von Rainer Rupp
Die Vereinigten Staaten und die Taliban haben nach ihren intensiven Friedensverhandlungen in Doha, Katar, unerwartet große Fortschritte gemacht. Beide Seiten scheinen erfreut über das Ergebnis der Gespräche zu sein, obwohl Berichten zufolge die Taliban in diesen Gesprächen gegenüber Washington eindeutig die Oberhand gehabt hätten.
Noch jüngst waren die Taliban fest entschlossen, bis zur vollständigen Niederlage und Vertreibung der Amerikaner aus Afghanistan zu kämpfen. Aber jetzt kommen sie anscheinend auch ohne solchen Endkampf an ihr Ziel. Es sieht nämlich ganz danach aus, als könnten sie ihren Anhängern schon bald triumphierend verkünden, dass sie nach der ersten Supermacht UdSSR nun auch die einzig verbliebene Supermacht USA de facto besiegt und aus ihrem Land vertrieben haben.
Seit nunmehr 18 Jahre haben die USA in diesem Land am Hindukusch Krieg geführt. Schon lange vor dem Abzug der Sowjetunion war Afghanistan in früheren Jahrhunderten zum Grab von Expeditionsarmeen damaliger Supermächte geworden war, z.B. zu Zeiten weltumspannenden Macht der Briten. Aber auch Begehrlichkeiten indischer Eroberer endeten schon an den Bergen, die seither ihren Namen Hindukusch tragen, was so viel bedeutet wie "Killer der Hindus". Und die Ohrensessel-Krieger im US-Kongress können sich mit ihrer Niederlage vielleicht besser anfreunden, wenn man sie daran erinnert, dass selbst der mazedonische "Welteneroberer" Alexander nicht mehr lebend aus Afghanistan zurückkam. Die Spuren seiner ansonsten als unbesiegbar geltenden Armee haben sich in den unwegsamen Bergen und Schluchten dieses Landes verloren.
Über 16 lange Jahre haben die US-Präsidenten George W. Bush und Barack Obama ihren Generälen geglaubt, dass der Sieg schn greifbar nahe sei, nur noch ein paar Monate länger durchhalten, noch etwas mehr Bombardierungen oder eine etwas abgewandelte Strategie. Das änderte sich erst vor zwei Jahren, als ein ganz anders gestrickter Präsident ins Weiße Haus einzog. Ein Kernelement seines Wahlversprechens "Macht Amerika wieder großartig" war es, die Vereinigten Staaten aus dem Morast der endlosen "Kriege gegen den Terror" zu ziehen und die Soldaten - gegen den nachhaltigen Widerstand in den eigenen politischen Reihen - wieder zurück nach Hause zu holen.
Mit der Wahl Donald Trumps 2016 hat sich in den USA manches dramatisch verändert. Niemand im Establishment hatte mit dem Sieg Trumps gerechnet, der dann fast alle Aspekte der amerikanischen Gesellschaft erschüttert hat, je nach Standpunkt zum Besseren oder Schlechteren. Das gilt vor allem auch für die Außenpolitik des Landes und auch speziell für Afghanistan. Für die ehemaligen Präsidenten Bush und Obama wäre eine Niederlage in Afghanistan allein aus Gründen des politischen Prestiges nicht in Frage gekommen. Dabei spielte es keine Rolle, dass von Jahr zu Jahr deutlicher geworden war, dass die vollmundigen Versprechungen vom Aufbau einer Demokratie oder vom Schutz der Rechte der Frauen bestenfalls naive Tagträume waren. Deren Propagandawirkung sollte jedoch mit Sicherheit von den knallharten geostrategischen Zielen ablenken, weshalb die USA ursprünglich über Afghanistan hergefallen waren. Aber diesen Ballast trug Trump mit sich herum. Er hatte einen ganz anderen Blick auf die Dinge, so auch auf Afghanistan, was dem so genannten "Tiefen Staat" in Washington zutiefst missfiel.
Für Trump ist der "Erfolg" in Afghanistan anders definiert. Für ihn bedeutet Erfolg, wenn er Amerika aus den Kriegen im Ausland abziehen und aus internationalen Verträgen, Organisationen und anderen globalen Verpflichtungen zurückziehen kann. Er hat sogar Überlegungen angestellt, wie er die USA aus der NATO herauslösen könnte.
Aus der Perspektive des Geschäftsmanns Trump ist es sehr sinnvoll, wenn sich die USA aus Afghanistan zurückziehen, um einen Krieg zu beenden, der Amerika bereits mehr als eine Billion Dollar gekostet hat und der mit jedem weiteren Tag mehr Leben und Ressourcen verschlingt und der einfach nicht zu gewinnen ist. Das ist auch der Grund, warum die Taliban bei den laufenden Friedensverhandlungen in Katar einen so großen Vorteil gegenüber den USA haben. Trump will raus aus Afghanistan, möglichst ohne großen Gesichtsverlust und deshalb stellt die amerikanische Seite auch nur wenige Forderungen an die Taliban.
Berichten zufolge ist alles, was Washington von den Taliban haben will, die Zusicherung, dass Terrorgruppen in Zukunft Afghanistan nicht als Basis benutzen werden, um Angriffe auf die Vereinigten Staaten und andere Länder durchzuführen. Damit kann Trump vor dem Publikum zu Hause triumphierend "mission accomplished" feiern, weil er Amerika dann noch ein Stück sicherer gemacht hätte.
Damit aber reißt Trump der afghanischen Marionettenregierung und ihren Institutionen und Sicherheitsorganen, die all die Jahre am Tropf Washingtons gehangen haben, den Teppich unter den Füssen weg. Sie hängen in der Luft, ähnlich wie seinerzeit die südvietnamesische Regierung nach dem tatsächlich fluchtartigen Rückzug der Amerikaner. Ähnlich begrenzt werden auch in Afghanistan die Überlebenschancen dieser Installationen sein.
Afghanistan ist - trotz mehrerer so genannter Wahlrunden - nie zu einem funktionierenden demokratischen Staat geworden. Weder sind starke politische Parteien hervorgetreten noch haben die korrupte afghanische Nationalarmee und die nicht weniger korrupte afghanische Nationalpolizei auch nur im Entferntesten die "hervorragenden Leistungen" erreicht, welche die käuflichen Medienmäuler der Westpropaganda ihnen zugeschrieben haben.
Die von den USA in Katar für ihren Rückzug an die Taliban herangetragenen Vorbedingungen als minimale Forderungen zeigen, dass Amerika nach seinem Abzug keinerlei weitere Verpflichtungen für die Zukunft Afghanistans eingehen will. Das bedeutet für die Bevölkerung in Afghanistan allerdings, dass der Krieg für sie längst nicht zu Ende sein wird. Wahrscheinlich werden sich - wie nach dem Abzug der Sowjets seinerzeit - die inneren Kämpfe zu einem Crescendo steigern, bevor sie dann auf Grund ausbleibender Einmischung von außen und fehlendem Nachschub von Geld und Waffen in sich zusammenbrechen. Danach werden die Taliban wahrscheinlich den größten Teil des Landes regieren. Und einige mächtige Kriegsherren werden sich in dem ethnisch stark zersplitterten Land im Schutz ihrer Stammesgesellschaften noch eine Weile behaupten können.
Für Kollaborateure, die mit den US-amerikanischen oder den anderen westlichen Besatzungstruppen zusammengearbeitet haben, wird in diesem neuerlich alten Afghanistan kein Platz mehr sein. Dort zu bleiben, käme für sie einem grausamen Selbstmord gleich. Aber auch säkulare, westlich aufgeklärte, liberale oder auch progressive Menschen werden unter der Herrschaft der Taliban ebenso wie unter der von islamistischen Kriegsherren ständig um ihr Leben fürchten müssen. Eine neue Flüchtlingswelle wird die logische Folge sein, die auch Teile der breiten Bevölkerung mitreißen wird, allein schon wegen der zu erwartenden, noch chaotischeren Zustände als bisher. Eine dann auch ziemlich sicher herrschende Mangelversorgung an allen lebensnotwendigen Gütern wird zumindest in der Übergangsperiode, womöglich mehrere Jahre dauern.
Vor diesem Hintergrund ist es an der Zeit, dass wir uns in Deutschland dringend die Frage stellen, wann endlich die Krieger der Bundeswehr aufhören, "am Hindukusch die Sicherheit Deutschlands zu verteidigen". Damit hatte ja einst ein SPD-Minister die untertänigste Endsendung deutscher Hilfstruppen fürs das imperiale US-Militär nach Afghanistan einst gerechtfertigt. Damit steht für alle gut sichtbar auch die schäbige deutsche Vasallen-Politik immer neuer Bundesregierungen vor dem wohlverdienten Scherbenhaufen.
Viele Dutzende von toten, Hunderte von physisch schwer verwundeten und Tausende von psychisch verkrüppelten deutschen Soldaten wurden grundlos auf dem Altar der "uneingeschränkten Solidarität" mit dem völkerrechtswidrigen US-Aggressor geopfert. Es wäre an der Zeit, die dafür Verantwortlichen in Berlin endlich zur Verantwortung zu ziehen.
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