von Susan Bonath
Seit eineinhalb Jahren herrscht in den über 400 Jobcentern in Deutschland Pandemie-Betrieb. Die Pforten der meisten Einrichtungen sind dicht. Menschen in Not werden von Sicherheitsdiensten weggeschickt und an Hotline-Nummern verwiesen, die oft zu Callcentern führen. Hinein kommt nur, wer einen Termin vorzeigen kann – und soll nun auch als nicht Geimpfter einen demnächst kostenpflichtigen negativen Antigen- oder PCR-Test vorweisen. Die sogenannte 3G-Regel (geimpft, genesen oder getestet) gilt auch für die Ärmsten. Doch was geschieht mit Ungeimpften, denen das Geld für den Test fehlt und die ein Jobcenter deshalb nicht einlässt? Drohen ihnen Sanktionen wegen Terminversäumnis?
Das legt zumindest ein Schreiben aus dem Jobcenter Mittelsachsen nahe, das der Autorin vorliegt. Die Behörde lädt darin einen Leistungsbezieher zu einem Termin ein, "um mit Ihnen ihre aktuelle berufliche Situation zu besprechen". Solche "Einladungen" sind eigentlich Vorladungen, denn sie sind für Betroffene verpflichtend. Der Vorgeladene soll nicht nur das Schreiben und den Personalausweis bereithalten, um eingelassen zu werden, sondern auch entweder den Impfpass mit vermerkter COVID-19-Impfung, eine "Genesenen-Bescheinigung" oder einen "negativen Corona-Test (PCR-Test, nicht älter als 48 Stunden oder Schnelltest, nicht älter als 24 Stunden)" vorzeigen. Noch sind zumindest die Schnelltests für klinisch Gesunde kostenlos – ab 11. Oktober ist das anders.
Missverständlich ausgedrückt? Angeblich keine Sanktion bei fehlendem Test
Doch das Budget für Hartz-IV-Bezieher ist knapp bemessen. In den Regelsatz für Alleinstehende sind genau 17 Euro monatlich für Gesundheitspflege eingepreist, jeweils 15,24 Euro sind es für Partner einer Lebensgemeinschaft und 13,56 Euro für junge Erwachsene oder behinderte Menschen, die noch zu Hause bei den Eltern leben. Bereits die an vielen Orten vorgeschriebenen Masken sollen Betroffene aus diesem "Topf" finanzieren, ab Oktober zusätzlich die Tests. Wie sollen sich die Menschen das leisten?
Aus dem Einladungsschreiben geht nicht hervor, wie sich Vorgeladene verhalten sollen, die kein Geld für einen solchen Test haben. Vielmehr folgt die übliche "Rechtsfolgenbelehrung", in der auch vor Sanktionen gewarnt wird, wenn Betroffene "ohne wichtige Begründung" dem Termin fernbleiben. Fehlendes Geld für einen Test wird zumindest im vorliegenden Schreiben nicht als möglicher Grund genannt.
Kann das Jobcenter also Leistungsbezieher ohne Test sanktionieren? Das Schreiben suggeriert das jedenfalls – angeblich aber zu Unrecht. Auf Nachfragen bei den zuständigen Behörden reagierte zunächst Christian Weinert, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit (BA). Für die Jobcenter könne er zwar nichts sagen, weil diese in Eigenregie handelten. Aber die Arbeitsagenturen würden Bezieher von Arbeitslosengeld-I auch ohne Test beraten. "Dafür gibt es spezielle Räume mit besonderen Schutzvorkehrungen", erläuterte er im Gespräch mit der Autorin. Weinert gehe davon aus, dass die Jobcenter dies ähnlich handhaben.
Besondere Auflagen für Ungeimpfte und Ungetestete
Das Jobcenter Mittelsachsen, das keinen Ansprechpartner für Journalisten ausweist, reagierte zunächst nicht auf eine E-Mail-Anfrage der Autorin. Auf Vermittlung des BA-Sprechers Weinert meldete sich schließlich ein leitender Angestellter aus der Behörde im Kreis Mittelsachsen. Auch er versicherte: "Wenn da jemand eingeladen wurde und keinen Test vorweisen kann, wird er nicht weggeschickt und auch nicht sanktioniert." Vielmehr gelte auch in Mittelsachsen: Ungeimpfte und Ungetestete würden in speziellen Räumen mit strengen Hygieneauflagen beraten, "um niemanden zu gefährden".
Dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zufolge würden Leistungsberechtigte "auf alle Möglichkeiten des Zugangs hingewiesen (auch ohne 3G)". Sie würden lediglich gebeten, mitzuteilen, ob sie die 3G-Kriterien erfüllen, erklärte BMAS-Sprecherin Maja Winter auf Anfrage der Autorin. Wer dies nicht möchte oder könne, werde unter besonderen Hygienestandards dennoch beraten. Angeblich ist sogar die Vorlage von Impfausweisen, Genesenen-Bescheinigungen oder Testergebnissen freiwillig. Für Mittelsachsen gelte: "Soweit der Einladungstext missverständlich war, ist eine Überarbeitung veranlasst", so Winter.
An anderer Stelle schränkt die BMAS-Sprecherin ihre vorherigen Ausführungen allerdings etwas ein. Leistungsbezieher könnten Termine ohne kostenpflichtigen Test wahrnehmen, "es sei denn, eine entsprechende infektionsschutzrechtliche Regelung sieht etwas anderes vor". Jedoch dürften die Kosten für verpflichtende Tests dann nicht auf die Betroffenen abgewälzt werden, übernehmen müsse diese dann das Jobcenter, versicherte Winter.
Zunehmender Druck, weitere Repressionen?
Derweil wird an vielen Stellen zunehmend Druck aufgebaut, um Menschen zum Impfen zu drängen. Auch Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren, die nicht geimpft sind, sollen ab Ende November tief für Tests in die Tasche greifen, um beispielsweise ins Kino oder Schwimmbad zu dürfen. Studierenden könnte ab 11. Oktober der Zutritt zur Universität, also zu ihrem Studium, verweigert werden, wenn sie sich nicht impfen lassen und das Geld für teure Tests nicht haben. Hochschülern aus ärmeren Elternhäusern bliebe dann wohl nur noch die Wahl zwischen Impfung oder Abbruch ihres Studiums.
Die Bundesregierung setzt spürbar zunehmend auf existenzielle Druckmittel. Die Wirkung ist jetzt schon absehbar: Wohlhabende werden sich freitesten können, Ärmere nicht. Die Frage danach, wie weit die Politik diese Spirale weiter eskalieren wird, werden wohl erst die kommenden Wochen und Monate beantworten.
Denkbar ist es durchaus, dass immer mehr Unternehmen keine Ungeimpften mehr einstellen, oder ihnen die Kündigung überreichen. Arbeitsagenturen und Jobcenter könnten in absehbarer Zukunft dazu übergehen, Erwerbslosen die Leistungen zu verweigern oder zu sanktionieren, wenn diese wegen ihres Impfstatus keine Arbeitsstelle ergattern oder entlassen werden. Und Eltern könnten verpflichtet werden, fortgesetzt hohe Kosten für Tests zu tragen, damit ihre nicht geimpften Kinder ihrer Schulpflicht nachkommen oder weiterführende Schulen besuchen können. Und vermutlich werden Regierende und Leitmedien dann immer noch behaupten, es gebe keine Impfpflicht.
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