Erzählt von Marina Achmedowa
Sergei meldete sich freiwillig zur Armee, weil er einen großen Hass und starke patriotische Gefühle hatte. Er hasste Nazis. Die Saat dieses Hasses war ihm schon als Kind eingepflanzt worden, als er Bücher über den Weltkrieg gelesen hatte. Ja, er hasste Faschisten, und obwohl er sehr wohl verstand, dass sich unser Land nicht mit der Ukraine, sondern mit der NATO im Krieg befindet, verstand er die Ereignisse in der Ukraine – die Verehrung von Stepan Bandera und der SS – als Faschismus. Vor dem Krieg war Sergei Unternehmer, er verdiente mit seinem Geschäft jedenfalls nicht weniger, als der Sold eines Freiwilligen in der russischen Armee im Monat einbringt. Er meldete sich freiwillig, nicht des Geldes wegen, sondern um sich weiterhin im Spiegel in die Augen sehen zu können.
"Wenn sich die Umstände für dein Land so entwickeln", sagt er, "und du nicht daran teilnimmst, dann ist das Gefühl weg, ein Mann zu sein. Ein Mann muss sein Land beschützen können."
Sergei meldete sich beim Achmat-Bataillon, was am einfachsten war, da es dort keine bürokratischen Schwierigkeiten gibt. Im Bataillon wurde er militärisch sorgfältig ausgebildet.
"Morgens haben wir gefrühstückt", erinnert sich Sergei, "dort ist alles klar in Kilokalorien berechnet. Danach ging zum Schießstand. Schießtraining. Dort habe ich gelernt, wie man einen Granatwerfer abfeuert, und das hat mir später sehr geholfen. Das ist jetzt meine militärische Spezialisierung. Vielleicht wäre es für mich schwierig gewesen, wenn ich den Feind beim ersten Mal aus nächster Nähe hätte erschießen müssen. Aber ich habe aus 50 bis 70 Metern Entfernung geschossen – das ist der Punkt. Auf der Seite, wo der Feind war. Grob gesagt, konnte man nicht einmal seine Gesichtszüge erkennen. Wir wussten genau, dass an unserem Frontabschnitt polnische und britische Söldner eingesetzt waren. Später wurden wir an eine andere Stelle versetzt, wo das nazistische Kraken-Bataillon unser Gegner war. Im Gefecht siehst du nur den Feind auf dich zurennen, und dein Gehirn, deine Hände arbeiten von selbst. Dafür muss man diese Aktionen während der Ausbildung viele Male wiederholt haben. Meine Hände haben gut gearbeitet. Vergessen Sie nicht, dass mir von Kindheit an beigebracht wurde, Faschisten zu hassen."
Sergeis Großeltern haben ihm nie etwas über den Krieg erzählt. Sergei ist ein Waisenkind. Seinen Hass hat er aus Büchern und Filmen.
"Es gibt Dinge", sagt er, "die sich in dein Gedächtnis einprägen, obwohl man diese Erinnerungen lieber nicht hätte. Fragen Sie mich nicht danach, ich will mich jetzt nicht erinnern, jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Später. Ja, es hat mit dem Töten zu tun. Es war eine Falle, die wir stellten. Wir legten den Hinterhalt an. Nun, der Gegner war auch nicht auf einem Spaziergang."
Ich frage ihn, ob er Mitleid mit jemandem hat, den er töten musste.
"Ja, habe ich."
"Warum?"
"Er war jung, zu jung ... Was ihn nicht davon abgehalten hätte, mich zu töten."
"Warum hast du ihn dir angeschaut?"
"Ich habe nicht gleich gemerkt, dass er jung ist. Das Alter eines Soldaten fällt einem nicht sofort auf. Ein Soldat ist schmutzig und trägt Bart. Ich habe mir seine Dokumente angesehen."
"Warum hat dir der junge Soldat leidgetan?"
"Es ist ein ganzen Leben, das noch vor ihm liegen sollte. Und ich habe es ihm genommen. Hören Sie ... Ich will es runterschlucken und vergessen. Fragen Sie mich nicht noch einmal danach."
Sergei sah mich nach diesen Worten an, und es war kein Hass mehr in ihm. Ich weiß nicht einmal, wo er hin ist. Hass ist das Gefühl eines Zivilisten. Das Militär hasst nicht auf dieselbe Weise wie die Zivilbevölkerung. Wenn ein Mensch bestimmte Dinge mit einer Waffe in der Hand tut, sollte er nicht hassen. Sergei:
"Ich habe einen Sinn für Gelassenheit entwickelt. Hass behindert einen nur. Da drüben ist der Gegner. Der Gegner, nicht mehr und nicht weniger. Aber wissen Sie, da der Hass verschwunden ist, ist auch etwas mit dem Patriotismus passiert. Morgen fahre ich wieder an die Front, und ich spüre nicht mehr diese Welle des Patriotismus wie beim ersten Mal."
"Warum? Was ist mit dem Patriotismus passiert?"
"Ich habe einiges von unserem Kommandeur und Stabschef erlitten, die sich immer 15 Kilometer von den Stellungen entfernt hielten. Enttäuscht bin ich."
Am Ende des Gesprächs fragt er mich, warum ich von seinem Mitgefühl für den jungen Ukrainer überrascht sei. Und er sagt, dass sein Patriotismus wahrscheinlich nicht verschwunden, sondern gereift sei. Der Patriotismus wird erwachsen, wenn sein Träger erkennt, dass man sein Land nicht aus Hass auf ein anderes liebt. Patriotismus, der aus Hass wächst, ist schwach, er hat keine festen Wurzeln. Deshalb ist es besser, Patriotismus und Hass in verschiedenen Flaschen aufzubewahren.
Sergei ist mittlerweile wieder im Gebiet der Militärischen Spezialoperation.
Marina Achmedowa ist Schriftstellerin, Journalistin und Mitglied des Menschenrechtsrates der Russischen Föderation. Sie schreibt für die Zeitschrift "Der Experte". Man kann ihr auch auf ihrem Telegram-Kanal folgen.
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