von Susan Bonath
In manchen Ländern mit hoher Impfquote explodieren die Corona-Fallzahlen. Geimpfte können krank werden, in die Klinik kommen und das Virus weitergeben. Nie zuvor wurden bei Arzneimitteln so viele Nebenwirkungen gemeldet wie bei den bedingt zugelassenen Corona-Vakzinen. Das Argument, wonach sich auch junge Menschen aus Solidarität mit Risikogruppen spritzen lassen sollen, wankt. In Deutschland kommt die Impfbereitschaft bei nun 62 Prozent der Bevölkerung mit mindestens einer Erstdosis ins Stocken. Da müssen monetäre Anreize her, dachte sich die Düsseldorfer Wirtschaftsberatungsfirma DICE Consult: An der dortigen Heinrich-Heine-Universität (HHU) lockt sie Studierende mit Geld. Wer sich bis zum Beginn des Wintersemesters im Oktober vollständig impfen lässt, kann 500 Euro gewinnen, verspricht sie. Angeblich haben sich schon 1.500 Probanden für die "Impflotterie" angemeldet.
Finanzielle Anreize seien "Ökonomie in der Praxis"
Gesundheitsschutz und Solidarität sind somit nicht die Hauptargumente der HHU für die Kampagne. Auf Facebook wirbt sie seit Ende Juli mit einer "Impflotterie für mehr Präsenz". Die Universität schreibt: "Je mehr Studierende geimpft sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Studienbetrieb im Hörsaal wieder möglich wird." Deshalb unterstütze die HHU die Initiative ihrer eigenen Ausgründung DICE Consult und ihres Wirtschaftsprofessors Justus Haucap, "zehn impfwilligen Studierenden jeweils 500 Euro im Rahmen einer HHU-Impflotterie in Aussicht zu stellen".
Demnach sagte Lotterie-Leiter Haucap, Grund für das "Event" sei, dass man im Wintersemester möglichst viele Studenten wiedersehen wolle. Die Impfung trage entscheidend dazu bei. "Daher haben wir die Impflotterie ins Leben gerufen, um weitere Anreize zu setzen." Dies sei "Ökonomie in der Praxis".
Auf seiner Internetseite gibt sich das Unternehmen DICE Consult als verlängerter Arm der bundesdeutschen Politik. Die Bundesregierung mache das Impfangebot, heißt es dort, und "wir fördern die Nachfrage". "In der Ökonomie spricht man hier auch vom sogenannten Nudging", räumen die Akteure freimütig ein. "Nudging", zu Deutsch "schubsen" oder "anstupsen", ist ein Begriff aus der Verhaltensforschung im Bereich der Wirtschaft. Es werden Werbe- und Kommunikationsstrategien entwickelt, um Menschen beispielsweise dazu zu bringen, bestimmte Produkte zu kaufen oder Angebote in Anspruch zu nehmen. Finanzielle Anreize gehören eigentlich nicht dazu.
Forscher: Mehr Impfmotivation durch Geldgeschenke
Soziologen, Psychologen und Politikökonomen erforschen gruppendynamisches Verhalten von Menschen seit langem. Auch Strategien, mit denen Menschen zu Corona-Impfungen bewegt werden sollen, wurden längst erarbeitet. So berichtete beispielsweise kürzlich die Wirtschaftswoche (WiWo) unter anderem über die Studien von Nora Szech. Die Jung-Ökonomin mit einem Lehrstuhl am Karlsruher Institut für Technologie forschte demnach intensiv nach Möglichkeiten, die Impfmotivation in der Bevölkerung zu steigern.
Dabei habe Szech herausgefunden, dass kleine Geldbeträge als Anreiz viele Menschen eher skeptischer machen. Allerdings: "Wenn dreistellige Beträge im Spiel sind, zeichnet sich ein sehr robuster Anstieg der Impfbereitschaft ab", zitierte das Blatt die Wissenschaftlerin. So seien bei einem Impfbonus von 100 Euro etwa 80 Prozent für die Spritze bereit. Gebe es 500 Euro, könne man damit laut Szech sogar "annähernd 90 Prozent" erreichen. Offenbar hat HHU-Tombola-Chef Haucap ihre Studien gelesen. Gegenüber der WiWo erklärte er, es hätten sich bereits 1.500 Studenten für die Teilnahme an der Lotterie eingetragen.
Unter anderem auf finanzielle Anreize fürs Impfen gegen COVID-19 setzen auch Verhaltensforscher der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin. In ihrer im Frühjahr 2021 veröffentlichten Studie plädierten sie unter anderem für Impfzugaben ab 50 Euro. Besonders ärmere Menschen würden dann impfwilliger, während ältere Menschen eher von Hausärzten und jüngere durch die Rückgabe von Grundrechten motiviert werden könnten. RT DE berichtete bereits im Mai über diese Studie.
"Impfpartys" mit Gratis-Bratwurst, Bier und Gutscheinen
Auf "Nudging plus" setzen mittlerweile Impfkampagnen-Strategen in ganz Deutschland. In Bayern beschenkte man beispielsweise frisch Geimpfte mit Bratwurst, Bier, Eis oder Freibadbesuchen. Bei Impfaktionen in Einkaufszentren gab es Gutscheine für spontan Entschlossene. Impfteams schlugen bei Fußballspielen und vor Moscheen auf.
In Thüringen löste laut Bild ein sogenanntes "Bratwurst-Impfen" angeblich einen Ansturm im Impfzentrum aus. Auf Gegrillltes setzte man auch im sächsischen Erzgebirge. In Sachen Impfanreizen entstehen dabei wundersame Koalitionen. So plädiert derweil CSU-Politiker Alexander Dobrindt für Impfstationen in Flughäfen, Linksfraktionschef Dietmar Bartsch spricht sich für 50-Euro-Gutscheine für Impflinge aus, wie t-online am Freitag berichtete.
Forscher Justus Haucap bleibt hingegen bei seinen monetären Anreizen. Der WiWo sagte er, Geld ziehe bei Studenten wohl am besten. Denn: "Viele sind ja im Studium doch eher knapp bei Kasse", so Haucap. Mit seiner Impftombola würde er am liebsten expandieren. So warb er in dem Blatt: "Wir würden uns freuen, wenn sich andere Universitäten oder auch Unternehmen etwas Ähnliches überlegen, um das Impftempo voranzutreiben."
"Ethisch bedenklich, aber wohl rechtliche Grauzone"
Doch wie ist das eigentlich rechtlich? Dürfen Politiker und Unternehmen überhaupt mit Geld und anderen Beigaben Menschen zum Konsum von Arzneimitteln animieren? "Das ist mindestens ethisch sehr bedenklich", sagte Christopher Brückner im Gespräch mit der Autorin unter Verweis auf den sogenannten Nürnberger Kodex. Als Pharmazeut und Patentanwalt hat er viel mit Arzneimitteln zu tun. Brückner glaubt, dass "viele Menschen in Bezug auf die COVID-19-Impfungen nicht adäquat aufgeklärt werden".
Rechtlich könnte es sich hier jedoch um eine Grauzone handeln, mahnte der Anwalt. Jedenfalls dann, wenn die Akteure, die Geld und anderes verteilten, selbst keinen Gewinn mit dem Impfen selbst oder durch den Verkauf dieser Mittel machen. Sie seien sozusagen Drittakteure, die sich daran beteiligten, eine politische Kampagne zu befeuern. "Politisch wird ja ein ungeheurer Druck aufgebaut, sich impfen zu lassen; und Aktionen wie die Impflotterie passen wunderbar da hinein", konstatierte Brückner.
Fragen wirft auch das Heilmittelwerbegesetz (HWG) auf. Wie der Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Evgeny Pustovalov, auf seiner Internetseite erklärt, ist es "grundsätzlich unzulässig, zum Zwecke der Bewerbung von Arzneimitteln Zuwendungen oder sonstige Werbegaben anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren". Diese Regelung solle vermeiden, sachfremde Anreize für den Erwerb und Konsum selbiger zu schaffen. Ausnahmen seien lediglich kleine Beigaben, wie etwa eine Kundenzeitung von geringfügigem Wert.
Universität begrüßt Impftombola bedenkenlos
Brückner kritisiert vor allem "den mutmaßlichen Versuch einer Manipulation". Schließlich gehe es um einen Eingriff in den eigenen Körper bei gesunden Menschen. Für die HHU spielt das aber keine Rolle. Danach von der Autorin befragt, erklärte Universitätssprecher Achim Zolke am Freitag, die HHU halte die "in Deutschland zugelassene und von der Ständigen Impfkommission empfohlene Schutzimpfung grundsätzlich für begrüßens- und erstrebenswertswert". Daher unterstütze die Einrichtung "ausdrücklich" die Initiative des privaten Düsseldorfer Unternehmens, dort für selbige zu werben.
Aller Nachrichten und Analysen, die anderes vermuten lassen, zum Trotz glaubt man an der Universität der gängigen Erzählung, wonach die Corona-Impfung vor schweren Krankheitsverläufen schütze und die Viruslast stark reduziere. Letzterem widerspricht zwar unter anderem eine Studie aus Massachusetts in den USA, in der die Autoren feststellten, dass Geimpfte das Virus in gleichem Maße wie Ungeimpfte übertrugen. Darauf ging Zolke aber nicht ein, ebenso wenig auf die seit langem bekannte Tatsache, dass junge Menschen kaum schwer an COVID-19 erkranken. Man erachte "eine Impfung möglichst vieler Studierender im Sinne der Präsenzlehre als Vorteil", so Zolke. Nutzen-Risiko-Abwägung gibt es keine, Nudging-Experte Haucap kann loslegen.
RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
Mehr zum Thema - 54 Prozent der Ungeimpften wollen keine Impfung – Lauterbach rechnet für sie mit Einschränkungen