Fall Nawalny: Russische Generalstaatsanwaltschaft ersucht deutsche Behörden um Rechtshilfe

Russland hat deutsche Justizbehörden um Rechtshilfe im Fall der Krankenhauseinweisung des russischen Bloggers Alexei Nawalny gebeten. Die Anfrage erging unter Beifügung von Dokumenten zu Ergebnissen der Voruntersuchungen des Falles, die in Tomsk durchgeführt wurden.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat an die zuständigen deutschen Justizbehörden ein Ersuchen gerichtet, mit dem sie um die Mitteilung der Ergebnisse von Untersuchungen an Alexei Nawalny in Deutschland bittet. Dieser Anfrage wurden auch Dokumente zu den Ergebnissen von Untersuchungen zur Vorgeschichte der Gründe für den Krankenhausaufenthalt des russischen Bloggers beigefügt. Das berichtet das russische Wirtschaftsmedium RBK.

In dem Dokument, das im Namen des amtierenden Leiters der Hauptabteilung Internationale Rechtliche Zusammenarbeit der Generalstaatsanwaltschaft Peter Litwischko an die Gegenseite in Deutschland gesandt wurde, wird darauf hingewiesen, dass die Überprüfung der Umstände des Krankenhausaufenthalts Nawalnys seit dem 20. August durchgeführt wird.

Während der Untersuchung wurden mehr als 100 Gegenstände beschlagnahmt, die die für vergleichende Studien erforderlichen Proben enthalten könnten", heißt es dort.

Während der Inspektion wurden auch Überwachungskameras ausgewertet. Mehr als 20 forensische Untersuchungen sind vorgesehen, von denen drei bereits abgeschlossen sind. Im Antrag der russischen Staatsanwaltschaft wird festgestellt, dass bisher keine vorsätzlichen Handlungen Dritter nachgewiesen wurden.

Der Anfrage der russischen Generalstaatsanwaltschaft ist auch ein Rechtshilfeersuchen beigefügt, das von der Direktion für Verkehrswesen des Innenministeriums der Russischen Föderation des Sibirischen Föderalbezirks an die zuständigen deutschen Behörden gerichtet wurde. Das Dokument informiert darüber, dass sich die Ergebnisse der Voruntersuchung in der Ermittlungsfachabteilung des Innenministeriums der Stadt Tomsk befinden.

Den Unterlagen zufolge traf Alexei Nawalny zum Abflug zusammen mit seinen Assistenten Kira Jarmysch und Ilja Pachomow am Flughafen in Tomsk ein. Es wird vermerkt, dass der Aktivist und sein Team die Sicherheitskontrolle des Flughafens passierten und sich danach ins Café "Wiener Kaffeehaus" setzten. Dort tranken sie Tee, Kaffee und Wasser, so der derzeitige Befund. Danach machten sie sich auf den Weg zum Flugzeug.

Um 7.55 Uhr startete das Flugzeug völlig normal den Flug in Richtung Moskau. Als sich das Flugzeug bereits in der Luft befand, begab sich der Blogger auf die Toilette, da er ein Unbehagen verspürte. Kurz nachdem er das WC verlassen hatte, verlor er im hinteren Bereich des Flugzeugs das Bewusstsein, heißt es in dem Dokument.

Die Ermittler rekonstruierten und überprüften Nawalnys Reise-Route vom Hotelzimmer bis zum Flughafen und bis zu seiner Einlieferung in das Krankenhaus. In der Anfrage bittet die Behörde deutsche Spezialisten um Informationen darüber, welche Medikamente während der Behandlung des Aktivisten in Deutschland verwendet wurden, ob chronische Krankheiten und Diabetes mellitus festgestellt wurden. Außerdem bekundet die russische Seite ihr Interesse an den Ergebnissen der biochemischen Blut- und Urintests ab dem Zeitpunkt der Aufnahme in die Charité.

In der Anlage zum Antrag bittet die Transportpolizei um Klärung, ob es ein Gutachten einer forensischen Expertenkommission gibt, etwa über die Spektralanalyse von Drogen, psychotropen, stark wirksamen und toxischen Substanzen, einschließlich Schwermetallen, die möglicherweise im Körper von Nawalny gefunden wurden. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden werden außerdem gebeten, Angaben darüber zu machen, ob in den Biomaterialien des Patienten Substanzen aus der Gruppe der Cholinesterasen-Hemmer (Cholinesteraseinhibitoren) gefunden wurden und – falls ja – in welcher Menge sie zum Zeitpunkt der Einlieferung in die deutsche Klinik festgestellt wurden.

Zuvor berichteten russische Behörden, dass sie in Bezug auf den deutschen Krankenhausaufenthalt von Nawalny Rechtsbeistand beim bundesdeutschen Justizministerium ersucht haben. Der Antrag der Staatsanwaltschaft enthielt ein Ersuchen der russischen Seite, "Erläuterungen, Informationen und Beweise zu den von ihnen geäußerten Vordiagnosen sowie Unterlagen über medizinische Daten und Untersuchungen von Spezialisten sowohl während des Transports des russischen Staatsbürgers von Russland nach Deutschland als auch während seines Aufenthalts in der Klinik Charité" zu übermitteln.

Dem russischen Blogger Alexei Nawalny wurde auf dem Flug von Tomsk nach Moskau am 20. August schlecht. Das Flugzeug musste auf dem Flughafen von Omsk ungeplant zwischenlanden, worauf der bewusstlose Nawalny in das städtische Krankenhaus gebracht wurde, wo er ins künstliche Koma versetzt wurde. Der Chefarzt Alexander Murachowski teilte mit, dass eine Untersuchung in Omsk keine Vergiftung des Aktivisten mit einer chemischen Substanz festgestellt habe.

Am Samstag, dem 22. August, wurde der Patient zur Behandlung in die deutsche Klinik Charité verlegt. Angehörige von Nawalny seien sich sicher, dass er vergiftet wurde. Klinische Untersuchungen, die von deutschen Ärzten in der Klinik durchgeführt wurden, weisen angeblich auf eine Vergiftung hin, hieß es in einer Erklärung des Krankenhauses wenige Tage nach seiner Überführung nach Berlin.

Medienberichten zufolge bekam die russische Seite bisher keine Dokumente zu den deutschen Untersuchungsergebnissen zur Kenntnis, was darauf hindeuten könnte, dass die deutschen Ärzte mehr Zeit brauchen, um genauere Feststellungen zur Erkrankung des Bloggers zu treffen. Darauf wies auch der russische Außenminister Sergei Lawrow hin. Er kritisierte den Westen dafür, dass man von Russland sofort nach der Krankenhauseinweisung Nawalnys Untersuchungsergebnisse gefordert habe, aber im Falle der deutschen Ärzte nun lange Zeit Stillschweigen bewahrt. Er erklärte:

Wir werden aufgefordert, dass die Ärzte in Omsk sofort ihre Schlussfolgerungen vorlegen, damit das Koma von Nawalny untersucht werden kann. Erinnern wir uns: Er lag etwas mehr als einen Tag in Omsk [im Krankenhaus], und schon machten alle unsere westlichen Kollegen Lärm und fragten, warum es keine Informationen gab.

Nun ist er endlich seit einer Woche in Deutschland, doch auch die deutschen Ärzte geben keine Auskunft. Aber aus irgendeinem Grund stellt niemand irgendwelche Forderungen an sie, verurteilt sie nicht dafür, dass sie versuchen, die Wahrheit zu verbergen.

Ausgehend vom selben Tag, an dem all dies geschah, leitete unser Innenministerium eine Voruntersuchung ein. Richtige Ermittlungen können erst beginnen, wenn feststeht, was passiert ist, was – ich wiederhole – noch immer unklar ist. Die deutschen Ärzte können uns entsprechende Informationen noch nicht liefern.

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