von Susan Bonath
Während Intensivstationen für Erwachsene seit Beginn der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" insgesamt relativ gleichbleibend belegt waren, schnellen die Zahlen schwer kranker Kinder seit Anfang September in die Höhe.
Seit etwa fünf Wochen befinden sich bundesweit durchweg mehr als 2.000 Minderjährige in intensivmedizinscher Behandlung. Das belegen die Daten des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), die der Verband in tagesaktuellen Reports herausgibt. Dieser Wert wurde in der gesamten Pandemie bisher nicht erreicht. Woran liegt das?
"Corona ist für Kinder nach wie vor nicht sonderlich gefährlich"
"Auf keinen Fall hat das etwas mit Corona zu tun", versicherte DIVI-Sprecherin Nina Meckel am Dienstag im Gespräch mit der Autorin. Aktuell befänden sich bundesweit sechs positiv getestete Kinder und Jugendliche auf Intensivstationen. "Diese leiden aber alle an weiteren schweren Erkrankungen", erklärte sie. Sie würden daher wohl eher mit als wegen COVID-19 allein behandelt.
"Wir können an dieser Stelle Entwarnung geben: Das Virus, auch die neue Variante, ist für Kinder nach wie vor nicht sonderlich gefährlich", so Meckel.
Über weitere Informationen verfüge die DIVI als Betreiberin des Registers leider nicht, sagte sie. "Ob das an vermehrt auftretenden anderen Atemwegsinfekten oder auch anderen Ursachen liegen könnte, wäre daher reine Spekulation." Allerdings blickt sie mit Sorge auf die Entwicklung. "Jedes fünfte Intensivbett auf den Kinderstationen ist derzeit gesperrt", mahnte Meckel. Das liege vor allem am Personalmangel. Diese Situation bestehe seit vielen Jahren, und dies sei der Politik bekannt.
Viele Atemwegsinfekte: Durch Maßnahmen geschwächtes Immunsystem?
In der Berliner Charité bekommt man das zu spüren. "Unsere Kinderstationen, einschließlich der Intensivstation, sind seit mehreren Wochen stark belegt", teilte Anne Rediger, Sprecherin dieser Universitätsklinik, auf Anfrage der Autorin mit. Trotz der Verschiebung von Operationen bei Kindern, die keine Notfälle sind, müsse man bereits kleine Patienten in andere Kliniken in Brandenburg verlegen.
Auch die Verlegung sei inzwischen aber schwierig. Grund sei die "allgemein angespannte Situation" in den Kinderkliniken. Zunächst bestätigte Rediger, wesentlich dafür verantwortlich seien akute Atemwegsinfektionen, etwa mit dem RS-Virus. Dies sei ungewöhnlich:
"Wir sehen das in dieser Jahreszeit sonst nicht", erläuterte sie.
In den Medien wurde darüber vielfach spekuliert. Ärzte mutmaßen demnach, einer der Gründe für das verstärkte Auftreten anderer durchaus gefährlicher viraler und bakterieller Infekte bei Kindern seien die monatelangen Abstands- und Maskenverordnungen in Schulen, um Corona-Infektionen vorzubeugen. Das Immunsystem der Kinder könnte dadurch geschwächt sein, glauben Mediziner.
Rasanter Patientenanstieg: Könnten Impfnebenwirkungen eine Rolle spielen?
Obwohl sich Mediziner recht einig sind, dass COVID-19 für Kinder und Jugendliche keine ernste Bedrohung ist, läuft bekanntermaßen derzeit die Impfkampagne für Zwölf- bis 17-Jährige auf Hochtouren. Laut Robert Koch-Institut (RKI) sollen bereits mehr als 40 Prozent der Minderjährigen in dieser Altersgruppe mindestens eine Impfung mit den Vakzinen von Pfizer/BioNTech oder Moderna erhalten haben.
Und bei objektiver Betrachtung fällt auf: Der Anstieg der Intensivfälle bei Kindern und Jugendlichen korreliert zumindest zeitlich mit der Freigabe der Vakzine für diese Altersgruppe. So gab die Europäische Kommission den Impfstoff der Konzerne Pfizer und BioNTech am 31. Mai 2021 für Zwölf- bis 17-Jährige bedingt in der EU frei. Damit konnte er in Deutschland bereits angewendet werden. Die Ständige Impfkommission (STIKO) am RKI folgte nach langem Zögern mit einer Empfehlung am 16. August.
Vor der EU-Zulassung Mitte Mai hatten laut DIVI etwas weniger als 1.900 Kinder und Jugendliche auf den Intensivstationen gelegen, einen Monat später, also 14 Tage nach Freigabe, waren es knapp vier Prozent mehr. Bis etwa Ende August hatte sich das Plus auf diesem Niveau gehalten, danach erfolgte ein neuer Anstieg.
So verzeichnete die DIVI im Register am 15. August, einen Tag vor der STIKO-Empfehlung, 1.922 intensivmedizinisch behandelte Kinder und Jugendliche. Am 31. August war die Zahl um 1,5 Prozent auf 1.951 gewachsen. Am 15. September versorgten die Kliniken bundesweit bereits 2.014 schwer kranke Kinder (plus 4,8 Prozent), am 30. September sogar 2.096 (plus neun Prozent). Seither lag das Plus gegenüber der Belegung am 15. August kontinuierlich bei sechs bis neun Prozent. Alles nur eine Folge von RS- und anderen Atemwegsviren?
PEI: Herzentzündungen und Gerinnungsstörungen auch bei Kindern
Allgemein ist inzwischen bekannt, dass insbesondere männliche Jugendliche nach der Impfung häufiger Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen bekamen. Da es sich um schwerwiegende Erkrankungen handelt, die potenziell zum Tod etwa durch Herzinfarkt führen können, ist es zumindest vorstellbar, dass vermehrt Jugendliche mit solchen Diagnosen auf den Intensivstationen liegen. Auch Blutgerinnungsstörungen wie Thrombosen, Embolien oder ein akuter Mangel an Blutplättchen werden als mögliche "sehr seltene" Nebenwirkungen bereits beschrieben.
Allein bis zum 31. August, also zwei Wochen nach der STIKO-Empfehlung, registrierte das dafür zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) 58 Meldefälle zu Minderjährigen, die unmittelbar nach der Impfung eine sogenannte Myokarditis (Herzmuskelentzündung) oder Perikarditis (Herzbeutelentzündung) erlitten hatten. Auch verstarben laut PEI bis dahin drei Kinder nach der Impfung unter anderem an Lungenblutungen und Multiorganversagen, einem Kreislaufschock oder einer Lungenembolie. Seither sind bereits mehr als eineinhalb Monate vergangen. Doch einen neueren Bericht hatte das Bundesinstitut bis Dienstag noch nicht veröffentlicht.
Aus "Datenschutzgründen": Charité will nichts zu weiteren Erkrankungen sagen
DIVI-Sprecherin Meckel sagte, in den Patientenzahlen seien auch viele Kinder unter zwölf Jahren enthalten, für die es noch kein Impfangebot gebe. Es könne daher pauschal "keinerlei Bezug zu möglichen Nebenwirkungen gezogen werden". Ohne Daten dürfte das auch gar nicht möglich sein. Über solche müsste die Charité verfügen. Aber dort will man dazu nichts sagen. Klinik-Sprecherin Rediger teilte auf Nachfrage mit:
"Nach interner Rücksprache möchten wir Sie auf die bereits getroffene Aussage, hinsichtlich des akuten anstiegs von respiratorischen Virusinfekten einschließlich RSV, hinweisen."
Über Erkrankungen der Patienten gebe man nichts bekannt, stellte sie klar und begründete dies mit "Datenschutzgründen". Deshalb gebe es auch keine Auskunft über möglicherweise gehäuft auftretende andere Krankheiten, als Atemwegsinfektionen. Das erscheint ein bisschen wie zweierlei Maß.
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