Das Moskauer Stadtgericht gab dem Antrag der russischen Strafvollzugsbehörde statt und urteilte, dass Alexei Nawalny gegen Bewährungsauflagen verstoßen hatte. Der oppositionelle Blogger wurde zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Mit Rücksicht auf ein knappes Jahr, das er bereits unter Hausarrest verbrachte, muss Nawalny für zwei Jahre und acht Monate in Haft.
Gegen die Auflagen der mehrfach verlängerten Bewährung verstieß Nawalny, indem er sich nach seiner Entlassung aus dem Berliner Klinikum Charité am 20. September beziehungsweise spätestens nach seiner Genesung am 12. Oktober vergangenen Jahres nicht rechtzeitig am für ihn zuständigen Standort der russischen Polizei gemeldet hatte. Auf diese Tatsache wurde der russische Strafvollzugsdienst nach eigener Presseerklärung dank einer Veröffentlichung im medizinischen Wissenschaftsmagazin The Lancet vom 22. Dezember 2020 aufmerksam.
Die Behörde erklärte zudem, dass Nawalny sowohl vor als auch nach der mutmaßlichen Vergiftung mit einem Nervenkampfstoff der sogenannten Nowitschok-Gruppe im August 2020 seine Bewährungsauflagen systematisch verletzt hatte.
In der Anhörung wich Nawalny unter anderem der Frage der Staatsanwältin aus, ob der Blogger tatsächlich im Zeitraum zwischen Januar und August 2020 insgesamt sechsmal seine Meldepflicht bei den zuständigen Behörden "absichtlich verletzt" hatte.
Der Föderale Strafvollzugsdienst Russlands (FSIN) wies seinerseits in einem Statement darauf hin, dass Nawalny sich während seines Aufenthalts in der Bundesrepublik "in Berlin frei bewegt, Interviews gegeben sowie Sport getrieben" hatte, jedoch keinerlei Kontakt zur Strafvollzugsinspektion gesucht oder aufgenommen hätte. Insgesamt soll der Oppositionspolitiker siebenmal seine obligatorische, regelmäßige Meldefrist bei der Kontrollbehörde versäumt und sich so jeder Kontrolle entzogen haben, präzisierte der FSIN.
Nawalny selbst kam im Gerichtssaal mit einer Rede zu Wort, in der er die gegen ihn eingeleitete Strafsache als fabriziert und politisch motiviert bezeichnete. Nawalny wörtlich:
"Wir wissen, warum das passiert ist. Der Grund dafür ist der Hass und die Angst eines einzelnen Menschen, der in einem Bunker lebt. Weil ich ihn zu Tode gedemütigt hatte, indem ich einfach überlebte, nachdem man versucht hatte, mich auf seinen Befehl hin zu töten. Wie oft auch immer er sich als großen Geopolitiker und Weltführer ausgeben mag – seine größte Beleidigung durch mich besteht darin, dass er gerade als Giftmischer in die Geschichte eingehen wird. Sie wissen, es gab schon einen 'Alexander, den Befreier' und einen 'Jaroslaw, den Weisen'. Nun wird es auch einen 'Wladimir, den Unterhosen-Vergifter' geben."
Nawalny sagte vor der Urteilsverkündung, dass er im Fall des Kosmetikunternehmens Yves Rocher keine Haftstrafe absitzen müsse, da der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg in seinen Handlungen keinen Tatbestand gesehen und noch im Gerichtsaal gebeten hatte, ihn freizulassen.
Das Moskauer Gericht befand die Argumente von Nawalnys Verteidigung in Bezug auf das Urteil des EGMR für gegenstandslos, da sich der Gerichtshof nicht zur Rechtswidrigkeit des Urteils geäußert und das Präsidium des Obersten Gerichtshofs Russlands dieses nicht für aufhebbar gehalten habe.
Der EGMR hatte im Jahr 2017 erklärt, dass die Verurteilung Nawalnys wegen Betrugs und Geldwäsche auf einer unvorhersehbaren Anwendung des Strafrechts beruhte und das Verfahren willkürlich und ungerecht gewesen war.
Zuvor hatte der Verurteilte die Aufzeichnung seines Telefongesprächs mit einem mutmaßlichen Mitglied eines sogenannten FSB-Mordkommandos publik gemacht, das versucht haben soll, im August 2020 einen Giftanschlag auf Nawalny zu verüben. Die Aufnahme präsentierte der Oppositionelle praktisch als Eingeständnis des Mordversuchs. Aus dem Gespräch mit dem angeblichen FSB-Agenten ging unter anderem hervor, dass der Kampfstoff auf die Innenseite von Nawalnys Unterwäsche aufgetragen worden sei.
Dabei hatte der Kreml wiederholt Nawalnys Vorwürfe zurückgewiesen, es sei versucht worden, ihn im Auftrag Wladimir Putins zu eliminieren. Der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow brachte zudem seine Meinung zum Ausdruck, dass Nawalny "unter Größen- und Verfolgungswahn leidet". Dazu ergänzte der Kremlsprecher, dass der Oppositionspolitiker "von seinem Hosenstall besessen" sei.
Darüber hinaus sagte der russische Außenminister Sergei Lawrow bei einer Pressekonferenz am Dienstag, dass die weiterhin ausstehenden Beweise für die Befunde der Speziallabore der Bundeswehr sowie Frankreichs und Schwedens und auch der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die angeblich Spuren eines Nervenkampfstoffes der Nowitschok-Gruppe in Nawalnys Proben festgestellt haben wollen, "allen Anlass dafür geben", zu glauben, dass es sich beim Fall Nawalny um eine Inszenierung handele.
Bereits am Morgen versammelten sich vor dem Gerichtsgebäude Unterstützer des Oppositionellen zu einer von den Behörden nicht genehmigten Solidaritätskundgebung. Das Gebäude wurde von Hunderten Beamten der Sonderpolizei OMON gesichert, das Gelände wurde mit Metallgittern weiträumig abgesperrt. Die Gerichtssitzung wurde von zahlreichen nicht sanktionierten Protestaktionen in Moskaus Innenstadt begleitet. Stand 20 Uhr Moskauer Zeit wurden laut dem Sprecher der Öffentlichen Aufsichtskommission (ONK) Alexei Melnykow mehr als 400 Menschen festgenommen.
Der russische Oppositionspolitiker Nawalny war am 17. Januar am Moskauer Flughafen Scheremetjewo bei seiner Rückkehr aus Deutschland festgenommen worden. Zu der Festnahme des oppositionellen Bloggers gab der Föderale Strafvollzugsdienst Russlands (FSIN) die folgende Erklärung ab:
"Am 17. Januar 2020 wurde Alexei Nawalny, der seit dem 29. Dezember 2020 wegen wiederholter Verstöße gegen seine Bewährungsauflagen auf der Fahndungsliste stand, am Flughafen Scheremetjewo von Beamten der Fahndungsabteilung der operativen Abteilung des Föderalen Strafvollzugsdienstes Russlands in Moskau festgenommen."
Die Strafsache, in deren Folge er gegen Bewährungsauflagen verstieß, hatte Nawalnys Mittäterschaft an der Veruntreuung von mehr als 500.000 US-Dollar zum Nachteil des internationalen Kosmetikunternehmens Yves Rocher gemeinsam mit seinem Bruder Oleg behandelt. Im Jahr 2014 war Oleg Nawalny zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren Straflager verurteilt worden. Alexei Nawalny hatte dagegen dreieinhalb Jahre auf Bewährung erhalten. Der Gerichtsbeschluss wurde später vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als "unbegründet und willkürlich" angefochten. Der Gerichtshof ordnete außerdem an, dass Russland Nawalny Schadenersatz zahlen müsse. Der 44-Jährige selbst bezeichnete den Gerichtsprozess und das Urteil als politisch motiviert.
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