Bei Anruf Geständnis: Nawalny überführt angeblich FSB-Agenten, der ihn töten wollte

Neueste Wendung im Fall des mutmaßlich mit der Chemiewaffe Nowitschok vergifteten russischen Oppositionellen Alexei Nawalny. Er will einem Agenten des russischen FSB-Geheimdienstes am Telefon ein Geständnis entlockt haben – und stellte die Tonaufnahme des Gesprächs am Montag ins Internet.

Nachdem Der Spiegel vergangenen Woche in Zusammenarbeit mit CNN und der britischen "Rechercheplattform" Bellingcat über ein angebliches Mordkommando des russischen Geheimdienstes FSB berichtet hatte, das den Oppositionspolitiker Alexei Nawalny jahrelang verfolgt und mehrfach zu töten versucht haben soll, legte das Nachrichtenmagazin am Montag mit einer weiteren "Enthüllungsstory" nach: "Wie Nawalny seinen Attentäter hereinlegte – und zum Reden brachte".

Einer der beteiligten Agenten habe demnach Nawalny am Telefon alles gestanden und in einem fast einstündigen Gespräch jedes Detail der Operation genannt. Nawalny habe sich dabei als "Assistent eines Putin-Beraters" ausgegeben – was für den Geheimagenten Anlass genug gewesen sein soll, der ihm unbekannten Person sämtliche Details eines behaupteten Mordkomplotts zu verraten, das weltweite Aufmerksamkeit erregt.

In den Mainstream-Medien herrscht jedoch nicht der geringste Zweifel an Nawalnys Darstellung. "FSB-Agent hat gestanden", titelt die Tagesschau. "Nawalny legt russischen Geheimdienst rein – Auftragsmörder gesteht Giftmord-Versuch!", lautet die Schlagzeile bei der Bild. "Fall Nawalny: Russischer Geheimagent gibt Giftanschlag zu", heißt es in der Süddeutschen Zeitung. Und auch für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) ist der Fall nun wohl endgültig geklärt: "Russischer Agent gesteht Giftanschlag auf Nawalny".

Das Telefonat soll am 14. Dezember um 7 Uhr Ortszeit – wenige Stunden vor der Veröffentlichung der Bellingcat-Recherche zu dem mutmaßlichen FSB-Killerteam im Spiegel – stattgefunden haben. Bei Nawalnys Gesprächspartner soll es sich um einen  Chemiewaffenexperten des FSB namens Konstantin Kudrjawzew handeln, der neben sieben anderen Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes an der versuchten Ermordung des 44-Jährigen beteiligt gewesen sein soll.

Nawalny gab sich dabei als ein Berater des Sekretärs des russischen Sicherheitsrates und ehemaligen FSB-Chefs Nikolai Patruschew aus. Seine Telefonnummer habe er mithilfe einer speziellen App ändern lassen, damit sie als eine Dienstnummer angezeigt werde.

Im Laufe des rund 50-minütigen Gesprächs, dessen Echtheit nicht bestätigt wurde, befragte Nawalny den mutmaßlichen Geheimagenten zu der "Sonderoperation in Tomsk" sowie auch zu den möglichen Gründen, warum sie "gescheitert" sei. Darauf erklärte dieser, dass Nawalnys Überleben wohl nur der umgehenden Notlandung seines Flugzeugs in Omsk zu verdanken sei.

Auf weitere Fragen über den angeblichen Nowitschok-Anschlag präzisierte Nawalnys Gesprächspartner, dass das Nervengift auf der Unterwäsche des Politikers eingesetzt worden sei. Er legte ferner nahe, dass Nawalnys Kleidung nach seiner Einweisung ins Omsker Krankenhaus an FSB-Mitarbeiter übergeben worden sei, um die Spuren des Giftes zu vernichten.

FSB spricht von einem "Fake"

In einer Erklärung teilte der FSB laut der Nachrichtenagentur RIA Nowosti mit, dass es sich bei der Aufnahme des Telefonats um einen "Fake" handele. Es sei eine "vorausgeplante Provokation", die darauf abziele, den FSB zu diskreditieren. Zudem sei dem Geheimdienst die Methode der Verschleierung der eigenen Telefonnummer nur zu gut bekannt:

"Die Methode, die Teilnehmernummer zu fälschen, ist eine bekannte Technik ausländischer Geheimdienste, die bereits mehr als einmal bei antirussischen Aktionen getestet wurde."

Laut dem FSB sei die vergangene Woche erfolgte vermeintliche Enthüllung des "FSB-Killerteams", die sich auf nicht öffentlich zugängliche Telefon- und Passagierlistendaten beruft, "nicht ohne die organisatorische und technische Unterstützung eines ausländischen Geheimdienstes" möglich gewesen. Wie RT DE bereits berichtete, gibt es Hinweise darauf, dass die Recherche von Bellingcat auf Material aus Datenbanken beruht, die von westlichen Geheimdiensten gehackt wurden.

Am mutmaßlichen Wohnsitz von Kudrjawzew: Nawalny-Mitarbeiterin festgenommen

Die Mitarbeiterin von Nawalnys Fonds für Korruptionsbekämpfung Ljubow Sobol hatte offenbar versucht, nach Nawalny ebenfalls mit Kudrjawzew zu sprechen. Jedoch nicht per Telefon. Stattdessen suchte sie dessen mutmaßlichen Wohnsitz im Moskauer Bezirk Nowokosino auf, wo ihr aber niemand die Tür geöffnet habe. Dort wurde sie nach einiger Zeit von der Polizei festgenommen. Sobol stellte die Festnahme per Live-Stream ins Internet. Auch vor Ort anwesende Journalisten hatten die Festnahme gefilmt. Laut den Beamten hätten sich Mieter des Wohnkomplexes über Sobol beschwert.

Alexei Nawalny war auf einem Inlandsflug von der sibirischen Stadt Tomsk nach Moskau am 20. August zusammengebrochen. Nach einer Notlandung wurde der Oppositionelle in den ersten 40 Stunden im Krankenhaus der Stadt Omsk behandelt, daraufhin aber auf Drängen seiner Familie und Unterstützer in die Berliner Universitätsklinik Charité verlegt.

Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel, Nawalny sei "zweifelsfrei" mit Nowitschok vergiftet worden. Ein Speziallabor der Bundeswehr habe anschließend bei einer toxikologischen Untersuchung von Nawalnys Proben einen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe festgestellt. Auch zwei Labore in Frankreich und Schweden erbrachten angeblich den Nachweis eines Nervenkampfstoffes aus der Nowitschok-Gruppe als Ursache der Vergiftung.

Allerdings veröffentlichte keines der Labore irgendwelche Ergebnisse, die eine Verifizierung ihrer Behauptungen ermöglicht hätten. Der Kreml wies eine Verwicklung in den Fall wiederholt zurück und betonte, dass Russland alle Chemiewaffenbestände unter Aufsicht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vernichtet habe. Präsident Waldimir Putin betonte, er habe die russischen Staatsanwälte persönlich gebeten, Nawalnys Ausreise nach Deutschland zu erlauben.

Der Fall hat die Beziehungen zwischen Berlin und Moskau erheblich belastet. Nawalny hält sich noch immer in Deutschland zu einer Reha-Maßnahme auf. Er will nach seiner Genesung wieder nach Russland zurückkehren.

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