Ein aussichtsreicher Impfstoff-Kandidat gegen das neuartige Coronavirus hat in Russland bereits die erste Phase einer klinischen Studie abgeschlossen. An den Tests war unter anderem die Erste Moskauer Staatliche Setschenow-Universität für Medizin beteiligt. Am 15. Juli durfte die erste Gruppe von Freiwilligen, denen der vom Nationalen Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie entwickelte Corona-Impfstoff injiziert worden war, die Uniklinik verlassen. Am 20. Juli folgte dann die zweite Testgruppe. Der Direktor des Instituts für Translationale Medizin und Biotechnologien an der Setschenow-Universität, Wadim Tarassow, erzählte russischen Medien Einzelheiten über das Präparat und die klinische Studie.
Guten Tag, Herr Tarassow! Kann man schon jetzt sagen, dass die russischen Wissenschaftler eine Lösung gefunden haben?
Wir möchten darauf hoffen. Die Entwicklung eines Impfstoffes in so einer kurzen Zeit wurde zweifellos dadurch möglich, dass erstens das Verfahren innerhalb der letzten 20 Jahre entwickelt wurde. Außerdem erlaubte es die technologische Basis, über die das Gamaleja-Zentrum verfügt, eine ganze Reihe von Präparaten zu entwickeln, darunter solche gegen Ebolafieber und MERS-CoV. Diese Impfstoffe wurden bereits an mehr als 5.000 Patienten erfolgreich getestet. Sie werden in verschiedenen Ländern der Welt, nicht nur in der Russischen Föderation verwendet. All die gesammelten Erfahrungen ermöglichten uns, in einer recht kurzen Zeit, in einer für die Entwicklung eines Präparates sehr kurzen Zeit, einen neuen Impfstoff zur Behandlung des Coronavirus zu entwickeln. Jetzt wurde die erste Etappe der klinischen Studien abgeschlossen. Das sind vor allem Studien in Bezug auf die Sicherheit. Wir haben deutlich gezeigt, dass der Impfstoff sicher ist, dass er angewendet werden darf. Daher können wir sagen, dass wir große Hoffnung auf den Erfolg dieses Impfstoffes haben. Wir möchten daran glauben. Ich denke, bald bekommen wir diesbezüglich genauere Daten.
Nehmen wir den internationalen Wettkampf um die Entwicklung solch eines Impfstoffes gegen das Coronavirus, an dem viele Länder teilnehmen. Können wir sagen, dass russischen Wissenschaftlern ein weltweiter Durchbruch in dieser Hinsicht gelungen ist?
Ich denke schon. Wir können tatsächlich von einem Durchbruch sprechen und davon, dass unser Land dadurch als einer der Spitzenreiter in der internationalen Pharmaindustrie aufgetreten ist, dass es Kompetenzen im Bereich der Entwicklung von Präparaten beibehalten und neue aufgebaut hat. In kürzester Zeit können wir die kompliziertesten Forschungen unter Einhaltung aller Auflagen sowohl unseres Ministeriums für Gesundheitswesen als auch der internationalen Organisationen anstellen. Hier lässt sich hervorheben, dass die regulierenden Normen und Anforderungen des Gesundheitsministeriums der Russischen Föderation jenen der führenden internationalen Regulierungsbehörden sehr nahekommen. Oft sind unsere Auflagen in Bezug auf einige Parameter sogar strenger als z.B. in europäischen Ländern. Wir sprechen über einen Impfstoff, der künstlich hergestellt wurde. Es gibt eine bestimmte technologische Basis, einen vorgegebenen viralen Vektor, der seit vielen Jahren erforscht und entwickelt wird.
Dessen Sicherheit wurde bewiesen und lässt sich nicht bezweifeln, denn es wurden umfangreiche klinische Studien durchgeführt, auf dieser Basis wurde eine Reihe von Impfstoffen hergestellt. Des Weiteren wird auf dieser technologischen Basis eine Konstruktion aufgebaut, die Immunantworten auslöst, die den Immunantworten auf das Coronavirus ähnlich sind. Was muss man dafür tun? Die Struktur des Virus untersuchen. Verstehen, welche Proteine die Reaktionen des Immunsystems im Organismus auslösen, und dann diese Proteine auf Adenovirus-Basis generieren. Nachdem der Impfstoff entwickelt worden war, konnte man untersuchen, auf welche Weise und wie effizient er für den Immunschutz sorgt. Also wurde die Bestätigung der Sicherheit des Impfstoffs zum ersten Teil, zum wichtigsten Teil der Forschungen. Wir haben diese Arbeit im April aufgenommen, im April begannen Tests an Labortieren. Das ist ein obligatorischer Teil aller Untersuchungen im Zusammenhang mit einem neuen Präparat. Dabei handelt es sich doch um ein neues Präparat, obwohl die Basis gut erforscht ist. Durch diese klinischen Studien sollten wir die Sicherheit des Impfstoffes beweisen, damit das Gesundheitsministerium die Anwendung dieses Impfstoffs an Menschen zulässt. Diese Arbeit wurde in kürzester Zeit durchgeführt. Aber ich möchte betonen, dass es regulierende Anforderungen gibt, die trotz der Pandemie niemand abgeschafft hat. Nach diesen Studien hat das Gesundheitsministerium die Durchführung der Studien der ersten Phase genehmigt. Das sind Untersuchungen in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit des Präparats. Im Juni haben wir angefangen, das Präparat Freiwilligen zu verabreichen.
Wie wurde es verabreicht?
Der Impfstoff wurde intramuskulär verabreicht, das ist eine standardisierte Verabreichung in den Oberarm. Also gibt es daran nichts Beängstigendes und prinzipiell Neues. Es soll betont werden, dass sich der Impfstoff in Bezug auf Verträglichkeit als sehr gut erwiesen hat. Insgesamt haben an der Studie 38 Freiwillige teilgenommen. Das sind Menschen von 18 bis 60 Jahren, die gesund sind. Die wichtigste Anforderung an sie war, dass sie keine Coronavirus-Erkrankung hinter sich haben durften. Wir haben sie in zwei Gruppen geteilt. Der ersten Gruppe von 18 Menschen wurde der Impfstoff einmal verabreicht. Sie bekamen eine Infusion, und dann wurden im Laufe eines Monats ihr Gesundheitszustand und die Entwicklung des Immunschutzes beobachtet. Der zweiten Gruppe von 20 Personen wurde der Impfstoff nach dem sogenannten Booster-System verabreicht. Was bedeutet das? Ihnen wird der Impfstoff zum ersten Mal verabreicht. Zum zweiten Mal bekommen sie den Impfstoff am 21. Tag.
Wenn sich eine Immunität bildet, wird eine Extraportion Impfstoff verabreicht, um die Antwort des Organismus zu fördern, zu intensivieren und so den Erwerb der Immunität zu steigern. Wir sollen gerade herausfinden, ob und wie effizient diese Herangehensweise ist. Aber da wir bereits Vorstudien durchgeführt hatten und da die Zeit knapp war … Wir müssen verstehen, dass solche Studien normalerweise mehrere Jahre dauern. Aber wir haben keine Zeit von mehreren Jahren, wir haben es mit einer Welle der Pandemie zu tun, die leider noch nicht ganz vorbei ist, wir sehen neue Hotspots in verschiedenen Ländern, und es besteht eine große Gefahr, denn viele Menschen sind gestorben, und weiterhin sterben viele. Deswegen ist es wichtig, ein Präparat, im gegebenen Fall einen Impfstoff, rechtzeitig herauszubringen, der vielen Leuten helfen wird, eine Infektion zu vermeiden und gesund zu bleiben.
Wie haben Sie es geschafft, in dermaßen kurzer Zeit die Formel eines Corona-Impfstoffs zu entwickeln?
Die Struktur, der Impfstoff selbst wurde im Gamaleja-Zentrum entwickelt. Auf der Basis dieser Technologie wurden bereits sechs Impfstoffe hergestellt, darunter einer gegen das Ebolafieber, gegen das Ebolavirus. Es wurde ein Impfstoff gegen MERS-CoV und andere hergestellt. Diese Impfstoffe wurden allein im Rahmen klinischer Studien insgesamt an mehr als 5.000 Patienten getestet. Es wurde bewiesen, dass sie sicher und hocheffizient sind. Sie werden jetzt in verschiedenen Ländern der Welt, nicht nur in der Russischen Föderation angewandt. Ein neuer Impfstoff … Der Besitz, das Vorhandensein einer Technologie zur Entwicklung der Impfstoffe hat es erlaubt, recht schnell, buchstäblich innerhalb von wenigen Monaten, ein neues Präparat zu entwickeln und es auf die Stufe der präklinischen Studien zu bringen.
Ich habe gerade über die technologische Basis gesprochen. Das heißt, dabei wurde derselbe adenovirale Vektor genommen, an dem Elemente konstruiert wurden, die die Struktur des Coronavirus nachbilden. Also wurden die Proteine nachgebaut, die im Coronavirus vorhanden sind und im Immunsystem des Menschen eine Antwort, also die Reaktion der Immunität auslösen. Der Impfstoff enthält praktisch keine Elemente eines lebendigen Virus, man kann unmöglich dadurch erkranken. Da ist kein Virus drin. Das ist praktisch die Grundlage der Entwicklung der Impfstoffe in der Weltgeschichte. Dann kamen inaktivierte Impfstoffe. Das heißt, man begann, das Virus abzutöten und durch Säuren, durch chemische Mittel zu neutralisieren. Das Virus wurde dadurch weniger gefährlich, löste aber die gleiche Reaktion des Immunsystems aus, man erkrankte gar nicht oder nur leicht und überstand die Haupterkrankung leicht. Rekombinante Impfstoffe sind eine modernere Technologie, die vor ein paar Jahrzehnten entstand und ziemlich gut erforscht, gut entwickelt ist. Im Prinzip, wenn man also über diese technologische Basis verfügt und versteht, was zum Träger gewählt wird, kann man einen Impfstoff praktisch gegen beliebige Erkrankung entwickeln. Die Frage ist nur, wie effizient er ist. Das lässt sich nur durch Studien feststellen, denn momentan kann man leider die Reaktion des menschlichen Organismus und des Immunsystems nicht ganz vorhersagen.
Wie stehen Sie zu den Aussagen, die im Westen oft zu vernehmen sind, dass der russische Impfstoff russischen Hackern zu verdanken sei, die Daten aus verschiedenen Quellen gewonnen hätten?
Ich möchte sagen, wenn man eine eigene Basis, eine eigene starke Schule hat, braucht man keine Hacker mehr. Wir haben eigene Möglichkeiten und eigene Materialien. Ganz im Gegenteil. Gerade wir sind es, die wir unser Know-how, unsere technologische Möglichkeiten vor "Jägern" schützen müssen. Tatsächlich gibt es viele Informationen darüber, dass Antikörper verschwinden. Andererseits wissen wir noch nicht genau, ob diese Menschen erneut infiziert werden können oder nicht und ob im Immunsystem eine unspezifische Immunabwehr oder andere Elemente bleiben. Das wird wahrscheinlich leider eine zweite Welle des Coronavirus zeigen.
Denn es gibt ab und zu Informationen über Fälle erneuter Infektionen, aber viele diese Fälle wurden bereits widerlegt. Leider kann die moderne Wissenschaft bislang diese Frage nicht zuverlässig beantworten, aber ich glaube, dass wir in den nächsten Monaten eine Antwort darauf bekommen. Vielleicht müssen wir das noch ein halbes Jahr oder ein Jahr lang beobachten. Die Immunität, die durch den Impfstoff erworben wird, wird helfen, verschiedene Krankheitsstämme zu bekämpfen. Es ist bekannt, dass bei einer Grippe … Obwohl dieses Problem seit Langem erforscht ist … Es gibt verschiedene Impfstoffe gegen Grippe. Stets wird gesagt, die Grippe mutiere ja ständig, wozu solle man sich dagegen impfen lassen? Dabei haben viele Studien gezeigt, dass Menschen, die sich impfen lassen, auf jeden Fall entweder weniger anfällig für die Ansteckung mit Stämmen sind oder die Erkrankung besser überstehen und schneller genesen. Die Reaktion der Immunität vergeht also nicht.
Geht es nur um eine Virusfamilie? Wenn es um Coronaviren geht, dann ist es eine Immunität gegen Coronaviren und gegen keine anderen mehr?
Wir sprechen über COVID-19. Und von seinen Stämmen soll die Immunität … Wir und der Entwickler hoffen, dass die Immunität tatsächlich verschiedene Virusstämme bekämpfen wird. Aber das werden wiederum die Zeit und größere Studien zeigen, die noch bevorstehen.
Was passiert mit dem Impfstoff, wenn das Virus mutiert?
Sie haben gerade über 100 Stämme gesprochen. Ja, es mutiert. Es mutiert zu verschiedenen Formen. Auf jeden Fall soll die Immunität mindestens helfen, die Erkrankung leichter zu überstehen. Wenn Menschen die Corona-Infektion leicht oder symptomlos überstehen werden, dann wird das die Behandlung wesentlich erleichtern. Worin besteht die größte Schwierigkeit? Man soll keine Masseninfektion zulassen, bei der es viele Nebenwirkungen und viele schwere Fälle gibt. Denn die Krankheit ist gerade dadurch gefährlich. Wenn es keine schweren Fälle gibt und man die Krankheit nur in leichter Form oder symptomlos übersteht, dann werden alle die Krankheit durchgemacht haben, es entsteht die Herdenimmunität, und die Krankheit verschwindet.
Russische Wissenschaftler müssen noch viele Aufgaben auf dem Weg der Anmeldung des Impfstoffes lösen. Welche Aufgaben stehen vor russischen Wissenschaftlern?
Jetzt soll eine Reihe instrumenteller Labortests durchgeführt werden, und sie werden bereits intensiv durchgeführt, um eben einzuschätzen, wie effizient der Impfstoff die Entwicklung der Immunität fördert, um deren Belastbarkeit einzuschätzen. Das bedeutet, wie effizient und schnell sich die Immunität entwickelt, wie effizient sie eine mögliche Infektion abwehren kann. Das ist der erste Teil der Studie. Unser erstes Ergebnis, zu dem wir gekommen sind, ist, dass der Impfstoff sicher und gut verträglich ist. Das wurde bereits gezeigt. Die zweite Schlussfolgerung, die noch zu ziehen ist, betrifft die potenzielle Wirksamkeit des Impfstoffes und Empfehlungen zur Anwendung in der Praxis. Das gehört zu dem Teil der Studie, die nach der Anmeldung des Präparats noch bevorsteht.
Was denken Sie, was wäre die beste Prognose, die Sie heute für den russischen Impfstoff machen können?
Die beste Prognose, das, worauf wir hoffen, ist eine recht effiziente Entwicklung der Immunität und dass diese Immunität möglichst lange anhalten wird, denn … In dieser Situation wird der Impfstoff hoffentlich recht bald in Massenproduktion gehen und helfen, die Verbreitung der Pandemie oder der Epidemie in der Russischen Föderation einzudämmen, und wird auch Menschen in anderen Ländern helfen, sich nicht mit dem Coronavirus zu infizieren und die Pandemie zu stoppen. Das größte Risiko, das wir sehen, hängt mit der Wirksamkeit des Impfstoffes zusammen, damit, wie effizient er sein wird.
Mehr zum Thema - "Verdammtes Corona" oder wie ein Virus zum Sündenbock wurde