1965, ein paar Jahre vor der Geburt des berühmten Goldenen Rings, kam der britische Großbankier Baron Evelyn de Rothschild nach Susdal. Als er die Stadt sah, soll er gesagt haben:
"Ich bin zwar ein reicher Mann, aber wenn man mir diese Stadt für ein paar Jahre überlässt, würde ich mein Vermögen verdoppeln."
Drei Jahre später wurde der Goldene Ring – mit Susdal als einem der Stars der Strecke – in Betrieb genommen und bringt seitdem Milliarden in die Staatskasse statt in die Tasche eines Milliardärs.
Sergijew Posad, Pereslawl-Salesski, Rostow, Jaroslawl, Kostroma, Iwanowo, Susdal und Wladimir sind offizielle Mitglieder der Route des Goldenen Rings. Doch Reiseveranstalter haben in ihre Reisepakete entlang des Goldenen Rings auch viele andere Orte wie etwa Pljos oder Uglitsch mit aufgenommen. Die Kunstzeitung The Art Newspaper schreibt zum 55-jährigen Bestehen des Goldenen Ringes:
"Welchen Charakter hat der Goldene Ring von Russland? Man denke etwa an die berühmten italienischen Grand Tours, die zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert beim europäischen Adel sehr beliebt waren, oder an die Pilgerreisen im damaligen Europa, die in der Regel eine bestimmte zeremonielle Abfolge von Reisen vorsahen, sei es nach Santiago de Compostela in Spanien oder nach Canterbury in England."
"Allerdings sollte der Vergleich, wenn es um das 20. Jahrhundert geht, eher unter rein touristischen Aspekten und Mustern erfolgen. Die Besichtigung der mittelalterlichen französischen Schlösser rund um die Loire könnte als eine Art Prototyp des Goldenen Rings dienen. Die Architektur und die Natur dort sind ganz anders als im russischen Kernland, aber die touristische Motivation ist ähnlich: Die Menschen wollen die Schönheit genießen und die Geschichte erleben, ohne allzu viel Aufwand zu treiben. Die Standorte liegen relativ nah beieinander, alles ist restauriert, und die Infrastruktur ist vorhanden."
Den Begriff Goldener Ring erfand der russische Kunsthistoriker und Journalist Juri Bytschkow. Im Auftrag einer Zeitung sollte er die Region Wladimir und die Stadt Susdal besuchen. Er startete in Moskau und entschied, nicht auf dem gleichen Weg sondern über Kostroma und Jaroslawl zurückzufahren und so eine Ringroute zu machen. Im Jahr 1967 veröffentlichte Bytschkow seine Artikelreihe unter der Überschrift "Goldener Ring. Durch die alten russischen Städte". Die Idee für den Titel, bekam der Autor, als er an einem bewölkten Tag in Moskau die goldene Kuppel des Glockenturms Iwan der Große im Kreml sah.
Die Veröffentlichung erregte die Aufmerksamkeit der sowjetischen Führung, und die Dinge gerieten ins Rollen. Alle Städte wurden in aller Eile restauriert. The Art Newspaper erzählt unter anderem die Geschichte der Gestaltung von Susdal:
"In kurzer Zeit wurde eine Reihe von Objekten in den Klöstern Risopoloschenie und Pokrowskoje restauriert, und aus dem Spaso-Ewfimiew-Kloster wurde schließlich die Strafkolonie geräumt und sein gesamtes Ensemble dem Museumsreservat übergeben. Der ikonische Glockenturm erhielt sein Glockenspiel zurück. Der Marktplatz mit den Kaufmannszeilen wurde begrünt. Am malerischen Ufer des Flusses Kamenka wurde ein Museum für Holzarchitektur und bäuerliches Leben eingerichtet, in dem 18 Denkmäler aus der gesamten Umgebung von Wladimir gezeigt werden. 'Der Tourismus wird zum Hauptberuf der Stadt werden', erklärte einer der eingeladenen Stadtplaner in einem Interview mit der Zeitung 'Komsomolskaja Prawda'."
Bereits bestehende örtliche Museen wurden neu organisiert. Man nahm die Produktion von Souvenirs und Reiseführern auf und errichtete Hotels und Restaurants. Es wurden sogar neue Straßen gebaut.
Das Projekt des Goldenen Rings richtete sich in erster Linie an ausländische Besucher, aber auch die Sowjetbürger stürzten sich auf die neue Route. Allerdings war es für sie schwieriger: In der Hochsaison gab es in den Hotels des Goldenen Rings keine freien Zimmer mehr, und die Restaurants waren zuweilen wegen Sonderveranstaltungen geschlossen. "Es war nicht ungewöhnlich, dass 'wilde' Autofahrer einfach ein Zelt irgendwo in einem Wäldchen am Straßenrand aufschlugen und sich von Sandwiches ernährten", so The Art Newspaper. Das beeinträchtigte jedoch die Beliebtheit der Strecke keinesfalls.
Heute erlebt der Goldene Ring eine Wiedergeburt. Und das nicht nur, weil die Route eine lebendige Geschichte Russlands ist: In Sergijew Posad wurde Boris Godunow begraben und Peter der Große entkam hier den Verschwörern. Jaroslawl beherbergte das erste Theater Russlands. Kostroma ist der Sitz eines Drittels aller russischen Juweliere. Pereslawl-Salesskij ist die Heimat der russischen Flotte, und in Susdal und Wladimir drehte Andrei Tarkowskij seinen Film "Andrei Rubljow".
Da während der Pandemie Reisen ins Ausland schwierig wurden, verliebten sich russische Touristen erneut in den Goldenen Ring. Hier entstehen neue Infrastrukturen, Tourismuskonzepte und Jungunternehmen. Einige kreative Köpfe und Nachwuchsunternehmer ziehen sogar aus Moskau und Sankt Petersburg dorthin. Denn der Goldene Ring erwies sich nicht nur für den Bankier Rothschild als Inspiration.
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