von Nebojsa Malic
Werbeanzeigen für die Konzerttournee des Solokünstlers Roger Waters wurden von den Internetauftritten des großen US-Baseballverbandes Major-League-Baseball (MLB) wieder heruntergenommen. Anlass war ein wütender Beschwerdebrief der jüdischen Organisation B'nai Brith, der im vergangenen Monat bei der MLB einging. Gegenstand waren gewisse Ansichten Waters, die er im Rahmen seines politischen Aktivismus vertritt.
Der ehemalige Pink-Floyd-Gitarrist sei ein "Individuum mit einer alarmierenden Vergangenheit von antisemitischem Hass" und seine Ansichten über Israel "gehen weit über die Grenzen des zivilen Diskurses hinaus", hieß es in dem Brief. Die MLB antwortete zunächst privat und kündigte dann am Samstag an, dass "keine weiteren Anzeigen geplant sind".
Erstaunlich! Es ist also in Ordnung, dass die pro-israelische Lobby für einen Boykott der völlig legalen Auftritte von Roger Waters kämpft, aber nicht, dass Roger Waters für einen Boykott von Waren aus illegalen Siedlungen im Westjordanland kämpft. Heuchler! #BDS https://twitter.com/swilkinsonbc/s
Was Waters bei der MLB zum Verhängnis wurde, war seine Unterstützung der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionskampagne (BDS) gegen Israel. Diese pro-palästinensische Bewegung wurde nach dem Vorbild der Kampagne gegen die Apartheid in Südafrika ins Leben gerufen, die im Jahr 1994 eine Mehrheitsregierung in diesem Land an die Macht brachte. Die israelischen Behörden erklärten, das wahre Ziel der BDS bestehe darin, Israel zu delegitimieren und von der Landkarte zu tilgen.
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Nichts davon hat auch nur irgendetwas mit Baseball zu tun – auch nicht mit der beworbenen "This is Not a Drill"-Tour von Waters, denn sie dreht sich um die Botschaft, dass "wir die Art und Weise, wie wir uns als Menschheit organisieren, ändern müssen – oder sterben werden".
Die USA sind jedoch zu einem wichtigen Schlachtfeld zwischen den beiden Seiten im Kampf der BDS geworden. So erließen 27 US-Bundesstaaten Gesetze, nach denen jedem, der sich auf einen Boykott Israels einlässt, Staatsaufträge zu verweigern seien. Mehr noch: Die ehemalige RT-Moderatorin Abby Martin, die kürzlich einen Israel gegenüber sehr kritischen Dokumentarfilm über den Gazastreifen produzierte, hatte kürzlich im US-Bundesstaat Georgia mit diesem Gesetz zu kämpfen, da sie bei einer Konferenz zur Medienkompetenz nicht vorsprechen durfte. Martin kommentierte dies wie folgt:
Diese Zensur meiner Redefreiheit, die auf der erzwungenen Einhaltung der Anti-BDS-Gesetze in Georgia beruht, ist nur eine Ebene einer landesweiten Kampagne zum Schutz Israels vor dem Druck der Massen. Wir müssen uns diesen Bestrebungen entschieden entgegenstellen und dürfen uns vor diesen eklatanten Verletzungen der Redefreiheit nicht wegducken.
Martin kündigte am Montag an, dass sie mit Unterstützung des Council on American-Islamic Relations (CAIR), einer muslimischen Interessengruppe, den US-Bundesstaat Georgia wegen Verstößen gegen den Ersten Verfassungszusatz – den Teil der US-Verfassung, der Einschränkungen der Redefreiheit verbietet – verklagen wird.
Der Vorwurf des Antisemitismus wurde auch als politische Waffe zur Beeinflussung der Europawahlen eingesetzt. Im Vorfeld der britischen Parlamentswahlen 2019 wurden die Labour-Partei und ihr Vorsitzender Jeremy Corbyn aufgrund ihrer Kritik an bestimmten Auswüchsen der israelischen Politik mit einem Ansturm von Antisemitismusvorwürfen konfrontiert.
Obwohl es unmöglich ist, genau abzuschätzen, wie sehr diese Hetzkampagne die Wahl beeinflussen konnte, wiesen viele politische Analytiker später darauf hin, dass sie einer der Faktoren war, die zur niederschmetternden Niederlage der Labour-Partei beitrugen, infolge derer auch Corbyn selbst seinen Sitz im Parlament verlor.
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Als der slowenische Philosoph Slavoj Žižek seine Stimme zur Verteidigung Corbyns erhob, wurde auch er über den gleichen Kamm geschoren. Dabei lag der Fokus der Kritik an Žižeks Wortwahl.
Im Moment ist der Vorwurf eines angeblichen "Antisemitismus" die politische und soziale Entsprechung einer Atomwaffe. Das macht seine so ungehemmte Anwendung, um jegliche Kritik gegen Israel zu unterbinden, so problematisch – ähnlich wie beim Ausdruck "Rassismus" kann übermäßige Anwendung dazu führen, dass die beiden Argumente ihre ganze Wirkungsmacht gegen echte Rassisten und Antisemiten verlieren. Jetzt funktioniert beides noch, und wird auch noch eine Weile funktionieren – bis es eines Tages eben nicht mehr funktioniert. Die Menschen können nur eine gewisse Zeitlang der offensichtlichen Übertreibung ausgesetzt werden, bevor sie sich daran gewöhnt haben und gleichgültig geworden sind. Nicht jede Israelkritik ist mit einer Wiederkehr des Holocaust gleichzusetzen, und derartige Argumente entweihen zum Beispiel das Andenken an die Opfer dieser schrecklichen Ereignisse – und zwar auf eine schäbige Weise.
Das Schlimmste dabei ist: sich dieses Arguments zu bedienen, nur um jemanden mundtot zu machen – so hasserfüllt man dessen Aussagen auch finden mag – schürt in Wirklichkeit genau jene Vorurteile, die von echten Antisemiten über eine angebliche "jüdische Kontrolle" über die Medien und die Politik verbreitet werden. Letztendlich kann das Argument des Zwangs und des Verbots niemals wirklich die Kraft echter Argumente ersetzen – auch gegen Krankheitserreger ist Sonnenlicht normalerweise das beste Desinfektionsmittel.
Übersetzt aus dem Englischen.
Nebojsa Malic
ist ein serbisch-US-amerikanischer Journalist, Blogger und Übersetzer, der in den Jahren 2000 bis 2015 eine regelmäßige Kolumne für Antiwar.com schrieb und jetzt als leitender Autor bei RT International tätig ist. Folgen Sie ihm auf Twitter @NebojsaMalic
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