Am Montag hat das russische Fernsehen ein Interview mit Außenminister Sergei Lawrow ausgestrahlt. Darin gab der Politiker seine Einschätzung der Gefahr eines Atomkriegs und erklärte, inwiefern die gegenwärtigen Spannungen zwischen Russland und dem Westen mit der Kubakrise im Jahr 1962 vergleichbar sind.
Lawrow lobte die schnelle Entscheidung der Biden-Administration, gemeinsam mit Russland der Erklärung von Gorbatschow und Reagan aus dem Jahr 1987 erneut zu bekräftigen, dass es in einem Atomkrieg keine Gewinner geben könne. Im Januar 2022 hätten sich auch andere ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, nämlich die Atommächte China, Frankreich und Großbritannien, dieser Erklärung angeschlossen. Laut Lawrow bekennt sich Russland weiterhin zu dieser Position. Dennoch warnte der Minister vor Eskalationsversuchen, ohne dabei Namen zu nennen:
"Alle fünf Staatsoberhäupter unterschrieben die Feststellung der Unzulässigkeit eines Atomkriegs. Das ist unsere prinzipielle Position. Davon gehen wir aus. Jetzt sind die Risiken durchaus substantiell. Ich möchte nicht, dass sie künstlich aufgeblasen werden. Es gibt viele, die das wünschen. Die Gefahr ist ernst und real. Sie darf nicht unterschätzt werden."
Als "gut und weise" charakterisierte Lawrow die Entscheidung der Biden-Administration, den New-START-Vertrag zur Verringerung der strategischen Nuklearwaffen bedingungslos um fünf Jahre zu verlängern. Gleichzeitig beklagte er, dass dies das einzige noch geltende Rüstungsbeschränkungsabkommen sei. Washington sei auf Russlands "ehrliche Angebote" zur Einschränkungen von Raketenabwehrsystemen und Beseitigung von Mittel- und Kurzstreckenraketen nicht eingegangen.
Zur Zeit der Kubakrise habe es wenige "geschriebene" Regeln gegeben, so Lawrow. Allerdings seien die Verhaltensmuster klar gewesen: "In Moskau verstand man, wie Washington handelt. Washington verstand, wie Moskau handelt." Bezüglich der gegenwärtigen Lage beklagte Lawrow, dass die USA praktisch alle Kontakte gekappt hätten, nachdem Russland "gezwungen war, die Russen in der Ukraine zu beschützen". Auch sei die Politik der USA intransparent und von doppelten Standards geprägt:
"'Regeln' ist ein Modewort, das von den USA und ihren Verbündeten benutzt wird, wenn sie andere auffordern, sich 'gut' zu verhalten. Sie bestehen nicht auf einer Einhaltung des Völkerrechts, sondern auf Respekt vor einer 'regelbasierten Weltordnung'. Dabei sind diese 'Regeln' auf keine Weise definiert."
Die doppelten Standards der USA und der NATO und ihre Missachtung die Interessen anderer Staaten werde laut Lawrow insbesondere an der NATO-Osterweiterung deutlich. Die "Verteidigungslinie" der Allianz sei fünfmal nach Osten in Richtung der russischen Grenze verschoben und die russischen Bedenken diesbezüglich stets zurückgewiesen worden:
"Sie machten uns auf eine ziemlich unhöfliche Weise deutlich, dass nicht wir entscheiden werden, was für unsere Sicherheit nötig sei."
Gleichzeitig fallen die USA in entfernte Länder ein, ohne sich um das Völkerrecht und die UN-Charta zu kümmern, betonte Russlands Außenminister. Auch im Hinblick auf den laufenden Ukraine-Konflikt hob Lawrow die Diskrepanzen zwischen "Beschwörungen" zur Vermeidung eines Dritten Weltkriegs und Waffenlieferungen an die Ukraine hervor. Letztere zeigten, dass die NATO einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führe. Dies gelte auch für die diplomatische Ebene:
"Viele von uns sind immer noch überzeugt, dass die Position der Ukraine in Washington, London und anderen westlichen Hauptstädten bestimmt wird."
Zusammenfassend beklagte der Außenminister einen Mangel der USA an Interesse an Verhandlungen, betonte aber die Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung des Konflikts: "In jeder Situation, in der Streitkräfte eingesetzt werden, wird alles mit einem Vertrag enden."
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