Russland in Syrien, USA in Afghanistan – Eine vorläufige Bilanz zweier Kriege gegen den Terror

Die angegebenen Gründe für den Militäreinsatz der USA in Afghanistan und den Russlands in Syrien waren ähnlich. Die Ziele, Bündnispartner, Feinde und Mittel unterschieden sich erheblich. In seiner Analyse zieht der russische Politologe Andrej Kortunow eine vorläufige Bilanz.

Seit Oktober 2001 besetzten die USA und die NATO-Bündnispartner Afghanistan. Nun haben sie das Land nach fast zwanzig Jahren Hals über Kopf verlassen. Russland ist seit dem Jahr 2015 Kriegspartei in Syrien. Bis zur Stabilisierung des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assads in seinem Amt dauerte es ungefähr zwei Jahre.

Warum war Russland in Syrien erfolgreich, während die USA in Afghanistan scheiterten?  Diese Frage hat der russische Politologe und Generaldirektor des Russischen Rats für internationale Angelegenheiten, Andrej Kortunow, in einer Analyse beantwortet.

Was wollten die Kriegsparteien erreichen?

Sowohl Russland als auch die USA begründeten ihre militärischen Einsätze mit dem Kampf gegen den Terror. Die USA bekämpften Al-Qaida und die Taliban, Russland bekämpfte den IS und mit ihm verbundene radikale Gruppen der syrischen Opposition.

Den USA gelang es zwar, die Taliban zu verdrängen und die Macht in Afghanistan zu übernehmen. Der zweite Schritt, die langfristigen Bemühungen, einen säkularen Staat an die Stelle von Korruption, Vetternwirtschaft und Clanstrukturen zu setzen, kann in Anbetracht der jüngsten Ereignisse in Afghanistan als gescheitert gelten.

Für die USA kam erschwerend hinzu, dass die Taliban eine rein afghanische Bewegung sind. Als sie zu Beginn des Krieges nach Pakistan verdrängt wurden, versuchten sie immer wieder – und zuletzt erfolgreich – die Feinde aus ihrem Land vertreiben. In Syrien kämpfte Russland gegen internationale Terrorgruppen. Für die war Syrien nur einer von vielen möglichen Schlachtfeldern.

"Islamische 'Globalisten' und islamische 'Nationalisten' sind etwas anders motiviert; bildlich gesprochen haben erstere Beine, letztere haben Wurzeln."

Ein gravierender Unterschied zwischen dem Vorgehen der USA und dem Russlands lag folglich in den angewandten Mitteln. Während die USA die politische Lage in Afghanistan von Grund auf zu ändern planten, wollte Russland den Status Quo Syriens verteidigen bzw. wiederherstellen. Im syrischen Bürgerkrieg sollte Präsident Baschar al-Assad an der Macht gehalten werden und das war nach circa zwei Jahren gelungen.

Und während die USA eine große Anzahl an Marinesoldaten stationierten, nutzte Russland in Syrien vor allem seine Luftwaffe. Hinzu kam ein relativ kleines Kontingent der Militärpolizei. Schlussendlich wählte Russland in mehrerer Hinsicht eine weitaus preiswertere Variante als die USA.

Wer waren die Partner?

Die zwei wichtigsten Bündnispartner Russlands im Syrienkrieg waren Iran und die Türkei, ein reines Zweckbündnis weniger Staaten, das sich an der Verwirklichung der jeweiligen Einzelinteressen ausrichtete.

In dem Zusammenhang weist Kortunow auf die Astana-Treffen hin, auf dem die drei Länder ihre – zuweilen widerlaufenden – Interessen in Syrien abstimmten. Da die konzertierte Zusammenarbeit auf gemeinsame Ziele ausgerichtet war, erwiesen sich die Treffen auch in Krisen als stabil. 

Die Partner der USA hingegen waren vor allem Mitglieder der NATO, von denen die wenigsten unmittelbare Interessen in Afghanistan hatten. Ihre Beteiligung im Afghanistankrieg war ihrem Wunsch geschuldet, den USA ihre Loyalität zu beweisen. Daraus schlussfolgert Kortunow:

"Es hat sich jedoch herausgestellt, dass eine auf Werten – und nicht auf Interessen – basierende Solidarität keine besonders verlässliche Grundlage für ein langjähriges Vorhaben ist."

Zusätzlich zu den Partnern in der Region standen relevante Teile der Bürger Syriens aufseiten Russlands und Assads. Dagegen spiegelten die Taliban tatsächlich auf ihre Weise die Interessen großer Teile der Bevölkerung Afghanistans wider – und standen eher gegen die westlichen Besatzer.

Was wurde verwirklicht?

Auch nach zwanzig Jahren konnten die USA keine nennenswerten Erfolge bei der Entwicklung der Gesellschaft vorweisen. Es ist ihnen nicht gelungen, starke politische und staatliche Institutionen aufzubauen. Korruption, Vetternwirtschaft und Clanherrschaft bestehen fort. Vor allem in den Provinzen fehlen wie schon zu Beginn der Intervention grundlegende soziale und wirtschaftliche Dienstleistungen. Die Taliban wurden nur verdrängt, nicht besiegt.

Kortunow zufolge nahm durch die Niederlage vor allem die Glaubwürdigkeit der USA als Garant für Stabilität Schaden:

"Es sollte erwähnt werden, dass Afghanistan lediglich das anschaulichste Beispiel für die schrumpfende amerikanische Militärpräsenz in der Welt ist."

Das Pentagon muss sich von nun an darauf vorbereiten, Militäroperationen ohne seine Verbündeten und Partner durchzuführen.

Nach jahrelangem Krieg stehen Syrien und Afghanistan gleichermaßen vor großen Herausforderungen. Syrien ist aber politisch stabiler. Russland ist es gelungen, die militärische Operation in einer politischen Lösung münden zu lassen. Die Politik des Landes ist derzeit ohne die Beteiligung der Führung in Damaskus nicht denkbar.

Das Fazit aus Afghanistan lautet daher: Eine überwältigende militärische Überlegenheit, praktisch unbegrenzte finanzielle Mittel, eine breite internationale Unterstützung und sogar eine jahrzehntelange Besatzung garantieren keinesfalls den Sieg.

Der Großteil Syriens ist erneut unter der Kontrolle der Regierung in Damaskus. Teile des Landes werden aber noch von kurdischen und türkischen Streitkräfte gehalten. Die Zukunft Syriens bleibt somit unklar.

Es ist auch noch nicht bekannt, wie eine Abzugsstrategie Russlands aussehen wird. Wenn Moskau die erreichten Erfolge nicht bald wieder verlieren will, wird es jedoch irgendwie in der Region präsent bleiben müssen.

Da Moskau sein Ansehen in der arabischen Welt und im gesamten Nahen Osten durch seine beständige und vorhersehbare Politik stärken konnte, kann der Syrienkrieg zum jetzigen Zeitpunkt als Erfolg verbucht werden.

Wie geht es in Afghanistan weiter?

Wie bereits in Syrien durch Iran und die Türkei geschehen, werden in Zukunft auch die Nachbarstaaten Afghanistans ihre Rolle bei der Entwicklung des Landes spielen müssen. Als zweite Lehre aus Afghanistan hält Kortunow fest:

"Keine internationale Koalition, die auf gemeinsamen demokratischen Werten und Loyalität gegenüber dem Anführer beruht, kann die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten ersetzen."

Im Fall von Afghanistan ist das vor allem Pakistan, aber ebenso China, Iran, die zentralasiatischen Staaten und möglicherweise Indien. China wird aufgrund seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten wahrscheinlich der wichtigste ausländische Handelspartnern Afghanistans werden. Auch die Europäische Union und die arabischen Golfstaaten könnten eine Rolle spielen.

Die Interessen Russlands in Afghanistan sind dagegen weniger konkret als in Syrien. In erster Linie wird es Moskau darum gehen, die militärische und politische Stabilität in Afghanistan zu unterstützen. Dazu zählt, internationale Terrorgruppen daran zu hindern, Afghanistan erneut zum Quartier ihrer Operationen zu machen. Wichtig wird es weiterhin sein, den Drogenschmuggel aus Afghanistan nach Russland und die umliegenden Länder zu verhindern.

Die Zukunft der afghanisch-russischen Beziehungen wird aber auch von den nächsten Schritten des Westens abhängen. Sollten sich die USA und die EU für Sanktionen gegen die Regierung in Kabul entscheiden, würden so zusätzliche Anreize für eine stärkere Zusammenarbeit der Taliban mit Russland bestehen. Damit könnte eine zu starke Abhängigkeit zu China etwas verringert werden.

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