Seit fast neun Monaten lebt die Großstadt Donezk – unbeachtet von der Weltgemeinschaft – ohne laufende Trinkwasserversorgung. Ende 2021 hatte die Ukraine die Trinkwasserversorgung über eine Filterstation nahe Slawjansk eingestellt, aus der die Hauptstadt des Donbass jahrzehntelang den Großteil ihres Wassers bezogen hatte.
Dass Donezk in den Jahren 2014 bis 2021 überhaupt eine Wasserversorgung hatte, obwohl die Ukraine der abtrünnigen Republik sonst in jedem Bereich mit Blockaden und Sabotage das Alltagsleben zu erschweren gesucht hatte, lag auch nur daran, dass das damals ukrainisch kontrollierte Mariupol seinerseits Trinkwasser aus demselben Leitungssystem – im Transit über Donezk – bezogen hatte. Donezk das Wasser abzustellen, hätte bedeutet, auch Mariupol dem Durst auszusetzen, wovor Kiew zurückschreckte. Im Jahr 2022 spielen solche Rücksichtnahmen keine Rolle mehr, schon gar nicht, nachdem Mariupol nunmehr russisch kontrolliert ist.
Die Versorgung von fast 1,5 Millionen Einwohnern der Agglomeration hing ab diesem Zeitpunkt an einer einzigen Filterstation, die von der damals noch nicht anerkannten Volksrepublik unmittelbar kontrolliert wurde. Am 19. Februar wurde eine Pumpstation beschädigt und fiel aus, erste Schwierigkeiten in der Trinkwasserversorgung traten auf. Am 21. Februar, drei Tage vor Beginn der militärischen Spezialoperation Russlands, wurde auch diese letzte verbliebene Möglichkeit, Trinkwasser zu beziehen, durch die Ukraine einem gezielten Artillerieangriff unterzogen und beschädigt.
Die örtliche Filterstation konnte später trotz aller Schwierigkeiten einen Notbetrieb aufnehmen, die überlebenswichtige Versorgung aus dem nach wie vor ukrainisch kontrollierten Slawjansk wurde jedoch bis heute nicht wiederhergestellt. Dort liegt nach Angaben des Wasserbetriebes von Donezk das Problem an der Filtrierungs- und Pumpanlage von Gorlowka, die – anders als die Stadt gleichen Namens – auf ukrainisch besetztem Gebiet liegt und durch die ukrainische Verwaltung stromlos gestellt wurde. Zudem, sagt man in Donezk, sei der zuführende Wasserkanal an einer Stelle auch physisch unterbrochen.
Für einige Zeit konnte ein nördlich von Donezk liegender Wasserspeicher (Wasserspeicher Oberer Kalmius) genutzt werden. Da dessen Vorrat beschränkt war, wurde die Versorgung mit Leitungswasser in Donezk und den umgebenden Orten auf wenige Stunden pro Tag reduziert. Innerhalb eines Monats bis Ende März war der Wasserspeicher bereits zur Hälfte entleert worden.
Seit Ende März bekamen die Einwohner von Donezk nur alle zwei Tage für zwei Stunden Leitungswasser. Technisches Wasser wird in Lkw ausgefahren und an die Bevölkerung verteilt, dieses ist jedoch nicht trinkbar.
Nach der Zuschaltung einiger anderer Wasserquellen, über die in der Stadtverwaltung aus Angst vor Sabotageakten niemand Auskunft geben will, hat sich die Situation seit den Sommermonaten etwas gebessert, allerdings nicht überall. Einige Stadtteile leiden unter nahezu vollständigem Wassermangel, in anderen ist Leitungswasser fast immer verfügbar. Die Regel ist jedoch, dass es sporadisch und mit so geringem Druck läuft, dass ein gesamtes Haus manchmal auf die Nachbarn in den ersten Stockwerken angewiesen ist, um den Wasservorrat aufzufüllen: Für die obersten Etagen reicht der Leitungsdruck nicht.
Eine dauerhafte Lösung ist, so die Behörden, erst möglich, wenn der gesamte Wasserkanal von Slawjansk bis Donezk unter Kontrolle der Behörden der autonomen Republik kommt und die beschädigten Stellen repariert werden. Eine Alternative dazu wurde nun mit dem Bau einer neuen großen und leistungsfähigen Wasserleitung von Russland aus angepeilt. Am Donnerstag traf sich das Oberhaupt der DVR Denis Puschilin mit dem für Bau und Infrastruktur verantwortlichen Vizeregierungschef Russlands Marat Chusnullin. Wie Puschilin danach mitteilt, wurde dabei der Bau eines Wasserkanals zwischen dem Fluss Don auf traditionellem russischem Territorium und Donezk beschlossen.
Das Projekt solle im ersten Halbjahr 2023 umgesetzt werden. O-Ton Puschilin:
"Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Problem der Wasserversorgung gewidmet. Es wurde beschlossen, eine Wasserleitung vom Don zu bauen. Obwohl das Projekt komplex und kostspielig ist, soll es in der ersten Hälfte des Jahres 2023 fertiggestellt werden."
Sollte es tatsächlich gelingen, die Wasserleitung Don–Donezk im Sommer des kommenden Jahres in Betrieb zu nehmen, so wäre es für ein Projekt dieser Größenordnung ein rekordverdächtiges Bautempo. Die kürzeste Entfernung zwischen dem Don und dem oben erwähnten Wasserspeicher Oberer Kalmius nordöstlich der Ballungsraums von Donezk beträgt nämlich gut 300 Kilometer.
Mehr zum Thema - Dank NATO-Waffen ist Donezk für Zivilisten kein sicherer Ort – ein Bericht