"In den russischen Norden verliebt man sich sofort", sagt Amalia Akopowa, Moderatorin der Reisesendung "Zuhause lässt es sich gut leben" auf dem Radiosender Moskau FM 92.0. "Heute fahren die Menschen nicht nur zum Urlaub nach Murmansk und Teriberka. Die kreativsten Köpfe kommen hierher, um zu arbeiten, zu lieben, zu träumen, zu leben."
Im vergangenen Jahr hat sich der Touristenstrom nach Murmansk nahezu verdoppelt, sagen die örtlichen Tourismusverantwortlichen – und das ist eindeutig noch nicht die Höchstmarke.
Vor nicht allzu langer Zeit war die Gegend ein Außenseiter, ein Hinterland des riesigen russischen Staatsgebiets – doch in den letzten Jahren hat sie sich in aller Stille zu einem der angesagtesten und vielversprechendsten Reiseziele entwickelt.
Krabbensafaris und Köstlichkeiten aus der Barentssee, Walbeobachtungen, schneebedeckte Tundra, Skigebiete – das alles lässt Menschen aus ganz Russland hierhin fahren. "Es gibt ein Klischee, dass die Arktis weit weg und schwer zu erreichen ist. Das kann ich nicht bestätigen! Der Flug von Moskau nach Murmansk dauert knapp über zwei Stunden, von Sankt Petersburg sogar noch weniger. Man braucht keine spezielle Kleidung. Selbst eine warme Jacke kann man bei Reiseveranstaltern erhalten, die übrigens Subventionen für den Bezug von Kleidung für Reisende bekommen", so Alexander Elisejew, Vorsitzender des Tourismusausschusses des Gebiets Murmansk, in einem Gespräch mit der Agentur RIA Nowosti.
Jagd nach dem Polarlicht
Einst, zu Zeiten der Sowjetunion, zogen die Menschen aus Zentralrussland in den Norden, um wenig erschlossenes Land zu bewirtschaften und dem Sowjetstaat zu dienen. Damals waren die Lebensbedingungen hier spartanisch – doch jetzt ist alles anders. Heute wird der Tourismus in Murmansk großgeschrieben: Straßen, Hotels, Restaurants und Cafés werden gebaut, die nötige Infrastruktur wird geschaffen. Deshalb ist es bequem, gemütlich, kulinarisch anspruchsvoll und interessant hier. Der sowjetische Atomeisbrecher "Lenin", Siedlungen der indigenen Völker, Rentiere oder das höchstgelegene Restaurant am Polarkreis ziehen an – die Hauptattraktion von Murmansk sind aber zweifellos die Nordlichter.
Eine regelrechte Jagd nach dem Polarlicht gebe es, sagen Vertreter von Tourismusorganisationen gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.
Witali Dronjuk, Geschäftsführer des Murmansker Reiseveranstalters Ai-Terra, erzählt:
"In der Saison schlafen wir fast nie. Manchmal nehmen wir zwei oder drei Besuchergruppen pro Nacht. Wir wissen, welche Standorte für die Nordlicht-Beobachtung besser sind. Es gibt spezielle Chats, in denen wir Informationen mit unseren Kollegen austauschen."
Eine Saison für das Polarlicht dauert einige Wochen im Jahr. Man kann das Nordlicht entweder während der Polarnacht sehen, die in Murmansk etwa 40 Tage, zwischen Anfang Dezember und Mitte Januar, dauert, oder hin und wieder von September bis April. "Wir nehmen Tee und warme Jacken mit, denn manchmal müssen wir mehrere Stunden in der Kälte warten. Aber das Ergebnis ist es wert", sagt Dronjuk.
Eine weitere Touristenattraktion ist der Aufstieg auf die Aussichtsplattformen, um den Blick auf das schneebedeckte, hell erleuchtete Murmansk zu erhaschen: In einer Polarnacht ist die Stadt praktisch rund um die Uhr festlich beleuchtet.
Und wer Geld hat, geht auf Krabbensafari. Das ist kein günstiges Vergnügen – eine Tour kostet etwa zwanzigtausend Rubel (mehr als 270 Euro) pro Person. Die hier lebenden Krabben sind Einwanderer aus Kamtschatka: Sie wurden vor vielen Jahren von Wissenschaftlern in die Barentssee gebracht und haben sich so vermehrt, dass sie jetzt sogar von Touristen gefangen werden dürfen.
Die Safari dauert einige Stunden: Die Touristen werden in Gruppen mit kleinen Fischerbooten aufs Meer hinausgefahren und werfen draußen spezielle Fallen ins Wasser.
Nur erwachsene männliche Tiere dürfen dabei gefangen werden, während die übrigen wieder ins Meer entlassen werden müssen. Wenn man Glück hat, kann man einen Wal beobachten und auf Fotojagd gehen. Frische Krabben kann man mit nach Hause nehmen oder in einem Restaurant an der Küste verzehren.
Deer Stroganoff und Rentierflechte-Chips
Nur in Murmansk lässt sich im höchsten Bergrestaurant jenseits des Polarkreises essen. Das Restaurant "Plateau" befindet sich in der Nähe der Stadt Kirowsk, im Chibiny-Gebirge, inmitten eines modernen Skigebiets. Die Attraktion ist jedoch nicht nur das Restaurant selbst, sondern auch das, was hier serviert wird: arktische Küche.
Vor drei Jahren gab es so etwas wie eine "arktische Küche" noch nicht, aber jetzt ist sie ein absoluter Modetrend, der internationale Gastronomie, ethnische Köstlichkeiten aus dem russischen Norden und lokale Produkte aus der Region Murmansk miteinander verbindet. Die arktische Küche kam im Jahr 2018 im Raum Murmansk auf, als die regionale Abteilung für Tourismusentwicklung damit begann, engagierte Köche sowie Hotel- und Restaurantbesitzer zusammenzubringen. Jetzt kann man die arktische Küche überall erleben – in Restaurants und an Imbissbuden auf der Straße. Oder bei den Gastro-Festen, die mehrmals im Jahr in und um Murmansk stattfinden.
Ekaterina Schapowalowa, Leiterin des Projekts "Gastronomische Landkarte Russlands", erläutert gegenüber der Agentur RIA Nowosti: Die arktische Küche basiert auf einfachen und unkomplizierten russischen, saamischen und pomorischen Rezepten, die von den Köchen mit Blick auf die lokalen Produkte verfeinert werden. Flussfisch (Hecht, Quappe, Kaulbarsch, Felchen), Seefisch (Lachs, Kabeljau, Heilbutt, Wels), Wildbret, nördliche Beeren (Heidelbeere, Preiselbeere, Moltebeere), Laminaria, Rentierflechte sind für arktische Küche typisch. Und natürlich die Meeresfrüchte: Seeigel, Jakobsmuscheln und Krabben.
Allerdings ist die arktische Küche nicht ganz unkompliziert. Da gibt es zum Beispiel Rentierflechte-Chips, Beef Stroganoff aus Hirschfleisch, der hier elegant Deer Stroganoff genannt wird, Pizza mit nordischen Beeren und Wildbret oder Preiselbeerkuchen. Und Kalja, eine alte nordische Suppe, die aus verschiedenen Fischsorten und Salzgurkensud zubereitet wird.
Teriberka: Filmpreise und der Schiffswrack-Friedhof
Es war vorhersehbar, dass Skifahren, Schwimmen in Eislöchern, Hunde- und Rentier-Schlittenfahrten und Besuche in unberührten ethnischen Dörfern bei den Touristen auf großen Zuspruch stoßen würden. Doch das Erwachen des kleinen Fischerdorfs Teriberka nahe Murmansk aus dem Dornröschenschlaf kam völlig überraschend.
Seit dem 19. Jahrhundert haben die Einwohner von Teriberka Wale gefangen, Rentiere gezüchtet und Schiffe repariert. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts wurde das Dorf aufgegeben und die Schiffe vor der Küste von Teriberka verwandelten sich allmählich in malerische Schiffsskelette. Die stillen Landschaften dieses Dorfes im Raum Murmansk wurden im Jahr 2014 im Film "Leviathan" von Andrei Swjaginzew gezeigt. Der Film gewann bei den Filmfestspielen von Cannes den Preis für das beste Drehbuch und wurde für den Oscar nominiert – Teriberka wurde dadurch schlagartig berühmt und entwickelte sich zu einem beliebten Touristenziel. Die Zeitschrift National Geographic hat sie sogar in die Liste der 20 besten Reiseziele aufgenommen.
Die Touristen haben Teriberka gestürmt, um den Friedhof der verlassenen Schiffe und eine fast unwirkliche Natur zu erleben. Einheimische und Tourismusverantwortliche erinnern sich mit leichtem Schaudern daran, denn die Sehenswürdigkeiten und die atemberaubende Landschaft waren zwar vorhanden, aber die Infrastruktur fehlte völlig. Selbst die Straße von Murmansk nach Teriberka war praktisch unpassierbar.
Also musste alles schleunigst in Ordnung gebracht werden. Jetzt gelangt man von Murmansk nach Teriberka ganz einfach – und auf den Straßen der Gegend fährt man mit einem normalen Pkw überall hin.
Der Ort ist nun vollständig für Touristen aller Bedürfnisse und Einkommensschichten ausgestattet. "Die Infrastruktur wurde speziell für sie geschaffen: gemütliche Hotels, Restaurants (darunter gehobene Küche), Erholungsbereiche mit Kunstobjekten", so RIA Nowosti. Touristen vergnügen sich hier beim Snowboarden, Angeln, Beobachten der nordischen Natur und, seltsamerweise, beim Tauchen. Dies ist jedoch ein extremer Zeitvertreib – selbst im Sommer ist das Wasser hier sehr kalt. Aber es ist sauber und klar, sodass man alles bis zum kleinsten Detail sehen kann.
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