von Susan Bonath
Viel und billig: Die Massen produzierenden Großkonzerne bestimmen die Marktpreise. Das gilt auch für Nahrungsmittel. Die Masse der Ärmeren ist auf billiges Essen angewiesen. Die Kleinbauern können da nicht mithalten. Auf der Strecke bleiben Umwelt- und Klimaschutz. Selten wurde der Widerspruch zwischen der geforderten Nachhaltigkeit durch regionale Bioerzeugung und dem realen profitgetriebenen sowie Armut produzierenden Kapitalismus deutlicher als beim gestrigen "Lebensmittelgipfel" im Kanzleramt.
Reaktion auf Kleinbauern-Proteste
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Bundesagrarministerin Julia Klöckner (alle CDU) hatten mit diesem Treffen auf die fortgesetzten Bauernproteste in den vergangenen Monaten reagiert. Zuletzt hatten Landwirte in der Nacht zum Montag vor Edeka-Filialen in vier bayerischen Orten demonstriert. Nach Polizeiangaben blockierten sie auch mit Traktoren die Zufahrten zu Lagerhallen. Die Wut der Kleinbauern richtete sich gegen Billigimporte und Preisdumping. Der Handel zahle zu wenig und stecke sich zu viel vom Profit in die eigenen Taschen. Das sei das Aus für immer mehr kleine Höfe.
Mit Vertretern der Discounterketten Aldi, Edeka, Rewe und der Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland), die den deutschen Lebensmittelmarkt zu mehr als 85 Prozent dominieren, sowie Verbandssprechern des Handels und der Ernährungsindustrie sprachen die Politiker über mögliche Regeln für "faire Lebensmittelpreise".
Ministerin Klöckner hatte sogar Konsequenzen für Preisdumping gefordert. Die heiße Luft verpuffte jedoch: In den Markt, der Kapitalismusgläubigen zufolge alles regelt, will man nun doch nicht konkret eingreifen. Die CDU setzt weiterhin auf das nicht Vorhandene: faire Handelsbeziehungen.
Kein "Siegel für Menschenwohl"
Den Wunsch nach einer regionalen ökologischen Ernährung und angemessenen Preisen für kleine Landwirte habe Kanzlerin Merkel in Zeiten der Klimakrise und wachsender Umweltzerstörung indes "schon oft deutlich gemacht", hatte Regierungssprecher Steffen Seibert vor dem Treffen betont.
Politiker auch außerhalb der vermeintlich grün gewordenen Union pflichteten dem bei. So verlangte etwa der SPD-Fraktionsvize im Bundestag, Matthias Miersch, gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND, Montagausgabe) ein "Ende des Preisdumpings" sowie ein "verpflichtendes Siegel für Tierwohl". Es könne nicht sein, "dass Lebensmittel immer billiger werden, während gleichzeitig Landwirte auf der Straße stehen, weil sie von ihrem Einkommen nicht mehr leben können", sagte Miersch.
Einiges an populistischer Übertreibung war allerdings dabei. Während die Einkommen im Niedriglohnsektor stagnieren und die Zahl der Armen in Deutschland wächst, steigen die Preise fürs Essen insgesamt durchaus. Laut statistischem Bundesamt kostete 2019 zum Beispiel Gemüse 6,3 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Bei Fleisch betrug der Preisanstieg demnach 3,1 Prozent.
Von einem "Siegel für Menschenwohl" oder über ein Anheben von Qualitätsstandards sprach indes keiner der besorgten Politiker, die nach höheren Preisen und besserer Tierhaltung riefen. Darunter befanden sich neben zahlreichen CDU-Amtsträgern beispielsweise Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Grünen-Chef Robert Habeck.
Wachsende Armut nicht mitgedacht
Auf günstige Lebensmittel sind indes viele Menschen angewiesen. In Deutschland lebten auch dank Niedriglohnsektor, Sozialabbau und Rentenkürzungen zuletzt rund 13 Millionen Einwohner von weniger als 60 Prozent des mittleren Erwerbseinkommens. In Zahlen ausgedrückt: Die Alleinstehenden darunter mussten mit weniger als um die 1.000 Euro über den Monat kommen.
5,5 Millionen Arme waren im Dezember 2019 auf Hartz IV angewiesen. Ihre Regelsätze sind kleinlich berechnet. Wer allein lebt, dem gesteht der Staat seit Januar rund 150 Euro fürs Essen zu. Für Kleinkinder bis zu fünf Jahren beläuft sich dieser Posten auf gerade einmal 87 Euro. Für Menschen, die Asylbewerberleistungen bekommen, liegen die Sätze sogar noch darunter. Für Bioprodukte reicht das nicht.
Monopole profitieren von den Armen
Diese inneren Widersprüche des Armut und Umweltzerstörung produzierenden Systems bedenken auch viele Umweltschützer nicht. "Wer den Liter Milch für nur 60 Cent anbietet und somit den Bauern nur 30 Cent zahlt, der ist mitverantwortlich für das Höfesterben", erklärte etwa Olaf Bandt, Vorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND), am Montag. Man müsse die großen Supermarktketten, so Bandt, gesetzlich dazu "verpflichten, Lebensmittel nicht länger zu verramschen".
Die großen Ketten von Lidl bis Edeka und multinationale Agrarkonzerne existieren jedoch nicht im luftleeren Raum, sondern in einer Wirtschaftsordnung, in der das Primat des Maximalprofits gilt und wachsende Monopole den Preiskampf um Marktmacht gewinnen.
Für letztere sind die Armen daher sogar "nützlich", wie Rewe-Chef Lionel Souque am Montag laut Spiegel-Bericht verdeutlichte. Die Discounter ermöglichten "diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung", sagte der mutmaßlich nicht arme Discounter-Chef. Das wolle man auch künftig sicherstellen, so Souque weiter. Ob dazu auch die Rewe-Kassiererinnen in Teilzeit gehören, sagte er nicht.
Markt-Primat der Maximalrendite
In diesem Sinne müssten Kleinbauern eigentlich zuerst gegen die sich verschärfende soziale Spaltung zwischen Arm und Reich kämpfen. Sie müssten sich gegen das Markt-Primat der Maximalrendite wehren. Denn das zwingt das Kapital und seine Nutznießer nicht nur zu einem steten quantitativen Wirtschaftswachstum. Es sorgt auch dafür, dass sich große, den Reichtum abschöpfende, multinationale Monopole bilden, die am Ende die Warenpreise auf dem Markt bestimmen.
Es liegt auf der Hand, dass in einer solchen Wirtschaftsordnung die Kleinunternehmer wie auch Niedriglöhner und Erwerbslose schlechte Karten haben und dass moralische Appelle den "oberen Zehntausend" maximal ein müdes Lächeln abringen dürften. Der viel gelobte Markt produziert diese Ungleichheit genauso wie die Umweltzerstörung. Abschaffen kann er beides nicht. Momentan findet lediglich ein Streit zwischen dem Groß- und dem Kleinkapital statt. Dabei geht es um Profit.
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