von Pierre Lévy
Am 23. Juli stimmte die französische Nationalversammlung für die Ratifizierung des im Oktober 2016 zwischen Kanada und der Europäischen Union unterzeichneten Freihandelsabkommen (CETA). Die Abstimmung fiel knapper als erwartet aus: Die Opposition, sowohl von rechts als auch von links, lehnte den Text weitgehend ab. Und selbst unter der Mehrheit der Emmanuel Macron treuen Abgeordneten enthielten sich etwa 50, etwa zehn stimmten sogar dagegen.
Der Senat hat sich noch nicht geäußert, aber es ist nicht sicher, ob der Vertrag Zustimmung findet. Das letzte Wort hat jedoch die Nationalversammlung. Generell muss CETA von den Parlamenten aller Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, damit es in vollem Umfang in Kraft treten kann. Es stimmt, laut einer subtilen Klausel kann es vor dieser Ratifizierung angewendet werden (wenn es um die Interessen der großen europäischen Konzerne geht, wird die "Rechtsstaatlichkeit" immer entsprechend angepasst). Tatsächlich wird CETA bereits seit September 2017 vorübergehend durchgeführt.
Sollte sich jedoch ein nationales Parlament querstellen, würde der gesamte Vertrag und damit die zehnjährigen Verhandlungen zwischen Ottawa und der Europäischen Kommission scheitern. Es sei nämlich daran erinnert, dass Letztere über ausschließliche Befugnisse für Handelsverhandlungen zwischen der EU und Drittländern verfügt. Die Mitgliedsstaaten dürfen die Genehmigung erst am Ende des Prozesses erteilen.
Oder ablehnen. Dieses "Risiko" besteht nun für die europäische Oligarchie. In diesem Zusammenhang könnte man sich darüber freuen, dass die französischen Abgeordneten nur mit knapper Mehrheit abgestimmt haben, was vielleicht Probleme in anderen Ländern ankündigt.
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Leider aber nutzten viele Parlamentarier, sowohl von rechts als auch von links, sekundäre oder sogar fragwürdige Argumente und vermieden so, die Debatte auf das Wesentliche zu konzentrieren. Während berechtigterweise Bedrohungen für einige Landwirte (z. B. Viehzüchter) durch die Gefahr des Preisverfalls angesprochen wurden, sind es vor allem Umweltargumente, die vorgebracht wurden.
Das Abkommen sei "schlecht" ausgehandelt worden, argumentierten viele, es gebe keine Garantien und Schutzmaßnahmen für die Umwelt. Das ist jedoch nicht die wesentliche Frage. Das Prinzip an sich ist schädlich, da es auf dem erklärten Wunsch basiert, den Freihandel zu fördern.
Natürlich ist es nicht falsch, dass Länder miteinander Handel treiben. Aber der Freihandel tendiert zu etwas anderem: zur Freizügigkeit – d.h. ohne Zölle, Steuern, Kontrollen, Beschränkungen – von Waren und Dienstleistungen sowie von Kapital und Arbeit. Diese vierfache "Freiheit", die von Anfang an in den EU-Verträgen verankert war, ist das Wesen der Globalisierung.
Zwar mangelt es nicht an Berichten, die "beweisen", die Liberalisierung des Handels werde viele Tausende von Arbeitsplätzen schaffen (niemand hat je die Details der Berechnungen gesehen). In Wirklichkeit ist diese Liberalisierung der Treibstoff für große Unternehmen und multinationale Konzerne, und sie geht naturgemäß zulasten der Lohnabhängigen und Völker.
Es gibt zwei wesentliche Gründe für die inhärente Schädlichkeit des Freihandels. Der erste kann in einem Wort zusammengefasst werden: Abhängigkeit. Mit der allmählichen Beseitigung von Handelshemmnissen haben Auslagerungen und Standortverlagerungen zugenommen – insbesondere der "Lohnkosten" wegen. Andererseits sind die am wenigsten entwickelten Länder nach wie vor von der Technologie und dem guten Willen westlicher Konzerne abhängig.
Zudem werden die Wertschöpfungsketten zunehmend miteinander verflochten. Und wenn ein Land beschließt, das Spiel aufzugeben, um wieder mehr Unabhängigkeit zu gewinnen, können ganze Wirtschaftssektoren destabilisiert werden. Das ist eines der Argumente der Brexit-Gegner: Die großen Automobilkonzerne riskieren große Verluste, wenn die Praxis der "Just-in-time-Produktion" durch Grenzkontrollen in Frage gestellt wird.
Ein weiteres nicht hinreichend bekanntes Beispiel ist die Pharmaindustrie. Bis vor drei Jahrzehnten wurden 80 Prozent der auf dem Alten Kontinent konsumierten Medikamente auch dort produziert. Heute sind es nur noch ... 20 Prozent – mit Versorgungsunterbrechungen und damit dramatischen Folgen für die Behandlung bestimmter Krankheiten.
Der andere Grund ist noch grundlegender: Mit der zunehmenden Verbreitung des Freihandels kommen nicht nur Waren, sondern auch Kulturen, Lebensstile, Gesellschafts- und Weltanschauung hinzu.
Um es mit einem Beispiel zusammenzufassen: Wenn Sie Coca-Cola importieren, erhalten Sie auch, ohne Einschränkung, Disneyland. Muss daran erinnert werden, dass die "amerikanische Kultur", von Hollywood bis Disney, eine der wichtigsten Waffen der US-Hegemonie ist, vielleicht sogar mächtiger als ihre militärische Armada?
Natürlich ist der Austausch zwischen den Kulturen positiv und wünschenswert. Aber jeder versteht, dass es sich hier nicht um einen ausgewogenen "Austausch" handelt, sondern um einen massiven und einseitigen Einfluss.
Ein bekanntes Beispiel betrifft die Rechnungslegungsstandards: Die amerikanische Konzeption des Unternehmens und der Geschäfte sowie die bei Uncle Sam vorherrschenden Managementmethoden haben sich in Frankreich etabliert, nachdem die Behörden die Übernahme des amerikanischen Rechnungswesens beschlossen hatten – zumindest hat dies wesentlich dazu beigetragen.
Die Staats- und Regierungschefs erklären auch ganz offen: Die weitere europäische Integration und damit die Stärke, die sie den EU-Exporten (und damit den Normen) verleihen würde, wäre ein "Hebel", um "unsere Werte" überall in der Welt durchzusetzen.
Ist das wirklich das, was die Völker brauchen?
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