Russland

Trotz vieler Infektionen: Warum gibt es in Russland so wenige Corona-Todesfälle?

Russland rangiert weltweit auf dem zweiten Platz mit der Zahl der positiv auf COVID-19 Getesteten. Die Sterberate der Erkrankten bleibt allerdings nach wie vor niedrig. Liegen dem statistische Fehler oder gar Manipulationen zugrunde?
Trotz vieler Infektionen: Warum gibt es in Russland so wenige Corona-Todesfälle?Quelle: www.globallookpress.com © Sergei Mikhailichenko

Aktuell gibt es in Russland 242.271 bestätigte COVID-19-Fälle, davon sind mittlerweile 2.212 Patienten verstorben, aber auch 43.512 wieder genesen (Stand: 13. Mai). Nur die USA haben mit mehr als 1,3 Millionen Infizierten eine höhere Zahl positiv Getesteter. Für Russland ergeben diese Zahlen eine Sterblichkeitsquote von 0,9 Prozent – das ist die niedrigste Quote unter all jenen Ländern mit mehr als 40.000 Pandemie-Fällen. Zum Vergleich: in Deutschland liegt die Sterblichkeit für Corona-Infizierte bei viereinhalb Prozent. Deutsche Medien wie der Spiegel zweifeln inzwischen bereits an, dass die russischen Behörden die Todesursachen korrekt erfassen oder berichten.

Die aktuellen Quarantäne-Regeln und Ausgangsbeschränkungen in Russland zählen vergleichsweise zu den strengsten weltweit. Laut Melita Wuinowitsch, der Vertreterin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Russland, führte das neben den begleitend getroffenen Vorbeugemaßnahmen zu diesem "guten Ergebnis". Man habe Risiko-Gruppen wie die Senioren frühzeitig isoliert und auch Massenansteckungen vermieden. Anzeichen für eine absichtliche Untertreibung der Sterblichkeitszahlen durch das russische Gesundheitssystem könne sie nicht erkennen. "Es gibt nichts Schreckliches", so kommentiert es die Expertin im Interview mit dem russischen Fernsender Rossija 24.

Auch das Gesundheitsministerium und die zuständige Aufsichtsbehörde betonen, die zu beobachtenden Zahlen spiegelten die schnelle Reaktion des Landes auf die Pandemie wider. In einer Erklärung hieß es, Russland stehe auch mit inzwischen knapp sechs Millionen Tests weltweit an zweiter Stelle hinter den USA. So könnten sowohl infizierte "Patienten mit leichtem Verlauf als auch solche ohne Symptome identifiziert und schnell isoliert werden", was die Ausbreitung des Virus in der Öffentlichkeit und bei bestimmten Risikogruppen deutlich verringert habe.

Allerdings weisen auch in Russland viele Experten auf die Unzuverlässigkeit der Erfassungsmethoden bei zu vermutenden COVID-19-Toten hin. Laut jenen von der russischen Zeitung Nowaja Gaseta zitierten Fachleuten könnte die Corona-Sterberate höher liegen. Als Prüfmöglichkeit nannte die Zeitung die sogenannte Übersterblichkeit, die in Moskau als dem Hotspot der Infektion im April bei 19 Prozent lag.

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So wurden laut dem Moskauer Standesamt im April in Moskau 11.846 Todesfälle registriert – diese Daten sind auch auf dem Portal der Moskauer Stadtverwaltung öffentlich zugänglich. Das sind 1.855 mehr Menschen als durchschnittlich in anderen Jahren üblich, was den um 19 Prozent erhöhten Anteil ergibt. Ungefähr die gleiche erhöhte Anzahl von Todesfällen wie in diesem April wurde in Moskau allerdings auch bei Ausbrüchen der "üblichen" Influenza verzeichnet: Im Dezember 2016 starben beispielsweise in Moskau 12.080 Menschen an der Grippe, im Januar 2019 waren es 12.037 Menschen.

Offiziellen Statistiken zufolge fielen in der russischen Hauptstadt im vergangenen Monat 658 Menschen einer schweren COVID-19-Erkrankung zum Opfer. Sie tragen zu der überhöhten Sterblichkeit aber nur 35,5 Prozent bei.

Im April gab es deutlich mehr Todesfälle als die gemeldeten Todesfälle durch das Coronavirus. Sie können direkte Opfer sein – also Menschen, die keinen positiven Test bekommen haben und dann gestorben sind. Andererseits können sie aber auch indirekte Opfer sein, da das gesamte Gesundheitswesen nun zur Bekämpfung der Epidemie mobilisiert wird und es für viele Menschen problematisch werden kann, für andere Krankheiten medizinische Versorgung zu erhalten oder bis auf einen Krankentransport warten zu müssen. Solche Menschen werden ebenfalls zu den nicht registrierten Corona-Todesfällen gehören", sagte Tatjana Michailowa, außerordentliche Professorin an der Russischen Akademie der Wissenschaften und des Bauwesens der Zeitung.

Dieses Phänomen tritt nicht nur in Moskau auf. Die US-Zeitung New York Times will weltweit 71.000 vermehrte Todesfälle in 17 Staaten gezählt haben, ihre entsprechende Grafik wird täglich aktualisiert. Demnach hätte Moskau für April 1.000 Fälle von Übersterblichkeit. "Es gibt jedoch in keinem Land irgendwelche völlig korrekten Schätzungen der Coronavirus-Sterblichkeit. Statistikämter auf der ganzen Welt waren nicht darauf vorbereitet, im Falle einer derartigen Pandemie zu operieren", schließt die Nowaja Gaseta.

Auch in Moskau könnte durchaus nicht eine absichtliche Manipulation von Daten, sondern eine unvollkommene Erfassungsmethodik der Grund für etwaige Differenzen sein.  

Die WHO-Vertreterin Wuinowitsch wies darauf hin, dass die WHO in einem Regelwerk die Methoden zur Erfassung von COVID-Toten für alle Länder standardisiert hat. Allerdings gilt das erst seit dem 16. April. Bis zu diesem Zeitpunkt waren weltweit aber bereits 150.000 COVID-19-Tote gezählt. In dem WHO-Dokument werden mehrere Varianten für Krankheitsverläufe modelliert, berücksichtigt werden z.B. auch die zuvor nicht positiv getesteten Verstorbenen:

Ein Tod aufgrund von COVID-19 darf nicht auf eine andere Krankheit (z.B. Krebs) zurückgeführt werden und sollte unabhängig von bereits bestehenden Erkrankungen gezählt werden, bei denen der Verdacht besteht, dass sie einen schweren Verlauf von COVID-19 auslösen.

So steht es in dem Dokument, das unter dem Titel "Internationale Richtlinien für die Zertifizierung und Klassifizierung (Codierung) von COVID-19 als Todesursache" im Internet frei zugänglich ist.

Das russische Gesundheitsministerium gab Anfang Mai bekannt, dass die Erfassung von verstorbenen Patienten mit Coronavirus von der endgültigen Diagnose und einer fallweisen Obduktion bei unklaren Fällen abhängt:

Die Statistiken enthalten alles über die endgültige Diagnose. Daheim oder in Pflegeheimen Verstorbene werden einer gerichtsmedizinischen Untersuchung unterzogen. Wenn eine Coronavirus-Infektion durch eine Autopsie diagnostiziert wird, wird sie auch [in der Mortalitätsstatistik von COVID-19] berücksichtigt, aber angesichts der Notwendigkeit einer pathologischen und histologischen Untersuchung kann sie [möglicherweise erst] zu einem späteren Zeitpunkt in die Statistik aufgenommen werden", räumt die Behörde ein.

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