Seit dem 16. Jahrhundert feierten russische Zaren ihre militärischen Siege auf dem Roten Platz in Moskau. Als erster Siegeszug, der die Bezeichnung "Parade" verdient hat, gilt jedoch der Zug des Zaren Peter des Großen im Oktober 1702 nach einem seiner Siege über schwedische Truppen. Zu imperialen Zeiten fanden die Militärparaden bis zu zweimal jährlich in der Hauptstadt Sankt Petersburg statt.
Die kommunistischen Führer, die Moskau wieder zur Hauptstadt machten, knüpften an diese Tradition an. Die Anlässe waren oft außerordentlich. So bleibt bis heute die sogenannte Parade "des Stahls und der Motoren" am 9. Februar 1934 anlässlich des XVII. Parteitags zahlenmäßig unübertroffen. Drei Stunden lang zogen 42.000 Soldaten und 525 Panzer über die Pflastersteine des Roten Platzes. Hiermit wollte die Partei der Welt die Resultate des fünfjährigen Modernisierungsplans der Roten Armee demonstrieren. Die Hauptparade wurde seit dem Jahr 1919 mit wenigen Ausnahmen dabei immer am Jahrestag der Oktoberrevolution am 7. November abgehalten.
Die modernen russischen Siegesparaden gehen jedoch auf jene legendäre Parade in Moskau am 24. Juni 1945 zurück, als 200 Standarten und Fahnen des besiegten nazistischen Feindes vor dem Lenin-Mausoleum zu Boden geworfen wurden. Die damalige Parade war groß angelegt und perfekt orchestriert.
Sie stand unter dem Kommando des Marschalls der Sowjetunion Konstantin Rokossowskij, Gastgeber war der stellvertretende Oberbefehlshaber Georgi Schukow. Beide ritten eindrucksvoll auf weißen Hengsten vor die versammelten Regimenter. Insgesamt passierten seinerzeit etwa 40.000 Soldaten und etwa 1.850 Militärfahrzeuge den Roten Platz. Eine geplante Schau der Luftwaffe wurde wegen des starken Regens abgesagt.
Das nächste Mal, als man den Sieg mit einem Militäraufgebot feierte, war das 20. Jubiläum des Sieges am 9. Mai 1965. Zwei Drittel der Paradeteilnehmer waren Kriegsveteranen.
Die nächste Siegesparade wurde zwanzig Jahre später, am 9. Mai 1985, abgehalten – dem 40. Jahrestag des Sieges. Neben militärischen Einheiten und moderner Militärausrüstung waren auch Kolonnen von Veteranen sowie Kampffahrzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg (T-34/85-Panzer, selbstfahrende Artillerie SU-100, BM-13 Katjuscha-Raketenwerfer) Teil der Parade. Die Soldaten – Teilnehmer des historischen Teils der Parade – waren in der historischen Uniform des Vaterländischen Krieges gekleidet. Diese Tradition setzt sich bis heute fort.
In der Parade, die fünf Jahre später, am 9. Mai 1990, stattfand, wurde ebenfalls die militärische Ausrüstung des Großen Vaterländischen Krieges verwendet. Im historischen Teil fuhr ein Traktor mit einer exakten Kopie des Denkmals des Befreiungssoldaten, das im Treptower Park in Berlin errichtet wurde, über den Roten Platz.
1995: Ewiger Ruhm
In den Neunzigerjahren stürzte Russland infolge des wirtschaftlichen Kollapses und der Auflösung der Sowjetunion in eine Dauerkrise. Land und Leute waren gedemütigt. Mit dem 50. Siegesjubiläum sollte der Stolz der Menschen auf die Heimat wieder geweckt werden.
Wir erinnern uns, welchen nicht dagewesenen Preis musste man zahlen, um die Welt vom Abgrund des Faschismus ein Stück abzubringen, sagte Präsident Boris Jelzin damals vor versammelten Gästen aus aller Welt.
UN-Generalsekretär Boutros-Ghali, US-Präsident Bill Clinton, der britische Premier John Major sowie der deutsche Kanzler Helmut Kohl und Dutzende weitere Staats- und Regierungschefs waren anwesend. Ähnlich hochkarätig besetzt war nur noch das 60. Jubiläum in zehn Jahren. Die Militärparade am Boden wurde durch eine groß angelegte Flugschau ergänzt: 79 Flugzeuge und Hubschrauber (darunter die strategischen Bomber Tu-95 und Tu-160) flogen über dem Poklonnaja-Hügel.
Am 19. Mai desselben Jahres wurde das russische Bundesgesetz "Über die Verewigung des Sieges des sowjetischen Volkes im Großen Vaterländischen Krieg 1941–1945" verabschiedet. Dem Dokument zufolge sollten die Militärparaden mit Waffen und militärischer Ausrüstung unter Verwendung von Kopien des Siegesbanners alljährlich am 9. Mai in Moskau, den Heldenstädten sowie in Städten, in denen die Hauptquartiere der Militärbezirke, Flotten, Generalarmeen und die Kaspische Flotte stationiert sind, abgehalten werden – demnach im ganzen Land.
Im Jahr 2000 wurde die Parade zum letzten Mal von Veteranen zu Fuß passiert. Im Jahr 2005, am 60. Jahrestag des Sieges, fuhren noch 4.000 von ihnen in 130 Autos im Stil der GAZ-AA-Lastwagen der 1940er-Jahre. In diesem Jahr wurde beschlossen, den Roten Platz mit speziellen Tribünen für Veteranen auszustatten. Ehemalige Wehrmachtssoldaten und die Delegation des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder waren auch eingeladen.
Im Jahr 2010 nahmen zum ersten Mal seit 1945 ausländische Militärangehörige aus 13 Ländern, darunter Großbritannien, den USA, Frankreich, Polen und den GUS-Staaten (75 Personen aus jedem Land) an der feierlichen Prozession teil. An der Parade von 2011 beteiligte sich eine Rekordzahl von Soldaten in der jüngsten Geschichte Russlands – nahezu 20.000 Menschen.
Neue Militärausrüstung
Ein wichtiges Merkmal der Paraden am 9. Mai, die seit 2008 stattfinden, ist die Durchfahrt von schwerem militärischem Gerät. Am 9. Mai 2008 begannen auch die alljährlichen Paradeflüge der Luftwaffe über den Roten Platz – damals flogen 32 Flugzeuge über die Hauptstadt. Ein Jahr später stieg die Zahl auf 69 und 2010 auf 127 Einheiten. In den Jahren 2011 und 2012 waren nur fünf Mi-8-Hubschrauber samt großer Flaggen der russischen Streitkräfte am Paradeprogramm beteiligt. In den Jahren 2013, 2014 und 2016 entsprach die Anzahl der Flugzeuge und Hubschrauber, die am Luftteil der Parade teilnahmen, dem Jahrestag des Sieges, so wird es auch in diesem Jahr sein. 2017 wurde der Luftteil der Parade in Moskau wegen schlechten Wetters abgesagt.
In den Jahren 2012 bis 2014 wurden während der Siegesparade neue Modelle bodengestützter militärischer Ausrüstung vorgeführt: Tor-M2U-Flugabwehrraketensysteme, gepanzerte Fahrzeuge vom Typhoon K-63968 und Chrysanthemum-S-Panzerabwehrraketensysteme.
Bei der Jubiläumsparade zu Ehren des 70. Jahrestages des Sieges im Jahr 2015 wurden der Öffentlichkeit zum ersten Mal neue Modelle der militärischen Ausrüstung vorgestellt: T-14-Panzer und schwere Schützenpanzer (BMP) T-15 auf der Plattform "Armata", Radpanzer VPK-7829 (Plattform "Boomerang"), BMP und gepanzertes Kettenfahrzeug auf der Plattform "Kurganets-25", amphibisches gepanzertes Fahrzeug BTR-MDM "Rakuschka", 152-mm-Haubitze mit Eigenantrieb "Coalition-SV", gepanzerte Fahrzeuge mit erhöhtem Schutz "Typhoon-U", ferngesteuerte universelle Kampfmodule "Epoch" und andere. An der Jubiläumsparade im Jahr 2015 war die größte Anzahl von Fahrzeugen beteiligt: 194 Einheiten von Rad- und Kettenfahrzeugen verschiedener Baujahre sowie 140 Flugzeuge und Hubschrauber. An der Parade im vergangenen Jahr nahmen 13.083 Personen und 132 Einheiten militärischen Geräts teil.
Vorbereitungen für die Parade 2020
Die diesjährige Parade wurde aufgrund der Quarantäne in Moskau am Tag des Sieges am 9. Mai abgesagt und auf den Jahrestag der ersten Siegesparade vor 75 Jahren am 24. Juni verschoben. Die Organisatoren versprechen eine Vielzahl an "Überraschungen". Zahlenmäßig wird die Parade jedoch im Vergleich zu den vorangegangenen Paraden nicht sonderlich herausstechen – es werden insgesamt 234 Einheiten historischer und moderner militärischer Ausrüstung – darunter 24 Neuheiten – und ca. 14.000 Soldaten teilnehmen. Russische Medien haben die neuesten Waffenmodelle hier und hier aufgelistet und dargestellt.
Soldaten aus 17 Ländern werden diesmal mitmarschieren, darunter aus der Volksrepublik China, Serbien, Mongolei, Weißrussland, Kasachstan, Armenien, Aserbaidschan, Moldawien und anderen GUS-Staaten. Und immer noch werden Veteranen auf dem Roten Platz erwartet. Insgesamt 80 Kriegsteilnehmer werden die Feierlichkeiten von der Ehrentribüne aus beobachten. Zuvor haben sie zwei Wochen in Quarantäne in Kurhäusern unter medizinischer Beobachtung verbracht.
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