Tatjana Ruschentsowa, Leiterin der klinischen Abteilung des Epidemiologie-Forschungsinstituts der Verbraucherschutzbehörde, sagte, dass der Anstieg der Corona-Zahlen vorhersehbar war: "Wir sehen keinen starken Anstieg, aber es gibt dennoch einen Anstieg. Ich betone es noch einmal, dass er vorhersehbar war, weil Menschen mit Symptomen von Atemwegsinfektionen getestet werden", erklärte sie Anfang dieser Woche. Ruschentsowa fügte hinzu, dass die Auslastung der Krankenhausbetten derzeit gering und die allgemeine Situation unter Kontrolle seien. Die meisten Patienten hätten nur leichte Symptome:
Unsere Patienten werden hauptsächlich zu Hause behandelt. Viele davon haben einen sehr milden Krankheitsverlauf.
Auch Anna Popowa, Leiterin der Verbraucherschützbehörde, betonte, die epidemiologische Situation sei in Russland trotz eines Anstiegs der Corona-Fälle stabil. Eine solche Entwicklung der Ereignisse habe man für die zweite Septemberhälfte erwartet.
Ministerpräsident Michail Mischustin berief vergangene Woche ein Präsidium des Koordinierungsrates gegen die Ausbreitung der Corona-Infektion ein. Die Teilnehmer bestätigten im Allgemeinen eine stabile Situation. Mischustin erklärte, alle Regionen seien bereit, Corona-Patienten zu behandeln. Die nötige medizinische Ausstattung, persönliche Schutzausrüstung und eine Bettenreserve seien vorhanden. Er unterstrich zugleich, dass man nicht auf Atemmasken und soziale Distanz verzichten dürfe, um sich und seine Mitmenschen zu schützen.
Der tägliche Zuwachs beträgt in Russland derzeit rund 6.000 Fälle. In Moskau gab es am Donnerstag erstmals seit Juni mehr als 1.000 positiv Getestete. Seit Beginn der Corona-Krise haben sich in Russland bereits mehr als 1,1 Millionen Menschen mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Corona-Infektion liegt bei knapp 20.000. Russland liegt weltweit nach den USA, Indien und Brasilien an vierter Stelle bei den erfassten Fällen. Bei der Anzahl der Tests pro Kopf liegt Russland jedoch auf etwa dem gleichen Niveau wie Frankreich, wo halb so viele Tests durchgeführt wurden.
Zugleich forderte die EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am Donnerstag alle EU-Staaten auf, aufgrund steigender Corona-Zahlen sofort gegenzusteuern. "Das ist womöglich unsere letzte Chance, eine Wiederholung des Geschehens im Frühjahr zu vermeiden", warnte Kyriakides in Brüssel. Die Zahlen gemeldeter Corona-Infektionen seien seit August in der Europäischen Union und in Großbritannien stetig gewachsen und lägen nun teils höher als auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie im März. Die bisherigen Gegenmaßnahmen seien nicht immer ausreichend gewesen. Deshalb müssten die EU-Staaten beim ersten Anzeichen für einen neuen Ausbruch sofort einschreiten, forderte die Kommissarin. Dazu zählte sie vermehrte Tests, Rückverfolgung von Kontakten, bessere Überwachung der öffentlichen Gesundheit, besseren Zugang zu Schutzkleidung und Medikamenten sowie die Stärkung der Kapazitäten in Krankenhäusern.
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