von Anton Gentzen
Auf die Frage, wie man in Russland Weihnachten feiert, wäre die Antwort vor einigen Jahren kurz gewesen: "gar nicht". Und mit ihr hätte dies dann auch der kürzeste Artikel in der Geschichte werden können. Heute stimmt diese Antwort nicht mehr, seit viele Russen wieder zum christlichen Glauben gefunden haben.
Der 25. und der 26. Dezember sind in Russland (außer bei den kleinen Minderheiten der Katholiken und der Baptisten) allerdings nach wie vor kein Feiertag. Das ist einer Besonderheit der russisch-orthodoxen Kirche geschuldet, die 1917 den Wechsel vom julianischen auf den gregorianischen Kalender verweigerte.
Das Kreuz mit den Kalendern
Der julianische Kalender wurde von niemand anderem als von Gaius Iulius Caesar im Jahr 45 vor Christus eingeführt. Cäsars Kalender war bereits ziemlich genau: Das Jahr hatte 365 Tage, und alle vier Jahre war ein zusätzlicher Tag eingeordnet, um der astronomischen Umlaufzeit der Erde um die Sonne (Sonnenjahr) möglichst nahezukommen. Wie sich später zeigte, war das "caesarische" Jahr dennoch um etwa elf Minuten länger als das Sonnenjahr. Diese Minuten summierten sich im Laufe der Jahrhunderte: Heute "hinkt" der julianische Kalender "der Sonne" (und dem gregorianischen Kalender) bereits um 13 Tage hinterher.
In den katholisch dominierten Ländern West- und Mitteleuropas wurde dies 1582 durch die Auslassung von zehn Tagen und die Einführung des gregorianischen Kalenders korrigiert, das weniger Schaltjahre vorsieht als der julianische. Die evangelischen Staaten folgten im Lauf der späteren Jahrzehnte. Russland dagegen musste noch bis zur Revolution 1917 auf die Umstellung warten. Wer im 18. oder 19. Jahrhundert nach Russland reiste, musste nicht nur die Uhr umstellen, sondern sich auch auf ein älteres Datum einstellen. Wer diese Reise in den ersten Januartagen unternahm, fand sich gar im alten Jahr wieder und konnte noch einmal auf das neue Jahr anstoßen.
Apropos Neujahrsfest: Dieses wurde in Russland erst durch den großen Reformator, Zar Peter den Großen, eingeführt. Im Jahr 7208. Und gemäß dem hoheitlichen Erlass folgte auf das Jahr 7208 das Jahr 1700. Wenigstens bei der Jahreszählung ging man ab da mit den Europäern zusammen. Aber zum Neujahrsfest später.
Als dann auf Anordnung der Bolschewiki in Russland aus dem 1. Februar 1918 der 14. Februar wurde, weigerte sich die Russisch-Orthodoxe Kirche, dem Folge zu leisten, und hielt an dem julianischen Kalender fest – bis heute. So feiern die russischen Orthodoxen das Weihnachtsfest nach ihrer Rechnung auch am 25. Dezember, nur ist dies nach dem weltlichen gregorianischen Kalender bereits der 7. Januar.
Drei in einem – Neujahrsfest ersetzt Weihnachten und Fasching
Die Revolution veränderte auch die Bedeutung des Weihnachtsfestes für die Gesellschaft insgesamt. Als Russland nach dem julianischen Kalender lebte und Weihnachten vor dem Neujahrsfest lag, stand auch für die russischen Familien, insbesondere die Kinder, die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember im Mittelpunkt der winterlichen Lebensfreuden: Das waren der märchenhafte Abend und die märchenhafte Nacht, in der es Geschenke und (allerdings erst nach Mitternacht, denn davor wurde gefastet) ein festliches Essen im Familienkreis gab. Einen besonderen Namen gab es dafür auch: Sotschelnik.
Auch die Sowjetmacht musste und wollte den Kindern einmal im Jahr einen besonderen Zauber bieten, aus ideologischen Gründen konnte es in dem säkularen Staat jedoch nicht mehr Weihnachten sein. Und so verschoben sich alle um Sotschelnik gewachsenen Traditionen auf das Neujahrsfest. Und bei diesem Datum blieben sie bis heute, der 7. Januar und der Abend davor haben auch heute noch eine rein religiöse Bedeutung.
Was erwartet die Kinder in Russland zum Neujahrsfest?
Jolka – das ist zum einen der Tannenbaum, mit dem auch in Russland Familien mit Kindern die Wohnstube schmücken. Das ist aber auch die Bezeichnung für ein Fest, das man für die Kleinen im Kindergarten oder der Schule organisiert. Auch dazu gehört obligatorisch ein mit Lametta, leuchtenden Girlanden, bunten Glaskugeln und einem roten Stern an der Spitze geschmückter Tannenbaum. Dieser fällt in der Schulaula oder in dafür angemieteten Theaterfoyers natürlich wesentlich größer und schicker aus als derjenige zu Hause.
Um den Baum herum tanzen die Kinder und singen Lieder, die extra für das Neujahrsfest komponiert wurden ("Im Wald wurde ein Tannenbaum geboren", "Dem kleinen Tannenbaum ist es kalt im Wald" oder "Der Winter wohnt in einer Hütte").
Wichtig: Jedes Kind trägt ein Kostüm, das russische Neujahrsfest ist also für die Kleinen zugleich Fasching. Früher musste jede Mutter das Kostüm eigenhändig nähen, heute ist es nicht verpönt, es zu kaufen oder professionell nähen zu lassen.
Haben die Kinder gut getanzt und gesungen und außerdem jedes ein Gedicht auswendig gelernt, dann kommt er: Ded Moros, Väterchen Frost. Aber auch nur, wenn die Kleinen und die Großen ganz laut nach ihm rufen. Ded Moros kommt nicht allein, er hat eine Assistentin: Snegurotschka, die Schneejungfrau. Mit den beiden macht es noch mehr Spaß, zu singen und zu tanzen, doch manchmal verspätet sich die echte Snegurotschka, und dann kann das hier passieren:
Läuft aber alles gut, dann gibt's Geschenke aus dem riesigen Rucksack des Ded Moros: zumeist eine Tüte mit vielen Süßigkeiten. Ja, die richtig teuren Geschenke gibt's erst am Abend unter dem Tannenbaum.
Und wem das alles jetzt zu kompliziert war, dem erklärt es Mascha ganz einfach und ganz, ganz anschaulich:
Und wie feiern die Erwachsenen?
Nun, die russische Art, das neue Jahr zu begrüßen, unterscheidet sich nicht prinzipiell von der deutschen: Es geht um Trinken, Essen, wieder Trinken, Tanzen, Trinken, dem Präsidenten zuhören (oder so tun), die Hymne singen (oder so tun), die Sekunden abzählen, Anstoßen, Trinken, Tanzen und irgendwann müde hinfallen. Und das alles am besten in einer guten Gesellschaft mit Freunden und Verwandten.
"So, wie du das neue Jahr empfängst, so wird es auch zu dir sein." (Russisches Sprichwort)
Zumindest an Silvester passen Deutsche und Russen doch ganz gut zusammen, und es ist noch die ganz große und bis heute nicht gelöste Frage, wer mehr trinkt und wer trinkfester ist.
Aber natürlich gibt es ein paar Besonderheiten, die man beachten muss, um Silvester wie ein Russe zu verbringen. Hier die wichtigsten:
1. Vergiss "Dinner for one"!
In Russland ist nicht nur ein Sketch, sondern ein ganzer Film im TV-Programm am 31. Dezember Pflicht: "Ironie des Schicksals oder Frisch aus der Sauna".
Ein frisch verlobter Mann geht mit seinen Freunden am Nachmittag des 31. Dezember wie jedes Jahr in die Banja, die russische Sauna. Dort bleibt das Trinkgelage nicht aus, an dessen Ende sich keiner mehr erinnern kann, wem das Flugticket nach Leningrad gehört. Die Freunde entscheiden sich für den Verlobten, der immer noch im Tiefschlaf ist, und laden ihn in das Flugzeug. In Leningrad nennt der Mann, der sich des Ortswechsels nicht bewusst ist, dem Taxifahrer seine Moskauer Adresse, findet am Ziel denselben Gebäudetyp vor, und sogar sein Schlüssel passt zu der Wohnung.
Nach einiger Zeit kehrt eine junge Frau zurück, die in der Wohnung wohnt und ihren Verlobten erwartet. Aus der Situationskomik wird zunehmend eine romantische Schnulze, die sich über zwei Stunden und zwei Serien hinzieht. Es ist in Russland strengstens verboten, diesen Film nicht gut zu finden!
2. Kein Silvester ohne "Olivier"!
Niemand weiß, warum die bunte, mit Mayonnaise angereicherte Mischung diverser Gemüse- und Wurstsorten einen französischen Namen trägt. Vielleicht ist dies die russische Rache dafür, dass die Franzosen immer wieder mal Sachen, die die Russen nicht einmal kennen, das Adjektiv "russe" anhängen. Jedenfalls druckt eine Moskauer Zeitschrift das Rezept erstmals im Jahr 1894. Zur landesweiten Popularität gelangt es erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als es 1948 Eingang in das sowjetische Standardkochbuch "Über leckeres und gesundes Essen" findet. So wie in Westdeutschland der VW Käfer das Symbol des Nachkriegsaufschwungs ist, dürfte es in der Sowjetunion neben einigen anderen Utensilien bescheidenen Wohlstands dieser festliche Salat sein.
Das Rezept: Verschiedenes Gemüse und helle Wurst-, Fleisch- oder Geflügelsorten klein in Würfelchen gehackt in eine Schüssel geben, wobei Erbsen, Ei, gekochte Kartoffeln und saure Gurken nicht fehlen sollten. Dies umgerührt, mit Essig und Zucker verfeinert, sonstiges nach Geschmack, dann löffelweise Mayonnaise dazugeben und alles gut umrühren. Variationen und Improvisationen sind ausdrücklich erwünscht. Nicht vergessen, ihn in den Kühlschrank zu stellen. Wie Sekt, schmeckt "Olivier" gekühlt am besten. Guten Appetit!
3. Und überhaupt, der Tisch!
Bitte keine abgedroschenen Klischees! Das neue Jahr empfängt man nicht mit Wodka, sondern mit Sekt. Na gut, na gut, etwas Wodka darf auch dabei sein. Seit Sekt nicht mehr Champagner heißen darf, tut es eben der Krimsekt. Ansonsten, genug für die ganze lange Nacht einplanen: zu essen und zu trinken. Ist man irgendwo eingeladen, bringt der Gast den Gastgebern immer etwas mit: einen Wurst- oder Fleischaufschnitt, eine Flasche Alkoholhaltiges und etwas Süßes zum Dessert. Der Tisch soll so voll und so reich werden wie nur irgend möglich. Aber vorher abstimmen, wer was mitbringt – nicht, dass fünf Schüsseln Olivier auf dem Tisch stehen und sonst nur trocken Brot.
Übrigens, ein paar Mandarinen auf dem Tisch sind auch Tradition.
4. Trinksprüche
Als Anfänger merke man sich diesen einen: "Auf die wunderschönen Frauen!" – "Sa prekrasnych dam!" Das zieht immer, auch zum zehnten Mal. Auf die Frauen kann ein Russe gar nicht genug trinken.
Und wer mit dem Feiern gar nicht mehr aufhören will, der kann zum orthodoxen Weihnachten die Sünden beichten (wie es viele Russen machen) und eine Woche später das Neujahrsfest noch einmal feiern (wie es alle Russen machen): nach dem julianischen Kalender.
Frohe Weihnachten und guten Rutsch!
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