Wenn Hollywood sich für eine Rückkehr entscheidet, wird es wahrscheinlich einer viel härteren Konkurrenz ausgesetzt sein als zuvor.

Übersetzt aus dem Englischen.

Timofei Konstantinow ist ein Journalist aus Moskau.

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