von Pierre Lévy, Paris
Insbesondere in puncto Wirtschafts- und Währungspolitik hatte Emmanuel Macron auf eine Reaktion von Angela Merkel gewartet. Der französische Präsident gibt sich bereits seit einem Jahr als bester Schüler Europas (vehemente Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben, Reformen des Arbeitsrechts und der Eisenbahn usw.). Er hatte deshalb gehofft, Deutschland würde es ihm mit einer Bereitschaft zur Verstärkung der europäischen Integration vergelten.
Doch zu seinem Leidwesen bleibt die Kanzlerin nach den Wahlen im September 2017 auf innenpolitischer Ebene geschwächt und somit unter Druck der "Hardliner" ihrer eigenen Partei. Diese haben weniger denn je die Absicht, den Wohlstand der deutschen Wirtschaft (der nicht der Wohlstand der Werktätigen ist) mit den "europäischen Partnern" zu teilen. Schon gar nicht in einem Moment, in dem in Rom eine Koalition an die Regierung kommt, die versprochen hat, besonders großzügige Ausgaben zu tätigen.
Aber sie konnte den Aufrufen des französischen Präsidenten gegenüber nicht ganz taub bleiben, ohne beim Europäischen Rat am 28. und 29. Juni eine Konfrontation zwischen den beiden Hauptstädten zu riskieren. "Jetzt oder nie", hatte der französische Finanzminister Mitte Mai bei einem Treffen sogar zu seinem deutschen Kollegen gesagt. Die beiden Männer würden nun die Vorbereitung eines "deutsch-französischen Fahrplans" beschleunigen, um die "Integration der Eurozone zu vertiefen", eine Reform, ohne die die Einheitswährung sicher explodieren werde, hatte Bruno Le Maire gewarnt. Dieses Dokument könnte am 25. Juni vorgelegt werden, bevor es vom Europäischen Rat verabschiedet wird.
Bevor es so weit kommen konnte, musste der französische Präsident schon einige der im September 2017 geäußerten Ambitionen begraben. Seinem Projekt eines "Parlaments der Eurozone" wurde von vornherein eine Abfuhr erteilt, auch dem eines Superministers, der auf Kosten der Mitgliedsstaaten über ein solches gewacht hätte.
Blieb noch sein Vorschlag eines "eigenen Etats für die Eurozone". Es scheint, als gebe die Kanzlerin bei diesem Thema ein wenig nach. Sie hat das Prinzip eines Gemeinschaftsetats, der für Investitionen bereitgestellt werden soll, akzeptiert. Der französische Präsident hatte hierfür mehrere Hundert Milliarden vorgesehen. Angela Merkel hat das geklärt: nicht mehr als 20 oder 30 Milliarden für einen spezifischen Etat der Eurozone, oder sogar eingebunden in den Etat der gesamten EU.
Die Kanzlerin akzeptiert außerdem, dass etwa 25 Milliarden den Ländern zur Verfügung gestellt werden können, die sich als "gute Schüler" erweisen, um ihnen einen Anreiz für die Umsetzung von "Strukturreformen" zu bieten. Ein Zugeständnis, das keines ist, da Berlin diese "Verträge" bereits vorgeschlagen hatte, die mit den Regierungen abgeschlossen würden, um die Reformen zu beschleunigen.
Ein weiterer Vorschlag der deutschen Kanzlerin: einen Europäischen Währungsfonds (EWF) einrichten. Der würde aus einer Umwandlung des derzeitigen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) entstehen, der zu Beginn des Jahrzehnts eingerichtet wurde, um Irland und Portugal, die keinen Zugang zu den Finanzmärkten mehr hatten, Kredite zu gewähren.
Dieser ESM würde der Kanzlerin zufolge den in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Ländern langfristige Kredite gewähren (aber nur, wenn die Stabilität der Eurozone insgesamt bedroht wäre), im Gegenzug gäbe es einen autoritären Mechanismus der Überwachung und Restrukturierung ihrer öffentlichen Verschuldung. Diese zusätzliche Einmischung in die nationale Wirtschaftspolitik einzelner Länder ist natürlich der Preis für die Unterstützungsmaßnahme. Für Merkel wären auch kurzfristige Kredite (über fünf Jahre) für Länder vorstellbar, die Opfer außergewöhnlicher äußerer Umstände geworden sind.
Das sind minimalste Zugeständnisse, zumal die Kanzlerin durchaus insistiert hatte, dass es nicht in Frage käme, aus der EU eine "Schuldenunion" zu machen, in der Berlin solidarische Mitverantwortung für die mutmaßlichen Dummheiten der südeuropäischen Länder (und gegebenenfalls Frankreichs) übernimmt. Kurz gesagt, ist man sehr weit von den ursprünglichen Ambitionen Emmanuel Macrons entfernt.
Technisch gesehen, haben der französische Präsident und auch die Europäische Kommission recht: Die Einheitswährung kann nur überleben, wenn die wirtschaftlichen, sozialen, finanziellen und kommerziellen Parameter zwischen den Staaten konvergieren, die ihre nationale Währung aufgegeben haben. Da diese Konvergenz nicht plötzlich auftaucht, war der Sparzwang von vornherein auferlegt worden, damit der Euro hält: Stabilitätspakt (der Senkung der Ausgaben und Defizite vorschrieb) und alle Regulierungswerkzeuge (Europäischer Fiskalpakt usw.), die in den letzten Jahren hinzugefügt wurden.
Doch es reicht noch immer nicht. Das Überleben des Euro kann nur durch eine immer weitreichendere Aufgabe der Souveränität gesichert werden. Das fordert Emmanuel Macron. Berlin sagt dazu grundsätzlich natürlich nicht nein, will aber vor allem die Kontrolle über die großen Entscheidungen behalten und sicherstellen, dass die Interessen seiner großen Konzerne nicht in Frage gestellt werden – insbesondere deren Exportkapazitäten.
Zu diesen wirtschaftlichen Faktoren kommt der politische Kontext: Der Unmut der Bürger über die europäische Integration wächst in fast allen Ländern. In den Wahlergebnissen äußert sich das manchmal zwar in sehr merkwürdiger Form; für die verantwortlichen Politiker Europas ist es jedoch so oder so ein immer häufiger auftretender Alptraum.
Emmanuel Macron ist noch nicht am Ende seiner Durststrecke angelangt.
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